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Atonal 2018: Raus aus der Wohlfühlblase!


Das Berliner Atonal Festival war noch nie was für schwache Nerven. Warum es sich auch für Nicht-Avantgarde-Fans lohnt, sich mal wieder von der „Berliner Krankheit“ infizieren zu lassen? Darum.

„Berliner Krankheit“ nannte die pikierte Presse das, was 1981 bei der „Großen Untergangs-Show“ auf dem „Festival Genialer Dilletanten“ aus den Verstärkern wummerte. Für ungeschulte Ohren (und das waren in Zeiten, als Techno noch nicht in jedem Waschsalon lief, wahrscheinlich 99 Prozent der Bevölkerung) war das, was Bands wie die Einstürzenden Neubauten, Die Haut, Sprung aus den Wolken und Malaria! da auf der Bühne veranstalteten vor allem: brachialer, unerhörter Krach.

Für Dimitri Hegemann, der später den Techno-Club Tresor gründen sollte, war es eine Offenbarung. Obwohl er, wie fast alle seine Künstlerfreunde zu der Zeit, total pleite war, brachte er 1982 im SO36 ebenjene Vordenker auf eine Bühne, um die Berliner Experimentalszene mit denen anderer Städte zu vernetzen. Das erste Atonal war geboren. Die „Berliner Krankheit“ wurde zum anarchistischen Gegenpol des weichgespülten NDW- und ABBA-Mainstream-Sound und prägt als musikalischer Wegweiser bis heute.

„Chaos-Forschung“ nannte Hegemann das, was bei den ersten pausenlosen (!) mehrtägigen Veranstaltungen passierte. Zwischen 1982 und 1990 Acts holte er Acts wie Psychic TV, Laibach und 808 State auf die Festivalbühne. Der Detroit-Techno-Pionier Jeff Mills spielte mit seiner damaligen Band Final Cut auf dem Atonal 1990 sogar seinen ersten Berlin-Gig jemals. Ob es dieser Auftritt war, der Hegemann davon überzeugte, sich ab 1991 ganz dem Techno und seinem neugegründeten Club Tresor zu verschreiben, weiß nur er allein.

Fakt ist: als das Atonal 23 Jahre später wieder aus seinem Dornröschen-Schlaf erwachte, hatte das Musikpublikum sicherlich schon weitaus Schlimmeres gehört als verstimmte Gitarren und Noisemusik. Die Sache mit dem weichgespülten Mainstream aber ist die gleiche geblieben. Deshalb tritt das Atonal auch 2018 noch an, der musikalischen Avantgarde eine Bühne zu bieten. Denn auch wenn die Einstürzenden Neubauten mittlerweile die Elbphilharmonie einweihen, gibt es zum Glück noch genügend andere spannende Vordenker.

Atonal 2018: Das sind die Highlights

Eines der Highlights für das vom Musikexpress präsentierte Festival vom 22. bis 26. August ist sicherlich der britische Produzent Darren Cunningham alias Actress, dessen jüngstes Album LAGEOS mit dem London Contemporary Orchestra von uns jüngst mit einer *****-Besprechung gefeiert wurde. Maschinen-Nerd Helena Hauff aus Hamburg erschließt mit ihrem analogen Sound das dunkle Reich zwischen Industrial, Techno und Dark Wave so, als würde man es zum ersten Mal hören. Lena Willikens vom Düsseldorfer Comème-Label bringt ihren weirden Art-Techno-Entwurf aus dem Salon des Amateurs nach Berlin.

Die kolumbianische Soundkünstlerin Lucrecia Dalt feiert die Weltpremiere ihres „Synclines“-Projekt, das auf ihrem aktuellen Ambient-Album ANTICLINES fußt. Außerdem am Start sind die British Murder Boys (einst DJ-Stammgäste im alten „Tresor“) – und die erste umfassende Liveadaption von Gábor Lázárs UNFOLD-Doppel-LP, auf der 2-Step, Grime und Electro lustig vor sich hin mutieren.

Den Rest des umfangreichen Programms entnimmt man am besten der Homepage des Festivals (dort gibt es auch Festivalpässe zu kaufen). Auf dem Festival, das mehrere Locations auf dem Kraftwerk-Gelände nutzt, werden insgesamt über 100 Acts zu hören und zu sehen sein, dabei auch einige Premieren und extra für das Atonal zusammengestellte Kooperationen.

Berlin Atonal Festival, 22. bis 26. August 2018, Kraftwerk Berlin