Bloc Party


Viele wollen es, Bloc Party tun es. Sie nehmen mit jedem neuen Album die Herausforderung des Andersseins an. Nicht nur, was die Online-Vorabveröffentlichung von INTIMACY betrifft.

London, Borough Of Islington. Hier, nördlich der City Of London, haben Bloc Party ihren Proberaum. Er ist Teil eines Studios, das hauptsächlich für Rehearsals genutzt wird. An den Wänden des Vorraums künden verblasste Fotos von der Kundschaft aus vergangenen Tagen: Guns N‘ Roses, Foo Fighters, Red Hot Chili Peppers, Dusty Springfield, Kylie Minogue.

Islington ist zwar nicht das, was man als einen sozialen Brennpunkt bezeichnet, aber der Londoner Stadtteil kann als schönes Beispiel für das schleichende Verschwinden der Mittelschicht in den kapitalistischen Gesellschaftssystemen herhalten. Während einerseits über die Hälfte der Bevölkerung in Sozialwohnungen lebt, hat es hier nicht wenige Immobilien, deren Wert die Drei-Millionen-Pfund-Grenze erreicht. Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair, nachweislich kein Angehöriger der Unterschicht, hat in Islington gewohnt, bevor er berufsbedingt in die Downing Street umziehen musste. Dass sich Bloc Party in diesem multikulturell geprägten Stadtteil auf die ersten Konzerte nach dem digitalen Release ihres neuen Albums Intimacy vorbereiten, passt ins Bild der politischsten Band, die das Post-Punk-Revival der mittleren 00er-Jahre hervorgebracht hat.

Der sehr großzügige Proberaum ist vollgestopft mit dem gesamten Equipment der Band, Gitarren, unzählige Effektgeräte und vintage Verstärker. Als Erster taucht Bassist Gordon Moakes auf. Der 32-Jährige ist neulich Vater geworden, seine Überpünktlichkeit kann diesem Umstand zugeschrieben werden. Kurz danach treffen Schlagzeuger Matt Tong (29) und Gitarrist Russell Lissack (27) ein. Mit einer an Nerdismus grenzenden Sorgfalt widmet sich Tong anschließend im Proberaum der ordnungsgemäßen Platzierung und Einstellung seiner Trommeln und Becken. Während Lissack, Moakes und Tong das Rehearsal rehearsen, ist Sänger Kele Okereke irgendwo, nur nicht im Proberaum. Das scheint aber niemanden zu stören – trotz eines sehr engen Zeitplans zwischen Proben, Interview und Fotosession. Mit halbstündiger Verspätung kommt der 27-Jährige dann auf seinem Fahrrad an. Anschließend spielen Bloc Party die beiden Songs „Ares“ und „Halo“ von ihrem neuen Album Intimacy. Dass diese Proben halböffentlich stattfinden, dass unser Fotograf dabei sein und seiner Arbeit nachgehen darf, ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. Normalerweise betrachten Bands ihre Proben als geheime Verschlusssache.

Anschließend nehmen wir auf einer Art Freisitz im schmucklosen, von lärmerzeugenden Handwerkern besetzten Vorhof des Studios Platz. Kele Okereke hantiert gleichzeitig mit einem iPhone und einem Blackberry herum, um seine E-Mails abzurufen. „Sprich ruhig weiter“, sagt er, „ich höre dir zu.“ Für seine 27 Jahre wirkt Okereke sehr erwachsen, grüblerisch und nachdenklich. Mehrmals während des Gesprächs vergleicht er „seine Generation“ mit der heutigen Jugend. Und wenn er von „seiner“ Generation spricht, wirkt es so, als sei Okerekes eigene Jugend schon vor Jahrzehnten zu Ende gewesen.

Bei kaum einer anderen Band wird der Output von den eigenen Fans so kritisch hinterfragt wie bei Bloc Party. In den einschlägigen Foren und Blogs. Fans sind schon ein seltsames Völkchen. Sie müssen sich mit „ihrer“ Band auseinandersetzen. Der Sympathisant hat es da leichter. Er kann das schlechte Album einer Band einfach ignorieren. Die Fanverwirrung gehört bei Bloc Party zum Gesamtkonzept. „Ein Teil von dem, was uns inspiriert, ist die Vorstellung, Musik zu machen, die die Leute nicht erwarten“, sagt Okereke. „Ich finde es aufregend, dass Bloc Party einen Song mit Trance-Keyboards schreiben dürfen. Und dass wir einen Song wie ,Mercury‘ aufnehmen dürfen, der Bläser hat und keine Gitarren. Wir tun diese Dinge, und entweder gewöhnen sich die Leute daran, oder sie gehen weg“, sagt er und lacht ein unsicheres Lachen.

