Abertausende kleine Revolutionen


Kaum Zeichen von Manu Chao seit Jahren. Wie vom Erdboden verschluckt, der Mann. Dabei hatte er sich nur in Teilen der geografischen, politischen und musikalischen Welt bewegt, in der wir uns eher schlecht auskennen... wollen oder können. Ein guter Grund, dem Botschafter des multikulturellen Pop gut zuzuhören. Denn es stimmt: Reisen bildet.

dein letztes offizielles Album – die Liveplatte Radio Bemba Sound System – datiert von 2002. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?

MANU CHAO: Nun, das Leben ist halt sehr… intensiv. (lacht) Ich habe ein Buch mit meinem Freund Wozniak aus Polen veröffentlicht, und ich habe Akli D., Amadou &. Mariam und ihren Sohn Sam produziert. Er hat eine HipHop-Band in Bamako namens Smod. Außerdem arbeite ich mit einer kleinen Radiostation in Buenos Aires namens La Colifata. Die ist was Besonderes, weil sie aus einer neuropsychologischen Anstalt sendet und die Patienten das Programm machen. Und dann bin ich noch mit meiner Band, Radio Bemba, rumgereist. Die letzten zwei Jahre waren wir in Südamerika und ein bisschen in Europa und in Nordamerika unterwegs. Da vergeht die Zeit sehr schnell.

Viele dachten, du hättest dich nach Radio Bemba Sound System System aus dem Musikgeschäft zurückgezogen.

Quatsch. Ich lebe einfach mein Leben, ich spiele Musik, ich nehme Songs auf.

Dem größter Hit „Bongo Bong“ ist schnell zu einem richtigen Monster geworden. Wie siehst du das heute: War er ein Fluch oder ein Segen?

(lächelt) Ich weiß es nicht. Es ist definitiv der Song, der am häufigsten gecovert wird. Worauf ich am meisten stolz bin, ist, dass gerade Kinder darauf stehen.

Wie gehst du mit deiner Popularität um? Ziehst du dich zurück? Und ist das bei deinem Bekanntheitsgrad gerade in Frankreich und Südamerika überhaupt möglich?

Ich bin eigentlich ein sehr schüchterner Typ. Doch mein Erfolg kam nach und nach. Deshalb hatte ich genug Zeit, mich daran zu gewöhnen. Ich hätte ein Problem, wenn ich nicht mehr auf der Straße leben könnte. Denn das liebe ich – und das brauche ich. Selbst wenn ich in Barcelona bin, der Stadt, in der ich lebe, gehe ich nur zum Schlafen nach Hause. Ich esse in der Bar, ich schaue mir Fußballspiele dort an, ich lese meine Zeitung in einer Bar. Die Leute erkennen mich, aber sie belästigen mich nicht. Klar sprechen mich auch einige an und stellen mir Fragen. Aber ich frage sie dann auch nach Dingen aus ihrem Leben.

Ist das Reisen für dich ebenso existenziell wie das Leben auf der Straße?

Das kann ich gar nicht beantworten – ich habe ja keine Ahnung, wie es ist, länger am selben Ort zu leben. Als ich ein Teenager war, .. habe ich entschieden, mit dem Studieren aufzuhören und mit allem anderen und mich auf die Musik zu konzentrieren. Inzwischen verstehe ich, dass die Musik mir die beste Ausbildung gegeben hat, die das Leben zu bieten hat – eben durch das viele Reisen.

Hast du unterwegs nicht manchmal auch Angst? Gerade an Orten in Südamerika, die von Drogenkartellen, Militär und Milizen kontrolliert werden?

Natürlich habe ich Angst. Und wie. Als ich in den 90ern mit Mano Negra diese Zugfahrt durch Kolumbien unternommen habe, fuhren wir zu Orten tief im Landesinneren. Dort hatte ich sogar große Angst. Aber schau: Jahre später ist diese Tour durch Kolumbien eines der schönsten Abenteuer meines Lebens.

Wie denkst du über Hugo Chavez? Ist er ein guter Präsident?

Ich habe noch keinen guten Präsidenten getroffen. Aber ich kann sagen, dass er definitiv nicht der schlechteste ist, den Venezuela je hatte. Als wir letztes Jahr dort gespielt haben, habe ich mir die Viertel angesehen, in denen wir Jahre zuvor mit Mano Negra aufgetreten sind. Als Chavez noch im Gefängnis war. Mittlerweile hat sich dort einiges verändert. Gerade in den Armenvierteln von Caracas. Da gibt es medizinische Versorgung, die Schulen sind besser, und vor allem vertraut der Staat wieder der Jugend. Die haben da mal eben ein Konzert mit mir organisiert, in der größten Halle. Die Stadtverwaltung hatte ein paar junge Burschen aus einem Armenviertel gebeten, ein Gratiskonzert zu organisieren. Das sind Erfahrungen, die mein Bild von Venezuela prägen. Was ich absolut nicht mag, ist die Art, wie das Land in den US- und europäischen Nachrichten dargestellt wird: verzerrt und einseitig.

