„Als wohlerzogener Mensch muss man wohl dagegen sein“


Bei zu klaren Melodien werde er unruhig, sagt Stephen Malkmus. Er brauche den Krach. Sein unlängst gemeinsam mit den Jicks eingespieltes Mirror Traffic sei für seine Verhältnisse schon recht zugänglich. Im Blind Date gewährt der Neu-Berliner Einblicke in seine Punk-Sozialisation.

Mission Of Burma

„That’s When I Reach For My Revolver“

(nach zwei Tönen) Mission Of Burma! Boston hatte nie besonders viele Bands. Aber die, die von dort kamen, waren großartig: Hüsker Dü, Galaxy 500 und eben Mission Of Burma. Leider habe ich sie erst in ihrer reformierten Version gesehen. Anfang der 80er-Jahre wäre mir das zu soft gewesen. Da stand ich eher auf Black Flag und die Circle Jerks. Vielleicht auch die Descendents. Ich war ein Zehntklässler, da mag man’s eher laut. Neulich habe ich übrigens das Demo der Straw Dogs, meiner ersten Punkband, auf einer Internetseite gefunden. Wahnsinn. Das habe ich seit damals nicht mehr gehört!

Sonic Youth

„Mary-Christ“

Verschieden gestimmte Gitarren, B-Movies als Einflüsse, total billig, aber auch intellektuell: Sonic Youth waren für mich damals etwas sehr Neues. Ich mochte das, auch wenn ich sie auf diesem Album (Goo von 1990; Anm. d. Red.) nicht mehr so toll fand, weil sie plötzlich näher am Radio waren. Die tourten ja damals sogar mit Neil Young. Ich denke, dass die Tatsache, dass diese coole Band damals bei einem Majorlabel unter Vertrag stand, immens wichtig war. Die Leute von Geffen Records hatten ihr Haus in Los Angeles und waren vermutlich deutlich cooler als die bei SST oder so.

My Bloody Valentine

„Cupid Come“

Das ist einfach ein wunderbarer Gesamtklang. Als wir Slanted And Enchanted aufnahmen, war das für mich ein wichtiger Einfluss. Da habe ich die Gitarren geklaut, was aber in Ordnung ist – die haben’s ja auch nur von Sonic Youth. (lacht) Ich finde die Isn’t Anything heute immer noch besser als Loveless, vielleicht, weil die Platte etwas nachlässiger aufgenommen ist.

Blumfeld

„Jet Set“

Oh, Blumfeld. Ich erinnere mich gut an diese England-Tour mit Blumfeld, Deus und uns. Ein ziemlicher Spaß, der daher rührte, dass der Chef unseres damaligen Labels Big Cat einen Deutschen-Fetisch hatte. Den Engländern war diese deutsche Band natürlich total egal. Und ich glaube, trotz aller Bemühungen kaufte dort keiner die Platten. Aber ich mochte sie immer sehr gerne. Auch die späteren Sachen gefielen mit gut. Dieser Soft Rock von Old Nobody.

Arcade Fire

„The Suburbs“

Eine sehr ambitionierte Band. Vermutlich Workaholics. Selbst wenn ich so allgemeingültige Songs schreiben würde, hätte ich nicht diesen Erfolg. Ich meine, ich bin nicht der Superslacker, aber 24 Stunden am Tag eine Band zu sein, das muss doch total anstrengend sein. Aber es scheint sich zu lohnen. Nicht nur in Sachen kommerzieller Erfolg, sondern auch, mit wem sie ihre Videos machen und was die öffentliche Rezeption angeht und so. Es ist allerdings nicht unbedingt clever, einen Song über die Suburbs „The Suburbs“ zu nennen. Ich ziehe es vor, etwas subtiler zu sein. Aber das ist natürlich Ansichtssache.

R.E.M.

„Überlin“

Das letzte R.E.M.-Album. Das entstand hier in Berlin, nicht wahr? Ich muss gestehen, dass ich mich zuletzt nicht mehr mit ihnen beschäftigt habe. Nach Automatic For The People verlor ich den Anschluss. Der Ausstieg von Bill Berry hinterließ einfach eine Lücke, für mich war er einer der wichtigsten Bestandteile des Sounds. Ich mochte R.E.M. immer, schon damals in den 80er-Jahren. Auch wenn’s mir eigentlich viel zu soft war. Musik, die die Mädchen hörten. Vielleicht gefielen sie mir, weil sie immer auch mysteriös waren. Kryptisch.

Ja, Panik

„Trouble“

Oh, gute Gitarren. Der Gesang gefällt mir auch. Klingt ein bisschen wie eine jüngere Version von Modest Mouse. Sind die bekannt?

Schon ein bisschen. Können Sie mit dem Wechsel der Sprachen etwas anfangen?

Das ist natürlich schwierig zu sagen, weil ich nicht verstehe, wovon sie singen und ob das ironisch ist oder so. Ich habe auf jeden Fall selten gehört, dass eine Band Sprachen so sehr mischt.

Tyler, The Creator

„Yonkers“

Gefällt mir. Schön, dass es einen HipHop-Künstler gibt, der mal wieder anders klingt als die anderen. Ich kann sehr gut verstehen, warum das so erfolgreich ist.

Folgen Sie der Diskussion über die Inhalte?

Ein bisschen. Aber ich empfinde sie als eher unsinnig. Ist doch klar, dass man all das nicht ernst nehmen kann. Das ist eher wie ein Film oder wie ein Spiel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da jetzt jemand loszieht und anfängt, Frauen zu vergewaltigen oder so. Im Gegenteil: Ich glaube, dass friedliche Middle-Class-Kids eher darauf abgehen als benachteiligte Gangster aus dem Ghetto. Aber als wohlerzogener Mensch muss man wohl dagegen sein. (lacht)

Jochen Overbeck

Stephen Joseph Malkmus

Bekannt wurde der Sänger und Gitarrist als Mastermind der US-amerikanischen Indie-Rock-Pioniere Pavement. Von 1992 bis zum vorläufigen Split der Band 1999 veröffentlichten Pavement fünf kommerziell wenig ertragreiche, dafür aber popkulturell enorm einflussreiche Studioalben. 2001 begann Malkmus mit seiner Begleitband The Jicks eine Solokarriere und brachte bis heute fünf Platten auf den Markt. 2010 absolvierten Pavement eine umjubelte Reuniontour. Die Zukunft der Band ist momentan ungewiss.