Alle Wege führen nach Woodstock


Eine Alternativ-Tour macht in den USA Furore: Lollapalooza knüpft da an, wo Woodstock vor 22 Jahren den Geist aufgab

Woooff! Woooff! Wie Kurzhaardackei auf Acid vollführen rund 100 halbnackte Kids einen Slam Dance für Gartenzwerge. Derweil hämmert Ice-T sein Juck the police“ so oft in das Publikum, daß selbst das rammelstärkste Kaninchen seiner Aufforderung nicht nachkommen könnte.

This ain’t no disco. Willkommen im Walnut Creek Amphitheatre in Raleigh/North Carolina, willkommen zu Lollapalooza, dem sieben Bands und neun Stunden dauernden Wanderzirkus alternativer Bands, der in den letzten Wochen durch 21 amerikanische Städte zog.

Lollapalooza ist das geistige Kind von Perry Farrell und Stephen Perkins von Jane’s Addiction. Als die Band im vergangenen Jahr wegen Krankheit das dreitägige Reading-Festival in England von der Reservebank aus verfolgen mußte, nahm man sich vor. die Idee des alternativen Open Airs in das Land zu re-importieren, das vor mehr als zwei Jahrzehnten mit Woodstock den Stein ins Rollen brachte. Kein gelecktes Pepsi-gesponsortes MTV-Knusperpaket sollte es werden, sondern, in den Worten von Farrell: Lei ’s have a big alternative party! Ohne Salzstangen und Erdnüsse, dafür mit einem kulturpolitischen Smorgasbrot von Informationsständen der Abtreibungsbefürworter, der „Surfrider Foundation“ zur Rettung der Strände, Rock the Vote, Kampf der Tierquälerei, Greenpeace, Bekämpft Rassismus und andere Organisationen mehr. Farrell hatte gar die NRA, die National Rifle Association, eingeladen. Festival-Teilnehmer wie lce-T („l’m a cop killer!“) erschienen den NRA-Herren aber dann doch zu suspekt: Die rechtsorientierten Ballermänner sagten eine Beteiligung am alternativen Wanderzirkus dankend ab.

Kein kluger Schachzug. Denn die Lollapalooza-Tour demonstrierte, was selbst Bands wie Guns N’Roses im Tour-Sommer 91 nicht gelang: daß im rezessionsgebeutelten Amerika Tourneen durchaus schwarze Zahlen schreiben können, vorausgesetzt sie treffen den Nerv des Publikums.

Die sieben Lollapalooza-Bands repräsentieren jeweils eine andere Schublade im Nachtkästchen des alternativen Rocks: Jane’s Addiction (Funk ’n‘ Roll), Siouxsie and the Banshees (mystischer Punknachschlag), Living Colour (schwarzer Rock), Nine Inch Nails (Industrial), Ice-T (Ganster Rap). The Butthole Surfers (Acid Rock) und The Rollins Band (knüppeldicker Punk). In dieser Siebenetnigkeit verkauften die Bands zum Eintrittspreis von 25 bis 35 Dollar jedes Festival aus — mit Besucherzahlen zwischen 15.000 und 20.000 Besuchern. Das offizielle T-Shirt mit dem Strichmännchen ging für weitere 25 Dollar ebenso locker weg.

Davon konnten andere Künstler auf US-Tour nur träumen. Beim Doppeldecker Steve Winwood/Joe Cocker konkurrierten die leeren Sitze mit den besetzten im Verhältnis 2:1. Bevor sie ihrer Tournee den Gnadenschuß gab, trällerte Whitney Houston im 20.000er Hartford Civic Center vor knapp 6000 Fans. Huey Lewis konnte trotz massiver TV-Werhung durch Sponsor Budweiser nicht mal das Sitze fassende Oakdale Musical Theatre füllen. David Lee Roth mit Cinderella. Sisters of Mercy mit Public Enemy. die Scorpions und viele andere Bands erlebten die touritus interruptus. Die US-Tourveranstalter erlebten Waterloo statt Woodstock.

Und das Geheimnis von Lollapalooza, das die „New York Times“ als „das Woodstock der verlorenen Generation“ apostrophierte? Die Antwort heißt WUT. Es ist eine Wut. die so unartikuliert wie weitverbreitet unter Amerikas Jugendlichen ist — eine Wut.

die zunächst von Knast-Rappern wie der Lifer’s Group artikuliert wurde, inzwischen aber aus den Außenbezirken ins musikalische Bewußtsein vordringt. Lollapalooza ist dabei das perfekte Auffangbecken für die in Konsum abgeleitete Wut. Die Auftritte der sieben Bands verschmolzen zu einem gemeinsamen, langgezogenen Aufschrei. Ob es der Schwur von Ice-T war, Polizeibrutalität zu rächen, Trent Reznors Geächze: „l’m gonna smash mvselfto pieces“ oder Perry Farrells Klageschrei: „A in ‚l no wrong now, ain V no right. Only pleasure and pain.“

Für neun kurze Stunden fühlten sich die 20.000 Zuschauer im Walnut Creek Amphitheatre, als hielten sie die Macht in Händen — bis die Musik aufhörte und die Lautsprecheransage zum ordentlichen Verlassen der Arena aufforderte.