Bin Ich Jetzt Schon Deutsch Rocker?


Keine Sorge, , alles noch im grünen bzw. rosigen Bereich. So wie momentan offenbar so ziemlich alles im Leben des abermals solo gehenden Arztes.

In den nachmittäglich sonnendurchfluteten Räumen des ansonsten menschenleeren Restaurants „Berliner Betrüger“ auf der Hamburger Schanze sitzen Bela B und Marcel Eger und plaudern über die Fährnisse des FC St. Pauli, dem der eine als langjähriger Fan, der andere als Abwehrspieler eng verbunden ist. Bela sagt ein paar Mal „wir“, als es um den FC geht, hält plötzlich inne und fügt an: “ Wenn ich mal so ,ivir‘ sagen darf.“ Ein recht typischer Bela-B-Moment. Eger ist Hobbyschlagzeuger und von B eingeladen worden, auf einem Song seiner neuen Platte zu trommeln. Jetzt ist er hier vorbeigeschneit, um sich sein Exemplar der pressfrischen Vorab-CD abzuholen, und Bela hätte leichtes Spiel, dem etwas star-struck 25-Jährigen ein bisschen den Coolman vorzumachen. Stattdessen ist er darauf bedacht, sein tief empfundenes Pauh-Fantum nicht ranschmeißerisch rüberkomrnen zu lassen. Der vollen Entfaltung der Rockstar-Attitüden und Dicke-Hose-Klischees, mit denen das flamboyanteste Mitglied der Die Ärzte schon immer gern spielte, standen immer ein bisschen seine guten Manieren und Gentleman-Tugenden im Weg. Was sympathisch ist – und freilich erst den wahren Coolman ausmacht. Annähernd unangenehm hat dieser Reporter den B nur einmal erlebt: Beim Pressetag für sein erstes Soloalbum BINGO war dessen nervöse Anspannung so dominant, dass das Gespräch verkrampft im Ungefähren versuppte. Heute ist das ganz anders, aber so locker nun auch wieder nicht: Sich Eger später am Nachmittag spontan anzuschließen, der sich den frisch angelaufenen „Inglourious Basterds“ anzuschauen gedenkt – da soll übrigens ein interessantes Star-Cameo drin vorkommen – wird sich Bela B wohl abschminken müssen. Heute ist Promotag. Und es gibt ja auch häusliche Pflichten.

Stimmt das: Du läufst heute im Kino an?

(lacht, abwehrend) Ich lauf nicht im Kino an.

Du bist aber in dem Film drin?

Ich hab Quentin Tarantino vor zwei Jahren kennengelernt, als ich ihn für eine Zeitung interviewt hab. Da habe ich ihm eine Ärzte-Best-of geschenkt und die BINGO – die fand er super, besonders weil da Lee Hazlewood drauf war. Als sie dann so lange in Berlin gedreht haben, hat sein Büro mich mal kontaktiert, ob ich Lust hätte, ihn mal wieder zu treffen. So ist das dann … aber ich spiel in dem Film nicht mit. (Pokerface) Ich steh ja nicht mal im Abspann. Aber mir hat jemand gesagt „Da ist einer drin, der sieht aus wie du!“

Trägt der eine Nazi-Uniform?

(lacht) Ja, ich glaube, er trägt eine Nazi-Uniform …

Beim Interview zu deiner ersten Soloplatte vor drei Jahren hatte ich das Gefühl, dass du sehr angespannt warst.

Ein ähnliche Anspannung hab ich jetzt natürlich auch, weil das eine sehr wichtige Platte für mich ist. Das zweite Soloalbum soll ja jetzt belegen: Der meint’s ernst. Nach allem, was passiert ist – der unglaubliche Erfolg mit den Ärzten, wir hatten ja mit der letzten Platte mit das erfolgreichste Jahr der Bandgeschichte, wobei sicher reinspielt, dass wir als Band wieder so zufrieden miteinander sind, und was bei mir privat passiert ist – war ich nicht sicher, ob ich so ne Platte noch mal hinkriege. Und plötzlich ist es einfach geflutscht.

Ein Schlüsselsong dürfte „In diesem Leben nicht“ sein.

Der Song ist einerseits eine Verarbeitung einer Nah-Tod-Erfahrung von vor zehn Jahren, wo ich lange brauchte, darüber zu schreiben. Und sicher hat der Song auch was mit meiner momentanen Situation zu tun. Ich befinde mich, meine ich, momentan in der glücklichsten Zeit meines Lebens.

Man darf es mal aussprechen: Du bist Vater geworden. Als ich das vorhin erfahren hab, wurden mir ein paar Sachen auf der Platte klar.

Dieser Spirit, den der Song beschreibt – wenn der Knoten platzt und du anfängst, alles leicht zu nehmen. Natürlich darf ich als Künstler dieses Gefühl „jetzt hin ich angekommen“ gar nicht ganz zulassen.

Du singst von der „vertanen Zeit“. Bereust du was?

Bereuen tue ich Zeit, die man sich mit Angstzuständen und unnötiger Aufregerei schwer gemacht hat. Als ich damals diesen Unfall hatte und haarscharf am Tod vorbeischrammte, war das gerade eine recht ätzende Zeit gewesen mit der Band und so – und das war auf einmal alles unwichtig. Dieses Gefühl habe ich im Hinterkopf behalten. Aber es musste jetzt wohl erst das passieren: dass ich in einem Punkt des Lebens bin, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich da mal hinkomme: dass ich mal Vater bin. Es geht um das Abschütteln der alten Haut und das Erkennen, wie viel von der geilen Zeit, die du hättest haben können, du vertan hast.