Grunde zum Gewöhnen oder wahlweise zum Weggehen hat die 2003 in London gegründete Band in den vergangenen Jahren mehrfach geliefert. Das Debütalbum Silent Alarm passte im Jahr 2005 oberflächlich betrachtet so wunderbar zur Maximo-Kaiser-Kooks-Posse, weil es ja schon irgendwie gerockt hat, so wie die Musik der Kaiser Chiefs und die von Queen + Paul Rodgers ja auch irgendwie rockt. Drei Jahre nach dem Debüt wird allerdings klar, dass Silent Alarm das Ungleiche unter vielen damals im Wochenrhythmus erscheinenden Alben von neuen, hoffnungsvollen Bands war – eine Platte für die Ewigkeit, oder was man sich im Pop unter Ewigkeit vorstellt. Viele andere Bands versprachen den nächsten heißen Scheiß, aber brachen das Versprechen schon mit ihren zweiten Alben, Silent Alarm war anders: „She’s Hearing Voices“, der beste Albumopener seit Erfindung der Langspielplatte, die Funkyness und Unberechenbarkeit dieser Musik und die Texte, die einen großen Interpretationspielraum lassen. Zum Beispiel „Helicopter“. Während der Song vom ersten Bloc-Party-Album als Anti-George-W.-Bush-Statement gefeiert wurde, erklärte Okereke, dass es davon handelt, wie jemand aus seiner Lethargie erwacht und Dinge erkennt, die ihm vorher nicht bewusst gewesen sind. Bloc Party suchen das Politische im Persönlichen. „Alles ist politisch, das Persönliche ist auf jeden Fall politisch, und es sollte nicht davon getrennt werden“, sagt er. „Jede Entscheidung, die du fällst, ist abhängig von äußeren Umständen. Ich denke, wir haben eine Meinung. Wir sind nicht The Clash oder Rage Against The Machine, wir schreiben nicht explizit über bestimmte Umstände, aber wir haben Meinungen zur Welt, und die beeinflussen sicher die Art, wie ich Songs schreibe. Wir sind politisch in einem nicht sehr politischen Sinn.“

Im Jahr 2007 folgt das elektronischere A Weekend In The City. Okerekes Texte werden konkreter und persönlicher – die madness des urbanen Lebens, gesellschaftspolitische Themen, die Unfähigkeit, lieben zu können, davon handelt dieses Album. Später im Jahr dann die Interimssingle „Flux“ mit ihrem trancigen Eurotechno-Sound, die auch in einer deutschsprachigen und französischen Version erschienen ist. Beim Gedanken an „Flux“ zieht sich ein breites Grinsen über Kele Okerekes Gesicht. „Das war ein Witz. Nicht einmal in Deutschland wurde der Song verstanden, obwohl wir dachten, dass die Leute dort den Trance-Aspekt vielleicht mögen würden. Ich war erstaunt von den Reaktionen aus Großbritannien. Die Leute haben gefragt: .Was soll das sein? Da sind ja gar keine Gitarren drauf Es war ein Witz, es war nur ein Song, der auch nicht auf der Platte war.“ silent alahm: das Indie-Rock-Album, A Weekend In The City: das „elektronische“ Album, und jetzt Intimacy, das Mittelding aus beiden – was schon an der Wahl der Produzenten deutlich wird: Paul „Phones“ Epworth, der das Debüt, und Jacknife Lee, der das zweite Album produziert hat.

Bloc Party sind ein Faszinosum. Sie verfügen über die Fähigkeit, seltsame, ungewöhnliche, verschlungene, vertrackte Lieder zu „Hits“ zu machen – Songs wie „The Prayer“ (die erste Single von A Weekend In The City) und „Mercury“ (die erste Single von Intimacy). Man muss sich nur darauf einlassen. Wer das bei Bloc Party nicht tut, wird weiterhin Silent Alarm nachjammern und unausgesprochen mit jedem neuen Album den zweiten Teil des Debüts fordern, weil er nicht in der Lage ist, dieser Band zu folgen, die sich von Album zu Album immer ein Stück neu erfindet. „Wir wollen ja nicht absichtlich schwierige Musik machen oder Musik, die die Leute nicht mögen. In erster Linie machen wir das, was wir wollen. Das haben wir schon immer getan, schon von Anfang an. Wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, wer sich unsere Musik wohl wohl anhören würde. Und offensichtlich ändert sich der Geschmack jeden Monat – für dich und mich als kreative Menschen jedenfalls. In den letzten drei bis vier Jahren hat sich mein Musikgeschmack sehr verändert. Dass wir uns verändern, ist nicht beabsichtigt, aber ich bin froh, dass uns die Leute auf diesem Wegfolgen. So geht es mir mit vielen meiner Lieblingsplatten, am Anfang habe ich sie nicht verstanden. Und nach ein paar Mal Höreren fangen sie an, Sinn zu ergeben. Bei mir war das bei Björk so. Homogenic war für mich am Anfang das genaue Gegenteil von dem, was ich davon erwartet habe, und jetzt ist es meine Lieblings-Björk-Platte.“ Bloc Party sind wegen Okerekes Stimme immer als Bloc Party identifizierbar – selbst wenn sie ein Album mit bayerischer Volksmusik aufnehmen würden. Bayerische Volkmusik? Okereke lacht. „Das ist das, was ich an Blur immer so mochte. Sie haben immer musikalische Chancen ergriffen undverschiedene Formen von Musik ausprobiert. Das funktioniert natürlich nicht immer. Deshalb mag ich Blur viel lieber als Oasis. Oasis sind okay. Sie machen ihr Ding und jeder mag es, während Blur immer stilistische Herausforderungen annehmen, sei es ein Dancehall-Song oder ein Stück mit Afro-Beat-Einfluss. Wiegesagt, es hat nicht immer funktioniert, aber sie hatten eine wahnsinnige Bandbreite von Ideen. Und das finde ich aufregend.“

