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DAS MOTIV

Das Foto stammt aus den späten 60er-Jahren und zeigt den Torso einer auf einem weißen Laken liegenden Frau, der Gattin des Fotografen Harry Peccinotti, von der Seite auf einem unbestimmbaren Untergund und vor einem unbestimmt marshimmelfarbenen Hintergrund. Ihr Gesicht sehen wir im Profil, die Hände hat sie zwischen ihre Brüste gelegt. Ein typischer Akt der Ära, was in protofeministischen Zeit nicht als anstößig galt. Heute, in neopuritanischer Zeit, ist das anders, da wird ein solches Motiv als NSFW bezeichnet – not safe for work.

DER STIL

Harry Peccinotti ist ein Klassiker unter den erotischen Fotografen, und das hat mit einem italienischen Reifenhersteller zu tun. Pirelli lässt seit 1964 einen unverkäuflichen Kalender produzieren, den die Firma an Freunde des Hauses verschenkt, an Händler also und Werkstätten. Was dort dann Jahr um Jahr zur Freude der meist männlichen Mechaniker wie Kunden an den Wänden hing, wurde mit der Zeit zu einer Ikone der „erotischen Fotografie“.

Mal wurden die Arbeiten von Größen wie Bruce Weber, Herb Ritts, Richard Avedon oder Karl Lagerfeld gerühmt, mal wurden sie zensiert -wie die Entwürfe von Helmut Newton. Peccinotti war es, der mit seinen Kalendern 1968 und 1969 erstmals das Tabu brach, Brustwarzen zu zeigen. Er selbst sagte in einem Interview mit dem „Vice“-Magazin den erfrischend ehrlichen Satz: „Es ist das Deutliche an den Bildern, das sie erotisch macht -nicht umgekehrt.“

DER PROTEST

Auf dem Fuße folgte der Protest. Supermärkte in UK stellten sich quer. Ein Sprecher des Einzelhandesverbandes erklärte: „Supermärkte (…) folgen schon lange (…) eigenen freiwilligen Maßnahmen, dass Publikationen oder andere Waren, die anstößig sein oder von Kindern gesehen werden könnten, diskret platziert werden.“ Sony reagierte prompt: „Wir mussten die Brustwarze für den Verkauf in Supermärkten verdecken. Sonst hätten sie die Ware nicht verkauft.“

DIE REAKTION

Liam Gallagher hat, was es dazu zu sagen gibt, in Sätze von einer solchen Klarheit verpackt, dass wir sie hier – unzensiert – wiedergeben: „Es ist sexy. Ich bin immer für eine 60er-Jahre-Titte zu haben. Einen 60er-Jahre-Nippel würde ich niemals verschmähen. Es ist definitiv nicht sexistisch. Es ist sexy, ein Nippel, den du mit nach Hause nehmen und deiner Mutter vorstellen könntest. Es ist kein Porno, oder? Es ist klassisch, Mann. Ein klassischer Nippel.“

DIE VORLÄUFER

Die Lösung war ein schnöder schwarzer Aufdruck an der beanstandeten Stelle. Dass das auch kreativer geht, zeigen drei historische Beispiele. So etwa AMORICA von den Black Crows, wo das Foto eines Bikini-Unterteils (Schamhaare!) durch ein stilisiertes Dreieck vor schwarzem Hintergrund ersetzt wurde. Ein Klassiker ist Roxy Musics COUNTRY LIFE, das ursprünglich zwei halbnackte Diven vor einem Busch zeigt – in der zensierten Version waren sie quasi komplett in den Büschen verschwunden. Besonders wirksam, weil längst vergessen, war die Zensur im Falle von Bon Jovi. Ursprünglich war der Titel SLIPPERY WHEN WET nämlich nicht auf eine beschlagene Scheibe geschrieben, sondern auf das nasse T-Shirt einer Dame gedruckt.