Weil der Westen Angst vor einem sozialistischen Südamerika hat?

Das hat er definitiv. Ich rede hier auch über journalistische Ethik: Wenn man über Sachen berichtet, die schlecht laufen, dann muss man auch über Sachen berichten, die gut laufen. Dasselbe mit Kuba. Das ist zwar kein Paradies. Aber ist Kolumbien ein Paradies? Ist Brasilien eines? Von daher bitte ich die Journalisten nur darum, ihren Job vernünftig zu machen. Ich weiß, dass das nicht leicht ist, weil mehr und mehr Zeitungen und TV-Sender irgendwelchen multinationalen Firmen gehören. Ich finde es auch falsch, dass in Kuba so viele Menschen allein wegen ihrer politischen Überzeugung inhaftiert werden. Und es ist wichtig, dass das überall auf der Welt diskutiert und beanstandet wird. Aber es muss auch gesagt werden, dass Kuba das einzige Land Lateinamerikas ist, wo nicht jedes Jahr unzählige Straßenkinder getötet werden. Wo Bildung gratis ist. Als ich letztes Jahr auf Kuba gespielt habe und über 100.000 Menschen zu meinem Konzert im Malecon gekommen sind, da war ich echt baff, so viele Leute aus allen Teilen der Welt zu sehen. Die waren alle da, weil Bildung auf Kuba nichts kostet.

Und warum unterstützt du die mexikanische Zapatista-Bewegung?

Weil sie Hilfe von außen braucht – und zwar dringend. Weil die Leute in der ganzen Welt erfahren müssen, was in La Selva Lacando (der lakandonische Regenwald – Anm. d. Red.), aber auch in anderen Gebieten Mexikos passiert. Da sind immer noch unglaublich viele Menschen im Gefängnis – aus politischen Gründen. Dagegen versuchen wir Unterschriften zu sammeln und Druck auszuüben, damit sie endlich freigelassen werden.

Manu Chao gilt als eine Ikone der Globalisierungskritiker . Bist du glücklich mit dieser Rolle?

Nein, das bin ich nicht. Da ist kein Platz für Ikonen. Es ist eine große Bewegung, und wer mitmacht, versucht, eine bessere Welt für seine Kinder zu schaffen. Aber diese Intention ist auch das Einzige, was sie verbindet. Für mich ist es ungemein wichtig, dass diese Bewegung möglichst horizontal ausgerichtet bleibt. Sie braucht keine Führer und keine Ikonen. Aber niemand aus der Bewegung erachtet mich als Anführer. Es war immer die Presse, die das getan hat.

Welche Mittel könnten wirken gegen den immer weiter wachsenden Einfluss multinationaler Konzerne?

Die Lösung aller großen Probleme in der Welt kann nur durch bessere Bildung und Erziehung herbeigeführt werden. Die Familien in den Armenvierteln der Welt haben gar nicht die Möglichkeit, ihre Söhne und Töchter vernünftig auszubilden. Stattdessen werden die Kinder durch das Fernsehen erzogen, und dessen einzige Botschaft besteht darin, zu konsumieren. Aber das macht unser Planet nicht mehr lange mit. Eines schönen Tages wird die Natur genug von uns haben – und uns einfach wegpusten.

Warum bist du mit dieser Einstellung nicht bei Live Earth aufgetreten?

Weil ich schlechte Erfahrungen mit diesem Geldof-Ding gemacht habe – bei Live8.

Was ist passiert?

Sie haben mich gefragt, ob ich bei dem Konzert in Paris auftreten könne. Das ging nicht, weil ich in Südamerika unterwegs war. Also habe ich ihnen vier oder fünf Monate vorher eine Mail geschickt, dass ich nicht kommen kann. Trotzdem haben sie mich angekündigt. Und dann haben sie vor laufender Kamera gesagt: „Es tut uns schrecklich leid, aber Manu Chao ist nicht hier. Er hat versprochen zu kommen, aber er ist nicht da.“ Da bekam es sogar meine Mutter mit der Angst. Sie hat mich angerufen: „Manu, was ist los? Bist du krank?“- „Nein, Mama, ich toure. Es ist alles okay.“ „Aber sie sagen im Fernsehen, dass du nicht da bist, wo du sein solltest. “ Die haben mich benutzt, um mehr Karten zu verkaufen und mehr Publicity zu bekommen – eine ganz miese Nummer. Deswegen wollte ich nichts mit AI Gore zu tun haben. Der ist auch nicht besser. Schließlich ist er Politiker.