Sehr introspektiv, wie schon das „Lied vom Scheitern“ auf der letzten Ärzte-Platte …

Als junger Musiker oder Kunstschaffender bist du jawie in dem Song „Als wir unsterblich waren“ beschrieben – nicht verpflichtet, dich selbst zu betrachten und selbst zu beurteilen. Du hast ja den Freibrief, dich zu benehmen wie eine Wildsau. Du hast sogar die Verpflichtung dazu, dich da auszuloten und das Größtmögliche rauszuholen. Nun habe ich ja als Künstler einiges erlebt und da kommt heutzutage dann auch mal Selbstreflektion ins Spiel. Also: Immer mal wieder. Das ist ja eigentlich ne gute Sache. Oder bin ich jetzt schon Deutschrocker?

Hm. Dazu fehlt noch die Betroffenheits-Komponente.

(erleichtert) Okay. Bin ich betroffen irgendwo auf der Platte? Nee, oder? Puh.

Auf der dritten dann.

Ich hoffe, dass ich das so geschickt hinkriege wie Jochen Distelmeyer, der in einem Interview gesagt hat, sinngemäß: Jetzt ist mal wieder Schluss mit dem ganzen Reflektieren, jetzt wird mal wieder komplett schwarz-weiß gemalt. Und ich kann dann Betroffenheit zum neuen Kult erklären und ein Betroffenheitsalbum machen.

Apropos „Als wir unsterblich waren“. Ist es schon Zeit für den Glory-Days-Song?

Den Titel hab ich ja von dem Buch von Tony Parsons übernommen – tolles Buch, toller Song. Das Lebensgefühl, das er da beschreibt, hab ich damals einfach genau so empfunden – wenngleich natürlich die Erlebnisse im London der End-70er anders waren als im Berlin-Spandau der Anfang-80er. Es geht um diese bestimmte Zeit im Leben, wo du dich für die Zukunft, das Endliche nicht interessierst, sondern einfach unsterblich bist.

Wann hast du dich dann zum ersten Mal sterblich gefühlt?

Da gibt’s keinen bestimmten Zeitpunkt. Es kommen dann eben immer öfter Momente, wo du begreifst, dass Dinge endlich sind. Wenn zum Beispiel die soundsovielte Beziehung zu Ende geht, von der du wirklich geglaubt hast, dass sie für immer hält. Jetzt mit Mitte 40 bin ich natürlich definitiv abgeklärter, als ich es vor 20 Jahren war. Aber als Texter, als Künstler halte ich immer noch diesen Zwölfjährigen in mir am Leben. Eine gewisse Infantilität muss ich mir bewahren nenn es von mir aus „berufsjugendlich“ – um fanmäßig, offen und begeistert Musik zu machen. Das ist der Motor.

Apropos Distelmeyer: Dein Song „Schwarz/weiß“ ist ja auch so ein Stoßseufzer in die Richtung, mal wieder klare Fronten aufzumachen.

Es ist schon so, dass ich ein gewisses Schwarzweiß-Denken durchaus legitim finde und es mich einfach komplett nervt, dieses ständige Differenzieren und Verständnishaben für alles. Ich will nicht wissen, ob DJ Ötzi privat echt nett ist. Ich will auch nicht hören, dass Dieter Bohlen ja doch einfach nur total ehrlich ist, und „so viele ehrliche Leute haben wir ja nicht“. Auf diesem Nährboden schießt doch der Quatsch nur so in den Himmel.

Wider die Gleichmacherei! Oh Mann, da bist du ja auf einer Linie mit dem Papst!

Haha! Wir haben uns das ja alle über die Jahre anerzogen weil es ja auch nicht richtig ist, immer nur auf den ersten Blick zu urteilen. Aber wir sind an einem Punkt angekommen, wo harte Abgrenzung nur noch als uncool und stur empfunden wird. Aber sorry: Wenn Leute für Attac auttreten und gleichzeitig Werbung für Coca-Cola und Mercedes machen, hab ich dafür kein Verständnis. Oder Leute, die Posteraktionen machen für „Lieber nackt als im Pelz“ und dann beim „Promi-Dinner“ Gänsestopfleber servieren. Was soll das? Das macht das alles so beliebig!

Im „Bobotanz“ persiflierst du dieses ziemlich bigotte neue Gutmenschentum.

Ich hab mal Vorjahren dieses „Durch die Nacht mit…“ mit Julie Delpy gemacht, und irgendwann saßen wir dann mit ihrer besten Freundin zusammen und da haben sie mir diesen Begriff „bourgeoisboheme“ erklärt, der mir nicht geläufig war. Der bezeichnet diese Haltung „grün denken, schwarz wählen“, Bionade trinken, aber gleichzeitig nen dicken SUV fahren. Dieses selbstgerechte Gutmenschentum. Der Prenzlberg in Berlin ist wohl das Epizentrum – in jeder Stadt gibt’s Gegenden, die sind einfach bobo. Und da hab ich jetzt einen Text geschrieben. Einen ziemlich platten Text, aber ich hoffe, damit den Sommerhit des nächsten Jahres zu haben, haha! www.bela-b.de