Bis es knallt


Sagt ein kleiner Punker aus dem Ruhrgebiet zwischen zwei Hansa Pils: „Punk ist nur dann Punk, wenn er was kaputt macht.“ Kurz schwebt der Geist von Joe Strummer in den gammeligen Proberaum und haucht: „Na, das haben wir geschafft!“

Joe Strummer war ein Mann, der erst spät damit anfing, sein Leben zu reflektieren. Doch als er nach rastlosen Jahren die Zeit dafür fand, tat er es gnadenlos. The Clash waren gerade kollabiert, da blickte der Sänger zurück und konnte es selbst nicht fassen. „Wir haben alle Fehler gemacht, die man als Band machen kann. Wir wurden überheblich und brachten trotz Plattenvertrag überambitionierte Platten auf eigene Kosten heraus. Wir waren alle drogensüchtig und fielen übereinander her.“ Am Ende herrschte das blanke Chaos, die Geschichte rund um das finale Clash-Album CUT THE CRAP liest sich wie aus einem Drehbuch von Monty Python: Band kickt der Reihe nach ihre Mitglieder raus, bis am Ende schließlich noch der Sänger und der Manager übrig bleiben. Der Manager rät dem Sänger, für eine Zeitlang zu verschwinden. Der tut genau das, sagt dem Manager jedoch nicht, wohin, worauf der Manager kundtut, dass der Sänger eh nur ein „vorübergehendes Mitglied“ der Band gewesen sei – um dann als Manager die Platte alleine fertigzustellen. CUT THE CRAP? Ein einfaches Crap wäre dem Ergebnis wohl nähergekommen.

The Clash haben sich also selber kaputt gemacht. Das ist die Romantik des Punk. Besser, man zerstört sich selbst, bevor andere es tun. In Joe Strummers Biopic „The Future Is Unwritten“ sagt Bono Vox: „Was mich wirklich an The Clash anpisst, ist die Tatsache, dass es diese außergewöhnliche Band viel länger hätte geben müssen.“ Sicher, Bono? In welcher Form denn? Als reisende Dollar-Revue wie die Rolling Stones? Als sich im Kreis drehende Rock-Maschine wie U2? Als reiner Nostalgie-Act wie die Pixies?

Musiker dieser und anderer Gruppen mit langer Geschichte sagen in Interviews gerne, man gelange mit den Jahren an den Punkt, an dem man die ganze Sache nicht mehr so ernst nehme wie früher. Die Band. Die Musik. Das Leben. Diesen Rat hat der Rock’n’Roll-Clown David Lee Roth auch mal The Clash vor den Latz geknallt. Vor der Kamera sagte er: „Was The Clash nicht verstehen, ist, dass man das Leben nicht so verdammt ernst nehmen darf.“ Großes Gejohle im Publikum. Der Gigolo feixte -und hat zunächst einmal recht: The Clash nahmen sich und das Leben sehr ernst. „Wir versuchen, die beste Band der Welt zu werden“, sagte Strummer 1978 dem „Record Mirror“.“Eine Punkband, die nicht kneift, wenn es darauf ankommt.“ Von ihrem ersten Treffen an führte dieser Ernst The Clash in ein Dilemma. Sie wollten gehört werden, mochten den Erfolg aber nicht. Schrieben Hits, wollten aber nicht, dass es solche werden, da sonst ihre Theorie der bösen Medien, der bösen Musikindustrie und des kaputten Massengeschmacks implodiert wäre. The Clash witterten überall Gefahren -und tappten dennoch in alle denkbaren Fallen. Hat man je einen unglücklicher ausschauenden Junkie gesehen als Schlagzeuger Topper Headon? Und ist das Ende der Band nicht ausgerechnet in dem Moment absehbar, in dem „Rock The Casbah“ ihr größter Hit wird?

Joe Strummer hatte Humor. Aber als Sänger und Songwriter von The Clash nahm er sich besonders ernst – was den später so freundlichen Mann zwischen 1976 und 1986 zu einem komplizierten Kerl machte. Da muss man nur mal seine alten Hippie-Freunde fragen, mit denen er bis 1976 in der Kommunen-Pubrockband The 101ers zusammengespielt hatte. Dann sah Strummer die Sex Pistols – und erkannte augenblicklich, wohin der Zug fortan fährt. Erst forderte der Diplomatensohn sofort die Auflösung der alten Band, dann zögerte er keine Sekunde, als The Clash ihn zu einer Probe einluden: Strummer war dabei. Es blieb nicht einmal die Zeit für ein letztes Tschüß in Richtung der alten Kumpels und Liebschaften, so schnell und humorlos wechselte er das Lager. „Der Tag, an dem ich The Clash beitrat, warf mich an den Anfang zurück, ins Jahr null“, erinnerte er sich später an diese Zeit. Er erklärt: „Zum Punk gehörte, alles, was vorher war, hinter sich zu lassen. Es war ein fanatisches Bemühen, etwas Neues zu schaffen – was wirklich sehr schwierig war.“

