Atoms For Peace im Roseland Ballroom, New York


Explodierende Kanaldeckel, Kohlenmonoxidalarm und endlose Schlangen: Wer den Tourstart von Thom Yorkes anderer Band miterleben wollte, musste erst mal durch die Hölle.

Dabei fing es so friedlich an: ein sonniger Nachmittag in Manhattan, der wärmste seit Jahrzehnten, und auf der Leuchttafel des ehrwürdigen Roseland Ballroom prangt in großen Buchstaben „Atoms For Peace“, einst der Titel einer Friedensrede von Dwight D. Eisenhower, nun der Name von Thom Yorkes neuer Supergroup, mit Flea von den Red Hot Chili Peppers am Bass, Becks Schlagzeuger Joey Waronker, und dem inoffiziell sechsten Mitglied von Radiohead, Nigel Godrich, an den Keyboards.

Bereits ab 16 Uhr reihen sich die Fans auf, denn das neumodische, ticketlose Einlassverfahren vermasselt zwar gierigen Tickethändlern das Geschäft, verlangt aber von jedem Gast das Vorzeigen von Kreditkarte und Personalausweis: ein langwieriger Prozess. Und dann fliegen direkt vorm Roseland zwei Kanaldeckel in die Luft.

Ein Kabelbrand hat eine Gasexplosion ausgelöst, und was folgt, ist Tohuwabohu: Die Feuerwehr rückt an, die 52. Straße wird gesperrt, Hotels werden evakuiert, Broadwayshows abgesagt, und 3.000 Fans, die nun über die Rückseite ins Roseland wollen, müssen in einer Schlange stehen, die sich über mehrere Straßenblocks erstreckt. Manche entkommen dem Chaos vor der Tür erst gegen 22 Uhr, da beendet Flying Lotus gerade sein Opening-Set. Der aus Los Angeles stammende Produzent, auf dessen neuem Album Cosmogramma Thom Yorke mitsingt, beweist, dass er die ideale Besetzung für das Vorprogramm ist: mit ein paar aufmunternden Worten und einem psychedelisch-groovendem Elektronikset, das an Bill Laswell/Axiom Funk/Material erinnert und in einer irrwitzigen Version von Radioheads „Idioteque“ endet, beruhigt er die strapazierten Nerven der Fans und ebnet somit den Boden für ein wunderbares Konzert.

Alle Songs von Atoms For Peace stammen an diesem Abend von Yorke, die meisten von seinem Soloalbum The Eraser. Das wird von Anfang bis Ende durchgespielt, doch im Gegensatz zum Album, das stellenweise phlegmatisch wirken kann, pulsieren die Songs live und zeigen ungewohnte Tiefenschärfe. Das zeigt bereits der Opener, „The Eraser“, zu dessen Intro der Grammy-nominierte Jazztrompeter Christian Scott ein Solo beisteuert. Scott hatte den Song bereits auf seinem aktuellen Album Yesterday You Said Tomorrow interpretiert. Auch „The Clock“, das von Percussionist Mauro Refosco auf einem riesigen Didgeridoo begleitet wird, und „Skip Divided“, bei dem Flea den Bass gegen eine aufgepimpte Melodica austauscht, stechen hervor. Später übertrumpft er sich selbst mit einem Donner-Bass im Gegenspiel mit Yorkes flehendem Gesang bei „Harrowdown Hill“.

Nach einer kurzen Pause kommt Yorke, Gitarre um den Hals, allein zurück auf die Bühne. Er singt zwei neue Songs, „Daily Mail“ und „Let Me Take Control“, eine Ballade im besten Neil-Young-Stil, und beendet das poetische Intermezzo mit einer bestechend klaren Klavierversion von „Everything In Its Right Place“ aus Kid A.

Dann werden die Bandagen wieder härter angezogen: Die Band knallt den Zuhörern eine komplett Stereoid-gedopte Version von „Paperbag Writer“ um die Ohren und beendet die Show nach knapp 90 Minuten mit Yorkes 2009er-Single „Feeling Pulled Apart By Horses“. Yorke und Flea stehen sich dabei wie zwei Gunslinger kurz vorm Duell gegenüber, starren sich an und spielen das düstere Bassthema unisono, während der Rest der Band den Song in orgiastische Hysterie steuert.

Es ist der Höhepunkt einer Show, die rein visuell wesentlich unaufgeregter als eine Radiohead-Show abläuft: Sicher, Fleas türkisfarbene Schockfrisur, seine funky Moshpit-Zuckungen und Yorkes gelegentliche Spasmo-Tanzschritte sind unterhaltsam, doch wirklich beeindruckend ist die Vertrautheit, mit der die Band zusammenspielt, die Frischzellenkur, die sie bekanntem Material verpassen, und die Leichtigkeit, mit der sie eine Horde überhitzter und erschöpfter Menschen in einen glücklich-sabbernden Mob verwandelt. An diesem Abend öffnet sich nicht nur New Yorks verrotteter Untergrund, sondern es tut sich für alle Fans von Radiohead und Thom Yorke eine neue Dimension auf.

Albumkritik Flying Lotus ME 5/10

www.theeraser.net/Stage1UK