Beck – „Das Bild sollte für sich selbst sprechen.“


„ Über Scientology mag er wieder nicht reden. Vielleicht auch besser so. Also sprechen wir mit ihm über die Kunst des Weglassens. Auch darüber, dass er sich selbst manchmal gern weglassen würde, könnte er nur in einer echten Band spielen. Und wir reden über die "moderne Schuld", der keiner auskommt. Am Ende sogar: über den Glauben.

Die Backstage-Katakomben der Berliner Columbiahalle sind ein merkwürdiger, fast bedrückender Ort. Schmale Gänge mit blutrot getünchten Wänden, von denen verwirrend viele Türen abgehen, in denen schwere schwarze Ledersessel stehen, nur von einem funzeligen Oberlicht erhellt. Gedämpft klingt aus der Halle die Musik, wo Beck nebst Band gerade seinen Soundcheck abhält und dabei, so scheint es, das komplette neue Album modern guilt zum Besten gibt.

Als der Künstler mit einer Stunde Verspätung auftaucht, wirkt auch er eher merkwürdig und bedrückend. Fast wie ein junges Mädchen sieht er aus mit seinen mehr als schulterlangen Haaren, doch sein Gang ist seltsam gebückt, fast erwartet man, dass er gestützt werden müsste. Und tatsächlich hat der Mann vier persönliche, unwirklich schöne Assistentinnen, deren Aufgaben präzise verteilt sind: Eine koordiniert seine Reisepläne, eine achtet darauf, dass er rechtzeitig auf die Bühne kommt, eine erledigt die Kommunikation – und eine ist dafür da, dass er regelmäßig sein Essen bekommt.

Wir fühlen uns beobachtet, und Beck würde sich sicherlich auch beobachtet fühlen, wenn da nicht… Natürlich, Scientology. Vermutlich ist er das gewohnt. Spätestens seit seinem Outing im New York Times Magazine im März 2005 ist kein Artikel über Beck mehr denkbar, in dem nicht daraufhingewiesen wird: Beck Hansen, musikalischer Freidenker und Allesverwerter und als Künstler immer wieder gut auch für einen Fingerzeig über den Pop hinaus, gehört zur dunklen Seite der Macht.

Vor allem Fans wissen nicht so recht, was sie denken sollen: Dass Beck endlich auch mal ausführlich zu Scientology Stellung beziehen sollte. Oder dass es gut ist, dass er wenigstens nicht auch noch versucht, als Missionar in der ihm gegebenen Öffentlichkeit hausieren zu gehen. Allerdings ist das auch nicht die Strategie von Scientology – eher werben dort Prominente Prominente. Was Beck vor Jahren mit Adam Green versucht haben soll, der erzählte das später der Presse, und so kam das Gerücht über Becks Mitgliedschaft erst ins Rollen.

Wenn Beck doch einmal über Scientology spricht, kann es gruselig werden. Was er auf die Frage „Sehen Sie denn die Möglichkeit, kritische Worte zu Scientology zu sagen, ähnlich wie es Christen in Bezug auf die Institution Kirche tun?“ von Spiegel Online im März 2005 antwortete, klingt wie auswendig gelernt: „Was ich in Scientology sehe oder was ich mit Scientology erlebt habe, ist zu 100 Prozent positiv.“ Sollen wir nun also dankbar oder enttäuscht darüber sein, dass sich das Thema auch im Gespräch mit dem ME sehr schell erledigt hat?

Herr Hansen, wir wurden gewarnt, Sie auf Scientology anzusprechen. Warum?

Weil ich als Künstler hier bin, nicht als Botschafter einer Kirche.

Hängen Glauben und Kunst nicht zusammen?

Kann sein.

Aso?

Das Thema ist zu umfangreich und kontrovers, als dass es hier in einer Dreiviertelstunde erschöpfend abgehandelt werden könnte, und das Risiko von Missverständnissen ist sehr groß …

Die Essens-Assistentin, die zum Anfang des Gesprächs noch um uns herumwuselt, verschwindet und kommt gleich wieder zurück. Wie beiläufig legt sie ein digitales Aufnahmegerät auf den Tisch, schaltet es ein und verlässt grußlos den Raum.

Das war deutlich. Womit sollten wir denn Ihrer Meinung nach beginnen?

Mit etwas vermeintlich Nebensächlichem vielleicht. Und dann schauen wir, wohin uns das führt.

Einverstanden. Der Erscheinungstermin Ihres neues Album ist vorgezogen worden. Warum?

Das Album hätte schon im Juni rauskommen können, aber da arbeiteten wir noch an dem Cover.

Wenn das Cover das Gesicht der Musik ist, was sind dann die Videos?

Puh, keine Ahnung. Ich weiß nie, wer sich das anschaut. Früher haben wir Videos gemacht mit Regisseuren wie Michel Gondry und so, teuer und gut. Seit SEA change aber habe ich angefangen, die Videos in Eigenregie zu machen – für maximal 1000 Dollar. Kleine Home-Video-Projekte, die sich die Leute vielleicht online anschauen, das wäre okay.

