50 Indie-Geheimtipps, Teil 5: 2003-2009


Zehn Geheimtipps aus dem Genre Indie - die Alben wurden ausgewählt und besprochen von: Oliver Götz, Stephan Rehm und Jochen Overbeck.

Im Oktober-Heft 2010 haben wir die jeweils 50 besten, aber weitgehend unbekannten Alben aus den Genres Indie, Electro, Folk, Hip Hop und Avantgarde zusammenstellt. Das Indie-Genre macht den Anfang. Hier findet Ihr Teil vier der 50 Geheimtipps – zur Übersicht aller Indie-Geheimtipps geht es hier.

Den vollständigen Artikel können sich Nutzer unseres Archivs natürlich jederzeit ansehen.

Stephanie Kirkham – That Girl (2003)

Auch hier ging die Geschichte gut los: Stark von Joni Mitchell und den Beatles beeinflusste britische Songschreiberin, die in Japan schon Modeljobs übernommen hatte, unterschreibt einen Fünfalbumvertrag bei einem Label (Hut), welches umgehend das sommerliche, leicht trippige Debüt der jungen Frau veröffentlicht – und dann pleite geht. Da half auch die mordspositive Resonanz der Kritik nichts, THAT GIRL konnte kaum beworben werden, die Single zum Verlieben „Inappropriate“ blieb im Ablagestapel der Radio-DJs liegen. Letztes Lebenszeichen: Folgealbum SUNLIGHT ON MY SOUL (besser kann man Kirkhams Sound nicht beschreiben) erschien 2006 auf einem eigens dafür gegründeten Minilabel.

Manitoba – Up In Flames (2003)

Unter dem Namen Manitoba rollte der indietronische Kanadier Dan Snaith die Neunziger in den Nullern noch einmal auf. Er kreiste auf dieser leider fast nur von Kritikern geliebten Platte um und loopte sich munter durch die Gärten des Too-Pure-Labels, der Neopsychedelia und des Postrock. Dann zwang ihn ein älterer Manitoba, sein Projekt umzutaufen: zu Caribou. Er fuhr noch mal mit dem Rasenmäher ums Haus und gedieh dann zum Elektro-Liebling der Saison 2010.

Deerhoof – Milk Man (2004)

Fünf Alben lang hat das Indie-Pop-Quartett aus San Francisco bei all experimentellem Getobe gelernt, wie Pop funktioniert. Das Ergebnis präsentieren sie auf einem Konzeptwerk um den Titelhelden und titelgebenden Milk Man – eine Zeichnung des mit der Band befreundeten japanischen Künstlers Ken Kagami. Klingt nach einer ziemlich verkopften Angelegenheit, was? … „gelernt“, … „Konzeptwerk“ … Doch Musik kann kaum unbedarfter und nassforscher klingen als diese hier.

Nick Nicely – Psychotropia (2004)

15 Jahre benötigt Axl Rose für ein Album? Ha! Nick Nicely saß 24 Jahre an seinem. Und hatte dann erst mal sein Debüt im Laden. Der Brite veröffentlichte 1981 die Single „DCT Dreams“, die 60er-Psychedelia mit Früh-80er-Electro-Pop verband. Ein kleiner Hit in Frankreich. Es folgten das ganz im Geiste Syd Barretts stehende „Hilly Fields“ und der ganz im Geist Syd Barretts stehende Rückzug Nicelys von der Musikindustrie. 2004 erschien als Sammlung der beiden Singles und mit einer Auswahl der Musik, an der Nicely über die Jahrzehnte gearbeitet hatte, sein erstes Album.

The Russian Futurists – Our Thickness (2005)

Die Russian Futurists sind eigentlich nur einer, und Matthew Adam Hart ist weder russisch, sondern nordamerikanisch, noch an der Zukunft, sondern an Vergangenem interessiert. Sein zweites Album ist Lo-Fi-Sample-Pop; das auf manchen Handy-Modellen von Samsung befindliche „Paul Simon“ hätte in den Neunzigern Becks größter Hit werden können. Wenigstens Graham Coxon und Peter Buck zeigen sich schwer beeindruckt von Harts Gespür für Melodien.

Lansing-Dreiden – The Dividing Island (2006)

Sind Lansing-Dreiden kaum mehr als heiße Luft? Ein Künsterkollektiv aus NYC, als Liveband nicht präsent, auch sonst gesichtslos, aber fleißig am Kunstformen mischen und enigmatische Manifeste verfassen. Aber diese Musik! Man wollte wortreich über die bis kurz vor dem Kitsch ins Sphärische driftende Synthese von Synthiepop, Prog und Shoegaze schwärmen. Doch dieses Album scheint sich hermetisch abzuriegeln von Zuschreibungen und Verweisen. Als wäre die Musik aus Gas und drohte zu entweichen.

Butcher Boy – Profit In Your Poetry (2007)

Tendenziell sentimentale, gern mit Streichern arbeitende Indie-Popper aus Glasgow, in den späten Neunzigern gegründet, Artverwandtes: The Smiths, Nick Drake, Love. Klingt nach Belle & Sebastian? Richtig. Aber was kann falsch daran sein, solange Anbiederung und Kopistentum die letzten Begriffe sind, die einem bei zeitlos schönen Songs wie „I Know Who You Could Be“ einfallen? Siehe auch, ein paar Plätze zuvor in dieser Liste: The Blue Nile.

Les Savy Fav – Let’s Stay Friends (2007)

Vielleicht müssten sie einfach anders heißen. The Faves oder so. Dann könnte man nach einem der verlässlich hoch unterhaltsamen Konzerte dieser Art-Rock-meets-Post-Hardcore-Band aus NYC einem Bekannten eine dringende Empfehlung aussprechen. Aber so ist man sich ob der Aussprache unsicher, will sich nicht blamieren und redet stattdessen lieber über die Mühen des Alltags. Auf dass es sich ändern möge: „Lei Sáhwie Fahv“ sprechen die sich aus, und ihr viertes Album LET’S STAY FRIENDS ist ein einwandfreier Pop für Freunde des Lebens.

Grammatics – Grammatics (2009)

Warum kennen wir eigentlich die Grammatics nicht? Wo doch der „NME“ nach dem Ende Oasis‘ und angesichts des Brachliegens der britischen Popszene händeringend nach neuen Titelhelden suchen müsste? Wo die Band aus Leeds doch so vieles in sich vereint, was den „NME“ in den vergangenen Jahren entzücken ließ: Jugend (Arctic Monkeys), Drama (Arcade Fire), Looks (The Drums), Cello (Florence And The Machine)? Selbst ein verspäteter Hype kommt längst nicht mehr in Frage. Nach dem kommerziellen Flop ihres Debüts will sich die Band noch in diesem Jahr trennen.

A Sunny Day In Glasgow – Ashes Grammar (2009)

Der Name führt einen in die ja nicht unbequeme Irre, hier könnte eine Band vom (allerdings schon längst verblichenen) britischen Labels Sarah zu leichtfüßiger Tat schreiten. Tatsächlich kommen diese jungen Menschen aber aus Philadelphia. Sie sind allerdings tatsächlich auch am eher leichten und leicht flüchtigen Musizieren interessiert. ASHES GRAMMAR blühte zwischen all den Shoegaze- und sonst wie wolkigen Atmo-Pop-Wiedergängern der letzten und vorletzten Saison nur als Mauerblümchen. Dabei war sie eine der charmantesten Schwallschallplatten überhaupt.