Hast du den G8-Gipfel in Heiligendamm verfolgt?

Ja, im Internet. Ein einziges großes Blabla. Zudem finde ich es sehr befremdlich, dass die acht mächtigsten Menschen dieses Planeten überall und ständig beschützt und bewacht werden müssen – weil sie nirgendwo willkommen sind. Da läuft irgendetwas komplett falsch.

Und die Präsidentschaftswahlen in Frankreich …?

Ich bin da gewesen, um zu wählen – wie es sich gehört.

Was denkst du über Nicolas Sarkozy?

(lacht) Ich glaube, wir blicken harten Zeiten entgegen. Ich lebe jetzt schon lange in Spanien, dort mussten wir jahrelang unter unserem eigenen Sarkozy leiden. Denn die Aznar-Regierung hat das Leben nicht einfach gemacht. Jeder, der nicht wie die Regierung gedacht hat, wurde quasi als Terrorist behandelt. Ich befürchte, dass in Frankreich etwas Ähnliches passieren wird. Dort werden sie dasselbe Problem bekommen, das sie in Italien mit Berlusconi hatten.

Warum haben sich deine Landsleute nicht für Segolene Royal entschieden? Hatten sie Angst vor einer Frau im höchsten Amt?

Ich glaube, das hat damit nichts zu tun. Das wahre Problem ist, dass Europa alt wird. Und die Medien verwenden ihre ganze Energie darauf, alten Menschen Angst einzujagen. Diese haben Angstvorderjugend, vor Veränderungen und vor allem, was von außen kommt. Die Jugend lebt in den Ghettos – und die alten Leute sehen sie immer nur dann im Fernsehen, wenn es Probleme und Auseinandersetzungen gibt. Europa wird alt, und alte Leute bekommen nun mal schneller Angst. Also wählen sie konservativ. Die Jugend ist nicht Teil Europas, sie lebt nicht mehr in der Ersten Welt, sondern in der so genannten Dritten. Dort liegt die Zukunft.

Demnach müssen wir erst ein Desaster erleben, ehe sich wirklich etwas ändert?

Ich weiß es nicht. Aber über kurz oder lang werden sich die Dinge verändern. Der ärgste Feind des Kapitalismus ist der Kapitalismus selbst.

Könntest du dir vorstellen, in der Politik zu arbeiten?

Ich versuche nur, meinen Verpflichtungen nachzukommen. Ich bin ein Sänger, also habe ich Zugang zum Mikrofon. Es liegt in meiner Verantwortung, zu kommentieren, was ich erlebe- gerade auch als Weltenbummler. Und so nutze ich die Tatsache, dass mir so viele Leute zuhören, um zu erklären, was ich sehe, und dass sich die Dinge ändern müssen. Wenn ich das schaffe, dann gelingt das auch anderen. Ich warte auf keine große Revolution. Ich hoffe auf Tausende und Abertausende von kleinen Revolutionen, die in den Vierteln passieren.

Also gibt es keine Person des öffentlichen Lebens, der du zutraust, Veränderungen herbeiführen zu können?

Verändern können wir die Dinge nur gemeinsam. Dazu müssen wir uns zuerst selbst ändern. Unser Denken. Wir können unsere Familie ändern, unser Konsumverhalten, unsere unmittelbare, Umgebung. Da stehen uns alle Möglichkeiten offen.

„Klein anfangen, um Großes zu bewirken“?

Ganz genau: Klein anfangen! Deshalb ziehe ich kleine Aktionen großen Sachen vor. Denn wenn du kleine Sachen machst, kannst du auch das Ergebnis sehen.

Jetzt hast du allerdings noch nicht meine Frage beantwortet, ob du dir vorstellen könntest, eines Tages selbst ein öffentliches Amt zu bekleiden.

Schwierige Frage. Ich meine, ich habe in meinem Leben noch niemanden getroffen, dem ich genug vertraue, um voll und ganz hinter ihm zu stehen. Ich bin jetzt 46, ich gehe wählen, seit ich 18 bin. Und ich gehe doch immer nur zur Urne, weil mein Großvater einst zum Tode verurteilt wurde, weil er während des Krieges für mehr Demokratie in Spanien gekämpft hat. Nur: Ich habe noch nie für jemanden gestimmt, sondern immer gegen jemanden. Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der dieses Problem hat. Es gibt Millionen wie mich. In diesem professionellen politischen Zirkus, den man uns aufzwingt, wähle ich immer nur gegen den schlimmsten Typen.

