Big country


Dudelsäcke und karierte Kilts zählen zwar nicht zu ihren Requisiten, doch ansonsten lassen die Puritaner aus dem schottischen Hochland keine Gelegenheit aus, nationalen Stolz zu demonstrieren. Zusammen mit Kollegen wie Aztec Camera, Simple Minds, Orange Juice, den Bluebells und den Waterboys verstehen sie sich als Gegenpol zur glitzernden Modewelt der Londoner Metropole. Was es mit der "schottischen Renaissance" auf sich hat, erfuhr Manfred Evert im Gespräch mit Stuart Adamson.

Das einzig Gute am Tower Hotel ist der Blick vom 12. Stockwerk: alte Speicher und Warenhäuser am anderen Ufer des Flusses. Dahinter das Häusermeer Südost-Londons, das sich – zumindest aus der Vogelperspektive schon fast pittoresk ausmacht: der zur schicken Enklave restaurierte St. Catherine’s Dock, das braune Schlammwasser der Themse, Frachtkähne, Kutter, Schlepper, die Dampfer der Greenwich-Linie.

Ich mache eine banale Bemerkung über die Aussicht, aber Stuart Adamson ist nicht beeindruckt. „Der Forth“, sagt er, „ist an der Stelle, wo ich wohne, fast drei Kilometer breit.“ Mit anderen Worten: Sprich mir nicht von der englischen Themse, diesem Bächlein.

Der Forth ist natürlich in Schottland. Und Adamson ist Schotte durch und durch. So wie die Musik seiner Band, Big Country, so wie die vielgerühmte/vielgeschmähte „Dudelsack-Gitarre“. Wie viele seiner Landsleute ist er auf die englischen Vettern im Süden nicht gut zu sprechen, setzt er der angelsächsischen Arroganz kreatives Selbstbewußtsein entgegen, eine Art Nationalismus, der durch (bisweilen zynischen) Humor akzeptabel wird. Adamson begreift sich als Teil dessen, was man die „schottische Renaissance“ nennt. Die manifestiert sich momentan in allen Künsten, namentlich in der Popmusik – man denke an Aztec Camera, Simple Minds, Waterboys, Associates, Orange Juice etc.: aber auch im Film (zum Beispiel der Regisseur Bill Forsyth) oder in der Literatur: Alasdair Gray („Lanark“, „1982, Janine“) etwa gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren der englischen Sprache.

„Es ist komisch“, sagt Adamson, „daß du Alasdair Gray erwähnst. ,Lanark‘ ist ein brillantes Buch, ein großer Roman. Ich fühle mich Gray sehr verwandt, seiner Art zu schreiben. Wir machen in unserer Musik etwas Ähnliches wie er in seinem Roman. Die eine Hälfte unserer Musik wurzelt in der schottischen Tradition, die andere Hälfte weist in die Zukunft.

Aber um auf die sogenannte schottische Renaissance zurückzukommen: Es ist wahr, daß kreative Leute in Schottland jetzt eine viel größere Chance haben, sich durchzusetzen als noch vor, sagen wir, einem Jahrzehnt. Früher haben die Leute nur nach London geschaut.“

Gegen diese London-Fixierung hat sich Stuart Adamson seit jeher gewehrt: die Vorwürfe, er sei letzten Endes ein Hinterwäldler, der Opas Folk-Rock aufmotze, nimmt er konsequenterweise gelassen hin. Seine Bodenständigkeit, oder nennen wir es Heimatverbundenheit, ist ihm notwendiges Gegengewicht zum ungeliebten Rockzirkus.

„Stolz und Nationalismus scheint den Schotten angeboren. Warum, weiß ich nicht. Vermutlich erwächst er aus dem Gemeinschaftssinn, der ist sehr, sehr stark in Schottland. Den gibt es in London zum Beispiel überhaupt nicht. Die folkloristischen Anklänge in unserer Musik haben viel damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin.“

Aber hat der übertriebene Nationalstolz nicht auch mit dem Minderwertigkeitskomplex der Schotten den Engländern gegenüber zu tun?

„Ganz gewiß. All dies Selbstvertrauen, das sich jetzt in Schottland äußert, ist kein wirkliches Selbstvertrauen. Es ist eine Fassade, um unseren Minderwertigkeitskomplex zu kaschieren. Hier in London werde ich doch dauernd angemacht. Sobald die Leute meinen Akzent hören, heißt es: ‚Geh nach Hause, du gehörst hier nicht her.‘ Das ist so schäbig.“

Zu Hause, das ist für Stuart Adamson die Stadt Dunfermline am River Forth, nur wenige Kilometer nördlich von Edinburgh. Es ist eine Industrie- und Hafenstadt, die bessere Zeiten gesehen hat, ein ehemaliges Zentrum des Kohleabbaus, doch „nur zwei Zechen sind noch übrig, eine davon verfällt allmählich während des laufenden Streiks“.

„Dafür“, fährt Adamson fort, „haben wir einen Kriegshafen für Atom-U-Boote, ein weiteres Beispiel dafür, wie die Engländer Schottland mißbrauchen. Naja, das hat Tradition.“

„Gott sei Dank“, meint Adamson, „haben wir Schotten einen gesunden Zynismus, und auch einen Optimismus, selbst wenn die Zeiten schlecht sind. Ich liebe Schottland. Ich möchte nirgendwo anders leben.“ Ihr neues Album STEELTOWN nahmen Big Country nichtsdestotrotz fern der Heimat auf, nämlich in den Abba-eigenen Polar Studios in Stockholm.

