Bessere Zeiten klang gut


Harte Zeiten für Optimisten: Nach Bushs Wahlsieg steht man wieder mit beiden Beinen im düsteren Hier und Jetzt.

Der Satz ist ein Klassiker des progressiven Bedenkenträgertums. Man bekam ihn immer mal zu hören, wenn irgendwo in einer Fernsehdiskussion o. ä. ein progressiver Bedenkenträger seinen illusionsfreien Blick fürs Ganze zusammenraffte und kopfschüttelnd erklärte: „In so eine Welt kann man doch keine Kinder setzen.“ Der Satz wirkte immer etwas überzogen melodramatisch, wenn man einer Generation angehört, die die drückende Weltangst des Kalten Krieges der 8oer nur vage memoriert und mit den ersten Gedanken ans Kinder-Irgendwohinsetzen – so überhaupt -in den von Entspannungspolitik geprägten 9oern jongliert hat. Die beileibe nicht seligen, aber doch einer optimistischen Grundeinstellung Raum und Nährboden bietenden 90er Jahre endeten am 11. September 2001. Nach den Terroranschlägen ging die Losung um, die Welt werde nun nicht mehr so sein, wie sie vorher war. Drei Jahre später schaut man sich um und denkt an den Satz mit dem Kinderin-die-Wek-Setzen. Sehr gut möglich, dass die Welt noch nie so wenig dafür geeignet war wie heute. Optimisten hatten 2004 keine Konjunktur.

Man muss kein Apokalyptiker sein, um bei einem Rundblick Ende 2004 ein scheeles Gefühl zu bekommen. Wo man hinschaut: Unbill, Katastrophen, Elend, Rohheit, vermeintliche und reale Gefahren. Die Globalisierung und ihre Opfer, der „Krieg gegen den Terror“ und seine organisierten Menschenrechtsverletzungen, der Terror, der immer näher rückt, die Klimaund die Aids-Katatstrophen, gegen die nicht wirklich etwas unternommen wird; der Nahe Osten kocht, Russland baut neue Atombomben, bei uns werden wieder mehr Neonazis gewählt; Arbeitslosigkeit hier, Sozialabbau dort. Und seit der Ermordung des niederländischen Filmemachers Van Gogh durch einen fanatisierten Moslem kreist wieder das Wort vom „Kampf der Kulturen“ und wird „das Ende der Multi-Kulti-Utopie“ diskutiert. Diese Welt ist falschrum. Und je mehr man über die tieferen Zusammenhänge lernt, desto verlockender wird die Option, sein Heil im Eskapismus zu suchen. Was waren noch die Lieblingsfilme der ca. gesamten westlichen Welt in den letzten Jahren? Und welches ist laut ZDF-Umfrage „das Lieblingsbuch der Deutschen“? Wir kennen alle unseren „Herr der Ringe“, und lang schon waren wir überein gekommen, wo in unserer aus den Fugen rutschenden Welt Mordor, das Reich der Finsternis zu suchen ist, das sein unheilvolles Wirken global verstrahlt und in (fast) jedem Saustall die Finger hat: In Washington D.C., bei der Bush-Mischpoke und ihren Kohorten. Die mussten weg. Dann würde alles gut, redete man sich zu.

2004 nun endlich würden sie fällig sein, bei der so der Hype, und er traf wohl zu – „wichtigsten Wahl in der jüngeren Geschichte der USA“. Und eben nicht nur der USA, sondern der ganzen Welt. Sie würden fallig sein, dessen wurde man sich bei jeder weiteren Enthüllung über aufgebauschte Geheimdienstberichte, nichtvorhandene Massenvernichtungswaffen sicherer. Spätestens seit den Horror-Nachrichten über die Folterungen von Abu Ghraib im Frühjahr war es Standard-Ritual von vielen tourenden US-Bands, sich von hiesigen Bühne herab für ihre Regierung zu entschuldigen und wohlfeile „Fuck Bush“-Parolen auszugeben. Das mochte auf Dauer auf die Nerven gehen, andererseits konnte man das Bedürfnis dieser Leute verstehen, sich Distanz zu verschaffen.