Und das Mittel gegen diesen Frust ist „La Radiolina“, so der Titel deines neuen Albums: viele kleine Radios, die gute Musik spielen?

Das ist es, was ich tue – ich futtere viele kleine Radios mit Musik, mit Klängen, mit Texten. Das ist Teil meiner Therapie, um diese Welt besser akzeptieren zu können, (lacht) Ich versuche, meine Wut und meine Abscheu in etwas zu kanalisieren, das hoffentlich positiv ist.

Klingt, als ob der Punk in dir noch lebendig wäre …

Keine Ahnung, was in mir steckt. Manu ist lebendig. Und ich bin in guter Form. Und ich versuche, meinen Weg als ehrlicher Mann zu gehen. Das war’s. Keine Ahnung, ob mich das zum Punk macht.

Aber du bist ein eindeutiger großer Fußball-Fan, oder?

Ich mag Sachen mit Herz. Und manchmal hat Fußball eben sehr viel Herz. Genau wie Musik. Nur dann ist sie gut. (lacht) Wie bist du zum Freund von Diego Maradona geworden?

Er ist ein sehr interessanter Typ. Ich habe ihn vor zwei Jahren zum ersten Mal getroffen. Und dann wieder vor ein paar Monaten. Er ist einfach toll. Ich mag ihn – mit seinen guten und seinen schlechten Seiten. Und er hat definitiv eine Menge Seele.

Wie steht es um seine Gesundheit?

Als ich ihn vor anderthalb Monaten zum letzten Mal gesehen habe, war er eigentlich ganz gut beieinander – kein Vergleich zu den Problemen, die er davor hatte.

Dein neuer Song „La Vida Tombola“ handelt von ihm.

Ja, das tut er.

Weil das Leben ein Glücksspiel ist – und er besonders hoch pokert?

Diego ist der lebende Beweis dafür, dass das Leben eine Tombola ist. Als Diego noch ein Teenager in den Favelas war, wer hätte da gedacht, dass dieser Typ so ein Schicksal haben würde? Und als ich das letzte Mal mit ihm in Buenos Aires unterwegs war, meinte er zu mir: „Als ich noch ein Teenager war, wusste ich schon, dass ich Weltmeister werde. Und ich wusste, dass ich meiner Mutter ein nettes Haus kaufen würde. Dessen war ich mir von Anfang an sicher. Das Einzige, was ich nicht wusste, war, dass ich mich in Kokain verlieben würde.“ (lacht) Wie geht es mit dir weiter? Angeblich planst du eine CD auf Portugiesisch.

Die Songs sind schon fertig. Ich muss sie nur noch aufnehmen. Das ist auch der Grund, warum ich nicht so viele portugiesische Songs auf La Radiolina gepackt habe-weil ich sie für eine rein portugiesische CD aufheben wollte. Außerdem arbeite ich noch an einer CD für Radio La Colifata, die mir sehr, sehr wichtig ist. Genau wie die CD von Sam, dem Sohn von Amadou & Mariam.

Wie viele Sprachen sprichst du eigentlich ?

Gut nur Spanisch und Französisch. Was Englisch betrifft: Da gebe ich einfach mein Bestes. Und dann spreche ich noch Portugiesisch. Das war es dann auch schon.

Hast du es je mit der deutschen Sprache versucht?

Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, lange genug in Deutschland zu sein, um die Sprache zu lernen. Ich hoffe, dass ich eines Tages richtig viel Zeit dort verbringen kann.

Das wäre die Grundvoraussetzung für einen Manu-Chao-Song auf Deutsch …

Ja. Ich hoffe, dass es eines Tages klappt. Auf diesem Album habe ich zum Beispiel einen Song auf italienisch , denn mit meinem Portugiesisch kann ich mich einfacher mit Italienern unterhalten – komischerweise. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist. Ich habe im letzten Jahr ein bisschen Zeit in Italien verbracht und angefangen, kleine Songs zu schreiben. Meine italienischen Freunde haben mir mit bestimmten Ausdrücken geholfen. Aber ich bin stolz darauf: Ich habe meinen ersten kleinen Song auf Italienisch, und das ist ein Anfang. Ich hoffe, das kriege ich eines Tages auch auf Deutsch hin.

www.manuchao.net