Ist das eine Rückkehr zur Do-it-yourself-Attitüde der frühen Tage?

Ganz genau. Ich habe immer versucht, mir einen Teil dieser Attitüde zu bewahren. Bei den Clips mit Riesencrew und Riesenbudget geht immer auch etwas verloren, das man vielleicht Charme nennen könnte. Das „Loser“-Video dagegen hat mich 2000 Dollar gekostet. Ein Freund von mir, ein Filmstudent, hatte zufällig noch ein paar Meter Filmrolle im Tiefkühlschrank, und das war’s. Ich finde, das repräsentiert meine Musik besser als viele dieser hochpolierten Produktionen.

Was ist mit der Produktion der Musik? Hat die nicht auch etwas uon ihrem Charme verloren?

Zwischendurch vielleicht,ja. Aber das aktuelle Album habe ich in meinem Studio zu Hause aufgenommen, weitgehend ohne Gastmusiker oder so, ganz allein. Das Einzige, was sich im Vergleich zu früher geändert hat: Ich habe bessere Mikrofone! Als ich angefangen habe, waren die Dinger von Radio Shack, einer Ladenkette für Unterhaltungselektronik…

Machten diese Beschränkungen nicht den Reiz der Musik aus?

Ihre Magie, ja. Weil es da immer Dinge gibt, die du nicht kontrollieren kannst. Es ist verdammt schwer, irgendeinen spezifischen Ausdruck auf ein Tonband zu bannen – und genau das irgendwann nochmal zu versuchen. Es geht nicht, es ist tückisch. Und so habe ich das Gefühl, bei jeder Platte, die ich mache, etwas Neues zu lernen.

Was war das bei modern guilt?

Die Art, die Songs zu schreiben. Es war diesmal ziemlich… nackt? Ich hatte nur eine akustische Gitarre, also nichts, hinter dem ich mich hätte verstecken können. Also musste das Songwriting funktionieren. Geschrieben habe ich die Songs alle sehr schnell – und dann entschieden, welche Songs man einfach Wiederhören möchte, welche Songs also auf das Album kommen.

Ein angenehm kurzes Album.

Tja, na ja, für die CD-Ära ist es ziemlich kurz. Gemessen an der Vinyl-Ära ist es recht lang. Es ist länger als Revolver von den Beatles, es ist länger als pink moon von Nick Drake, und ich glaube, sogar länger als Station to Station von David Bowie.

Nun leben wir ja in der CD-Ara, obwohl die auch schon wieder zu Ende geht. Und da gibt es einfach viele Alben von fast 80 Minuten Länge, die gekürzt besser wären…

Sehr richtig. Auf dem Album ist ein Song, der mit der Textzeile beginnt: „I’m so weary of taking out space“, und dahinter steckt die Idee, sich von allem zu trennen, was nicht notwendig ist. Je länger du Musik machst, desto eher wird dir klar, was nicht notwendig ist – und was es definitiv ist. Und irgendwann wird dir klar: Weniger ist mehr. Das zu erreichen und produktiv umzusetzen, ist mein eigentliches Ziel als Musiker…

Wie die Beatles oder Nick Drake?

Ja, unbedingt! Du hörst dir diese unglaublichen Songs an und fragst dich: Verdammt, wie haben sie es geschafft, mit etwas so Simplem davonzukommen? Mit etwas so Einfachem dich doch im Innersten zu berühren? Ich glaube inzwischen, das ist eine Frage der Ökonomie, und das ist es, was große Künstler ausmacht. Man kann diesen Prozess damit vergleichen, in einem dichten Dschungel zu stecken und sich mit der Machete den Weg freizuschlagen, bis du einen offenen Raum hast, eine Lichtung, auf der du frei atmen kannst.

modern guilt klingt aber doch ziemlich dicht. Es gibt jedenfalls eine Menge versteckter Sachen zu hören, da passiert viel.

Du glaubst, es passiere viel. Aber es passiert nicht viel. Das ist eine Illusion. Meistens passieren maximal vier Sachen gleichzeitig. Auf midnite vultures (Album von jppp -Anm. d. Red.) gehen manchmal bis zu 40 Sachen gleichzeitig ab. Voila, das ist die Illusion! Und das ist es, glaube ich, was uns der echte Rock’n’Roll, was uns wirklich gute elektronische Musik lehrt. Jack White von den White Stripes beispielsweise ist ein großer Schüler dieser Lehre.

Wozu braucht es da noch einen Produzenten?

Gute Frage. Ich produziere ja meistens selbst und brauche keinen, der reinkommt und mir eine „Vision“ dessen vermittelt, wie meine Musik klingen soll. Danger Mouse ist ja nicht irgendein Produzent, er hat selbst einen sehr künstlerischen Ansatz. Darüber hinaus versteht er auch etwas von Songs. Die meiste Zeit ließ er mich einfach nur machen, was okay war. Dann wieder ist es sehr hilfreich, ihn um seine Meinung zu bitten. Es ist erleichternd, wenn jemand wie Danger Mouse das dann abnickt, es gibt mir mehr Selbstvertrauen.