Musiker wie Fat Mike von den Punkrockern NoFX verwendeten seit Jahren ihre ganze Energie darauf, Fans und jeden, der ihnen zuhören wollte, gegen Bush zu mobilisieren, im politisierten Underground brodelte es schon lange. Und je näher die Wahl jetzt rückte, bezogen auch immer mehr große Acts Stellung gegen die US-Regierung und ihre aggressive, destruktive Politik, in Songs, Wort und Tat. Die alte Anti-Irak-Kriegs-Allianz schwoll zum Heer, der Beruf des Protestsängers war plötzlich wieder angesehen. Besonders tat sich dabei – im Wissen, damit weite Teile seiner Fangemeinde vor den Kopf zu stoßen –Bruce Springsteen hervor. Sich so eindeutig in den Dienst einer Polit-Kampagne stellend wie selten ein Musiker zuvor, sang der „Boss“ bei Wahlkampf-Veranstaltungen von John Kerry seinen Song „No Surrender“ – die offizielle Hymne der Kerry-Kampagne. Anfang Oktober führte Springsteen eine so auch noch nie da gewesene hochkarätige Koalition von Bands (von veritablen Mega-Acts wie R.E.M., Pearl Jam und Dave Matthews bis zu Indie-Aushängeschildern wie Bright Eyes und Death Cab For Curie) auf der „Vote For Change“-Blitztournee durch die so genannten „swing states“ an, um dort noch unentschlossene Wähler auf die Gute Seite zu holen. Die alte „Rock The Vote -Initiative feierte ein Revival, und Scharen von investigativen Journalisten – allen voran Seymour Hersh und Bob Woodward, Veteranen des politischen Journalismus – stellten die Regale der US-Buchhandlungen mit akribisch recherchierten Reporten über die Machenschaften und Verstrickungen der Bush-Administration und das Desaster im Irak voli. Und dann war da natürlich der barocke Michael Moore, der immer einen prächtigen Spruch auf Lager hatte und der mit seinem lustvoll polemischen Dokumentarfilm FAHRENHEIT9/11 zwar Old Europe bezauberte, in den USA aber – von den republikanischen Kampagnenreitern nach Kräften diskreditiert wie auch seine weniger grellen Kollegen hauptsächlich von ohnehin überzeugten Bush-Gegnern wahrund ernstgenommen wurde. Das „preaching to the converted“ dürfte auch ein Problem der rockenden Aktivisten gewesen sein.

„A vote for Bush is like shitting in your own bed!“ rief Conor Oberst dem Publikum beim „Vote For Change“-Konzert in Philadelphia zu. Dann kam der 2. November. Und über 50 Millionen Amerikaner schissen in ihr Bett, gerade genug, dass es für die ganze Welt reichte. In den Tagen nach der Wahl machte sich lähmende Katerstimmung breit. Kämpferische Töne gab es kaum. Die Foto-Postings, mit denen auf der Website www.sorryeverybody.com traurig Schilder hochhaltende Kerry-Supporter die Welt prophylaktisch schon einmal für die Katastrophen, die Bush & Co. in den nächsten vier Jahren anrichten bzw. ausbauen werden, um Verzeihung baten, wirkten wie Botschaften aus der Geiselhaft. Und man beneidet diese Leute wirklich nicht.

Mit einer – nach der gestohlenen Wahl von 2000 nunmehr vom Wähler legitimierten; Fragen nach Wahlmanipulation kamen diesmal gar nicht auf, so „problemlos“ war die Wahl gelaufen, wie immer man das verstehen mag – gewissenlosen Clique von Kriegstreibern/profitlern und ideologischen Eiferern am Ruder driften die USA ab in einen christlich-fundamentalistischen Rechtsruck mit weitreichenden, langfristigen Auswirkungen. „Für euch sind es vier Jahre“, brachte es Cake-Chef John McCrea bei einem Konzert in Berlin kurz nach der Wahl auf einen der vielen brennenden Punkte, „aberfür uns bedeutetes neue Richter am Obersten Gerichtshof. Und die halten ein Leben lang.“

Aber freilich sind es auch für „uns“ nicht nur vier Jahre. Europa hat mit gutem Grund Anteil genommen an diesen US-Wahlen wie an keinen zuvor. Die Konflikte, die nicht zuletzt die Bush-Politik und ihre Apologeten seit 9/11 angerissen, verschärft, zugelassen haben, fangen gerade erst an, unseren Alltag zu verändern, siehe das ungelenke, aufgeregte Hantieren mit dem Islam und die Integrations-Diskussion (the return of „Leitkultur“!), die geprägt sind von den angstvollen Islamisten-Terroristen-Stereotypen, die uns seit Zeiten mit einer Frequenz von ca. 30 Schockmeldungen pro Woche eingetrichtert werden. Währenddessen Rot-Grün in aller Ruhe die Proteste gegen die Hartz-Reform ausgesessen hat und mit der fortgesetzten Demontage des Sozialstaates im kommenden Jahr ein weiterer Schritt in Richtung „amerikanische Verhältnisse“ gemacht werden wird. Von dem dann wieder die Rechten profitieren können. Die Zeiten bleiben hart für Optimisten. Was das alles mit Musik zu tun hat? Alles und nichts. Die beste Rockmusik, heißt die Faustregel, wird in beschissenen Zeiten gemacht. Four more years – schlecht für den Weltfrieden und das Klima, aber gut für den Rock? Klingt-bei aller Liebe zum Rock – nach keinem rasend guten Deal. Aber jetzt lacht doch mal.