Dieses Bemühen ist der Kern der Klasse von The Clash. Und heute beinahe ein Alleinstellungsmerkmal. Etwas Neues zu schaffen – vor diesem Anspruch hat die heutige Bandgeneration, ob Rock, Pop oder Punk, mittlerweile bis auf wenige Ausnahmen kapituliert. Vielleicht haben die Bands keine andere Wahl, weil die Retromania kein Trend, sondern ein popmusikalisches Naturgesetz ist und etwas Neues heute nicht mehr möglich ist. Vielleicht fehlt den Bands aber auch der Mut. Oder vielmehr der Selbstzerstörungstrieb. Denn die Geschichte von The Clash beweist, was schon der Führer der aufrührerischen Girondisten sagte, kurz bevor er 1793 in Paris sein Haupt verlor: „Die Revolution, gleich Saturn, frisst ihre eigenen Kinder.“

The Clash stellten im Verlauf ihrer Karriere drei Mal alles auf den Kopf. Die erste Revolution bedeutete ihr Debüt THE CLASH aus dem Jahr 1977. Für echte Punks hatte die Band schon damals verloren. Die Platte erschien beim Major CBS, das Label zahlte einen Vorschuss von 100 000 Pfund. Und schon steckte die Band im Dilemma, denn sie musste erklären, wie das zusammengehen kann, Punk und Profit, Ehrlichkeit und Majorvertrag. Das Problem war, dass die Band sich gar nicht in der Lage sah, diese Sache zu erklären. Weil sie sich als Punkgruppe ernst nahm, war ihr das Geschäft zwangsläufig egal. Die Business-Entscheidung traf der zwielichtige Manager Bernie Rhodes, und der Band blieb hinterher nur noch die interne Diskussion, ob man es sich erlauben darf, den Song „Career Opportunities“ auf das Album zu packen.

„Career opportunities are the ones that never knock“ – The Clash hatten es am eigenen Leib erfahren. Der Song gelangte dennoch auf die Platte, die fast ein halbes Jahr vor NEVER MIND THE BOLLOCKS von den Sex Pistols erschien. THE CLASH ist damit das erste Album einer der großen UK-Punkbands überhaupt und konterte gleich alle aus, die forderten, Punk müsse unbedingt für musikalischen Dilettantismus stehen. Zwischen all dem Hass und der Wut hört man dem Debüt die Liebe zum Rock’n’Roll an. Die Musik auf THE CLASH ist keine zynische Abrechnung, kein Rotz. Sie ist auch eine Liebeserklärung an den Rock’n’Roll. Nur mit Stacheldraht statt mit Rosen. Wie groß die Kraft dieser Platte ist, zeigt exemplarisch die erste Single „White Riot“. Der halb fiktive, halb dokumentierende The-Clash-Film „Rude Boy“ zeigt die Band 1978 auf dem „Rock Against Racism“-Festival im Londoner Victoria Park, und der Moment, in dem die Band „White Riot“ spielt, gehört zu den intensivsten jemals mit der Kamera festgehaltenen Augenblicken des Rock’n’Roll. Joe Strummer, Mick Jones, Paul Simonon und Topper Headon spielen den Song mit dem Druck einer durchgeschüttelten Bierdose im Hochsommer – und die jungen Leute da draußen nehmen den Druck auf. Pogo, Parolen, Aufbruch pur. Selten ist Punk so greifbar.

Über die zweite Revolution ist schon viel erzählt worden, auch in diesem Magazin. Darum nur kurz: Die Wucht und Vielfalt von LONDON CALLING macht einen noch immer sprachlos. Es ist ihr drittes Album, aufgenommen gut drei Jahre nach der Gründung. In dieser kurzen Zeit adaptierten The Clash Dutzende Stile der Rock-und Popmusik und nutzten sie als Input fürs eigene Songwriting. Vor allem Strummer, aber auf ihren Beiträgen auch Jones und Simonon („The Guns Of Brixton“), entwickelte das Talent, die heißen sozialen Themen der Zeit nicht nur aufzugreifen, sondern auch in Verse zu verpacken, die man zugleich lesen und brüllen konnte. An jedem Tag, so ist zu vermuten, wird LONDON CALLING auch heute noch von einem jungen Menschen entdeckt. Und solange dies der Fall ist, muss man sich um den Rock’n’Roll keine großen Sorgen machen. Denn diese Platte nimmt uns keiner mehr.