„Das war Steve Lillywhites Idee. Aus Steuergründen mußte er ein Jahr außerhalb Großbritanniens leben. Deswegen haben wir das Album in Schweden aufgenommen. Das Studio war hervorragend, eines der besten, in denen ich bisher gearbeitet habe. Aber trotzdem, ich war froh, als wir wieder hier waren. „

STEELTOWN liegt musikalisch auf derselben Linie wie Big Countrys Debütalbum. Starke folkloristische Einflüsse, die Zwillings-Gitarren, der Verzicht auf alle elektronischen Hilfsmittel.

„STEELTOWN ist“, findet Stuart Adamson, „weit härter als unser erstes Album, direkter. Ich bin zwar immer noch ein eher romantischer Songwriter, aber bei den neuen Songs kommen die Konturen doch viel stärker heraus.“

Die Musik von Big Country wird von allen vier Mitgliedern der Band geschrieben, die Texte nach wie vor ausschließlich von Adamson. An denen arbeitet er, wie er sagt, praktisch ständig: „Ich trage immer ein Notizbuch mit mir herum. Das muß immer zur Hand sein, damit ich die Ideen, wann immer sie mir kommen, gleich notieren kann. Ich forciere meine Einfälle nicht. Ich möchte, daß sie ganz natürlich aus mir herauskommen, so daß ein reiner, unverfälschter Text entsteht.

Ich suche nicht nach einer bestimmten Form, ich will, daß die Ideen fließen. Ich liebe es zu schreiben. Das ist mir ein fast körperliches Vergnügen. Ich schreibe unheimlich viel. Ich gehe gern mit Worten um. Ich liebe es, Ideen in Worte umzusetzen, Worte in Sätze, Sätze in Strophen und so weiter.

Ich folge aber nicht den Grundsätzen einer etablierten Poetik; auf einem derart hohen Niveau bewege ich mich nicht. Ich bin, im strengen Sinne, kein Dichter.“

In etlichen seiner Texte hat Adamson politische bzw. soziale Kommentare versteckt. So ist „East Of Eden“ eine indirekte Absage an die gesellschaftlichen Systeme in Ost und West; so behandelt „Raindance“ unterschwellig den Konflikt der Geschlechter („Alle Männer haben Angst vor Frauen“, Adamson); so weist der Titelsong auf die wirtschaftliche Depression in Großbritannien. Aber Adamson kleidet seine Botschaft nicht in die Form abstrakter Statements. Er ist kein Prediger mit dem erhobenen Zeigefinger.

„Ich stelle Fragen, und persönlich weiß ich auch die Antwort, aber ich gebe sie nicht in meinen Liedern. Ich beschreibe Dinge. Zum Beispiel in ‚Steeltown‘. Vor etwa 20 Jahren hat die britische Regierung überall im Land neue Industrien angesiedelt und um diese Industriekomplexe Städte gebaut, Orte wie Milton Keynes oder Corby. Aus dem ganzen Land zogen nun Arbeiter in diese Städte.

‚Steeltown‘ erzählt die Geschichte eines solchen Arbeiters, der in eine solche Stadt zieht. Zuerst ist alles gut, es gibt Arbeit. Aber dann schließt die Fabrik. Es gibt nichts mehr, nur noch eine Stadt voller Menschen, wo es nur noch stillgelegte Fabriken und keine Arbeit mehr gibt.

Indem ich über solche Sachen schreibe, bringe ich die Rockmusik zurück auf eine menschliche Ebene. Und dann kann die Musik auch wieder zu einer wirklichen Kommunikationsform zwischen den Menschen werden, so wie es früher in allen Volksmusiken war. Das zu erreichen – oder zumindest zu versuchen ist, glaube ich, etwas sehr Wertvolles.“

Diese Kommunikation glaubt Adamson bei Konzerten herzustellen. Er glaubt, mit Big Country eine emotionale Spannung zu erzeugen, die von Band und Publikum gleichermaßen empfunden und geteilt wird.

„Für dies ganze Rock-Gehabe habe ich nichts übrig. Das verachte, das hasse ich. Dies ganze Spiel namens Popbusineß ist fürchterlich. Aber in diese Rolle laß ich mich nicht pressen. Ich bin Musiker. Ich bin nicht irgendein Symbol, ich bin kein Star. Ich weiß, daß die Medien mich dazu machen, aber dafür bin ich nicht verantwortlich. „

Stuart Adamson ist jetzt 26 Jahre alt. Vier Jahre, sagt er, gibt er sich noch. Dann ist Schluß mit der Rockmusik.

Ich weise ihn darauf hin, daß das vor ihm schon andere Leute gesagt haben, die dann mit 40 immer noch auf der Bühne standen.

„Ich weiß, ich weiß. Aber ich versichere dir, ich bin kein Lügner. Ich meine es ernst. Wenn ich 30 bin, dann bewerbe ich mich um einen Job als Englischlehrer.“

In Schottland natürlich.