Beck mangelt es an Selbstvertrauen?

Klar! Wem nicht? Oft weiß ich s wirklich nicht. Und oft genug veröffentliche ich Musik, von der ich selbst nicht so recht weiß, ob ich sie überhaupt mag. Ich mache sie einfach, und dann ist sie da, die Musik. Mit guten Produzenten ist es so: Sie sind dein Publikum, während du die Platte machst. Dein Korrektiv. Es ist eine seltsame Sache: Immer, wenn du egal welchen Song aufnimmst, fließt etwas von der Präsenz des Produzenten mit ein.

Es gibt da dieses Buch über die Beatles …

… und wie sie ihre Platten aufgenommen haben, genau! Das habe ich kürzlich gelesen) Das ist es, was ich meine: Sie hatten verschiedene Toningenieure für ihre verschiedenen Alben, die festangestellt bei der EMI arbeiteten. Sie waren immer die Beatles, sie waren immer die gleichen Songwriter, es war immer ein George Martin da – und doch klingt jede Platte anders, einfach wegen der Typen, die nur die Knöpfchen gedrückt haben. Tja, das ist die lange Antwort auf die Frage, was ein Produzent bedeutet.

Und die kurze Antwort?

Danger Mouse hat die Drumbeats mitgebracht. Das war’s. Die haben die Songs erst gezündet. Keine unwichtige Sache, finde ich.

Wenn Ihnen die Kollaboration so wichtig ist, warum gründen Sie dann nicht eine echte Band?

Oh, das würde ich liebend gerne tun! Das ist mein Traum! Es gibt so viele Unwägbarkeiten. Wenn ich in meinen Zwanzigern andere Musiker getroffen hätte, bei denen der Funke übergesprungen wäre, ich würde heute eine ganz andere Musik machen.

Inwiefern?

Ich hätte zum Beispiel gern einen echten Bassisten! Und einen Frontmann! Ich mag es nicht, Frontmann zu sein. Ich habe alles versucht – auf dem Kopfstehen, tanzen, posen -, aber ich mag es einfach nicht. Am liebsten wäre ich nur der Songwriter, und noch nicht einmal das. Manchmal wäre es mir sehr recht, wenn ich mich beim Plattenmachen zu drei anderen Typen umdrehen und sagen könnte: Okay, ihr kommt jetzt mit der nächsten Idee. So, wie ich arbeite, das zehrt. Ich brauche für jede Platte fast ein Jahr, um mich zu erholen. Eine Band zu haben, das wäre wie Ferien.

Welche „Schuld“ ist eigentlich genau gemeint mit MODERN GUILT?

Wollen Sie das genau wissen?

Unbedingt!

Es geht um die Schuld, die dann besteht, in unserer Zeit zu leben. Es geht… wie soll ich sagen? Es geht um das Bewusstsein einer Schuld, die darin besteht, eine Playstation, ein Mobiltelefon oder ein SUV (Sport Utility Vehicle -Anm. d. Red.) zu kaufen … und welche Effekte das hat. Ich schätze, zu 99 Prozent ist sich dessen der normale Mensch auf der Straße nicht im Geringsten bewusst. Es ist nicht ihr Fehler, es ist nicht mein Fehler, es ist nicht dein Fehler, es ist nicht einmal der Fehler unserer Väter. Und gleichzeitig ist es doch unser aller Fehler.

Das müssen Sie genauer erklären.

Zum ersten Mal in der Geschichte leben wir alle in einer Schuld, die wir als Individuen gar nicht selbst zu verantworten haben. Es ist eine Art Damokles-Schuld, die über unseren Köpfen schwebt.

Ein Beispiel?

In den USA werden jeden Tag fast 500.000 Handys weggeworfen. In einem einzigen Land! Und es geht weiter: Sie schicken diese Telefone in die armen Länder zurück, aus denen die Mineralien kommen, ohne die wir nicht telefonieren könnten, und dort gibt es kleine Kinder, die unter unmöglichen Bedingungen diese Geräte auseinander nehmen, was hochgiftig ist, um die Reste dessen wieder zu verwenden, was ihnen einmal gestohlen wurde von den Firmen, die diese Länder ausbeuten. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wir uns schuldlos schuldig machen dadurch, dass wir leben, wie wir leben.

Ein sehr katholisches Konzept von Schuld.

Oh, es gibt viele Arten von Schuld, und die katholische Erbsünde kommt dem schon sehr nahe, was ich meine. Weil man dieser Schuld nicht entgehen kann. Wenn ich mir vorstelle, in einer primitiven, also magischen Gesellschaft zu leben: Ich jage und töte das Wild, also versündige ich mich an dem Lebewesen. Töte ich es nicht, lade ich Schuld auf mich, weil ich meinen Stamm nicht ernähren kann.