Die dritte Revolution von The Clash ist schwieriger zu greifen. Es handelt sich nicht um ein einzelnes Album. Eher um eine Reihe von Songs. Eigentlich aber um eine Grundhaltung. „Für mich funktionierten Joe Strummers Texte wie ein Atlas“, sagt Bono an anderer Stelle in „The Future Is Unwritten“.“Sie verschafften mir und anderen Leuten aus ahnungslosen Vorstädten einen Zugang zur Welt. Sie öffneten uns die Augen.“ Dank The Clash lernte man also auch in Dublin und Düsseldorf die Sandinista kennen, diese unerschrockenen Kerle, die nach langem Kampf 1979 in Nicaragua den verhassten Somoza-Diktatoren-Clan davonjagten. Während die globale Studentenschaft damals häufig unreflektiert und modisch-motiviert Che Guevara vergötterte, kritisierten die Sandinisten den Parteiglauben ihrer kubanischen Revolutionskollegen. Ihre Vision war es, Sozialismus mit Demokratie, Befreiungstheologie und Selbstbestimmtheit der bäuerlichen Bevölkerung zu verbinden. Das las sich auf Papier sehr überzeugend. Dank The Clash wusste man später auch, was ein Casbah ist und dass selbiger zu rocken ist. Oder -in „Ghetto Defendant“ – was den Drogenhandel in den Ghettos der Megacitys mit der Pariser Kommune und dem Lyriker Arthur Rimbaud verbindet.

Wenn man die Clash-Alben SANDINISTA! und COMBAT ROCK heute noch einmal hört, pocht das Herz, sobald man bemerkt, wie aktuell diese Texte heute noch sind. Die simple Parabel „Charlie Don’t Surf“ (nach einem Zitat aus dem Film „Apocalypse Now“) zum Beispiel, die von Charlie handelt, der im Land der Surfer lebt, aber nicht surft, obwohl er surfen kann. Der sich also nicht anpasst, obwohl er sich anpassen könnte. Und weil er genau das nicht tut, regen sich alle, die sich angepasst haben, über ihn auf. Ein Denkschema, das sich noch heute an vielen Stellen beobachten lässt. Auch gibt es eine Clash-Version des alten Südstaatenblues-Standards „Junco Partner“, das von einem ziellosen Junkie-Leben zwischen den Straßen des amerikanischen Südens und dem berüchtigten Gefängnis Angola am Mississippi erzählt. Der Song hat fast 100 Jahre auf dem Buckel, doch wer etwas über die Auswirkungen des Hurrikans Katrina für New Orleans gelesen hat, weiß, wie viele Menschen nach der Flutwelle und bis heute heimatlos und von allen guten Geistern verlassen durch Louisiana irren.

In den frühen Achtzigern spielten The Clash alles, was sie konnten. Und sie konnten fast alles: Mick Jones hatte sich zu einem herausragenden Arrangeur entwickelt, dem es leicht fiel, HipHop und Pop, Gospel und Punk, Reggae und Punk in Einklang zu bringen. Gute Buchverlage beherrschen es, auch überbordende Romane zu verkaufen. Selbst Bücher von schweigsamen Genies wie Thomas Pynchon. Auch die Filmindustrie kennt Wege, mit solchen Werken umzugehen. Doch die Musikindustrie bekam nervösen Ausschlag, als sie von der Idee der Band hörte, SANDINISTA! als Triple-Album zu verkaufen -und zwar zum Preis von einem. Im Dickicht aus Verträgen und dummdreisten Musikmanagern ging der Band schließlich der Arsch auf Grundeis: The Clash trugen selbst die Mehrkosten für die Dreier-LP-Version und funkten Bernie Rhodes um Hilfe an: Save Our Business. Es kam also ausgerechnet der Typ an Bord, der ihnen den schwierigen Deal mit der CBS eingehandelt hatte, ohne zu erklären, um was für einen Vertrag es sich hier handelt – wahrscheinlich, weil er es selber nicht wusste.

So endet die Geschichte über The Clash seltsam und widersprüchlich. Der kleine Punk aus dem Ruhrgebiet jedoch glaubt fest daran, dass dieses Ende genau das richtige, das einzig mögliche ist. „Was hätte denn noch groß kommen sollen“, fragt er, „The Clash bei Live Aid?“ Nein, nein. Punk ist nur dann Punk, wenn er etwas kaputt macht. Und wenn er sich am Ende selbst zerstört.