Es ist schwer vermittelbar für manche Leute, dass es durchaus keinen Sinn für Bands ergibt, den zigsten Aufguss ihres ersten Albums herauszubringen. Die Forderung bleibt bestehen, anstatt sich mit der Herausforderung auseinanderzusetzen, sich auf etwas Neues einzulassen. Kele Okerere sieht das zumindest so. „Ich erinnere mich daran, als OK Computer veröffentlicht wurde, fragte jeder am Anfang: Wo sind die Songs? Was soll das? Und dann, als dann Kid A kam, ging das Lamentieren weiter. Ich glaube, es liegt m der Natur der Menschen, neuen Dingen ablehnend gegenüberzustehen, zu sagen: „Es ist nicht so gut wie früher“, weil es anders ist als früher. Das macht mir aber keine Sorgen. Mit jeder neuen Platte, die man macht, verliert man Fans und gewinnt – hoffentlich – neue dazu. Leute, die die neue Platte nicht unbedingt mögen, werden uns vielleicht immer noch als Band schätzen, sie werden hoffentlich weiterhin zu unseren Konzerten kommen und darauf vertrauen, dass wir etwas tun, was es wert ist, dass sie ihre Zeit damit verbingen. Wer Silent Alarm Part 2 von uns erwartet, wird nie verstehen werden, was wir eigentlich wollen. Die Geschichte einer Platte oder die Geschichte, wie eine Platte angenommen wird, hat nicht notwendigerweise etwas damit zu tun, wie sie am Anfang aufgenommen wurde. Es geht darum, wie die Platte sich über die Jahre entwickelt, wie die Leute sich mit ihr in einem Jahr identifizieren können, das ist meiner Meinung nach der wichtigste Aspekt bei dieser Geschichte.“

Nein, Radiohead haben es nicht erfunden, es war Billy Corgan. MACHINA II / THE FRIENDS & ENEMIES OF MODERN MUSIC der Smashing Pumpkins war die erste nennenswerte legale und kostenlose Veröffentlichung eines Albums einer Major-Band im Internet. Das war im September 2000, über ein Jahr bevor Apple die erste Generation des iPod vorstellte. Die Aktion, die als Abschiedgeschenk für die Fans“ bezeichnet wurde – die Smashing Pumpkins lösten sich zwei Monate später auf – war weniger eine generöse Geste als vielmehr eine Verzweiflungstat. Nachdem das Vorgängeralbum MACHINA / THE MACHINES OF GOD vom Februar 2000 für Smashing-Pumpkins-Verhältnisse zum kommerziellen Flop wurde, war das Virgin-Label nicht bereit, knapp sieben Monate später wieder ein neues Pumpkins-Album zu veröffentlichen. Genauer: eine Doppel-CD mit 25 Songs und über 93 Minuten Spielzeit. Also hat Corgan das Album zum kostenlosen Download ins Netz gestellt.

Wieso diese Aktion nicht einmal annähernd so viel Staub aufgewirbelt hat wie die digitale Veröffentlichung des Radiohead-Albums In Rainbows sieben Jahre später, ist leicht zu erklären. Für die Smashing Pumpkins interessierte sich im Herbst 2000 niemand mehr, nicht einmal ihr Label. Radiohead waren im Herbst 2007 das, was sie heute noch sind: die größte Band der Welt. Wir erinnern uns: Ab dem 10. Oktober 2007 wurde das Album der damals vertragsfreien Radiohead auf deren Homepage zum Downlaod angeboten. Pen Kaufpreis durften die Downloader selber festlegen. Wer 0,00 in die Maske eingab, bekam die Songs kostenlos.

Es kursieren widersprüchliche Zahlen über den Verkaufserfolg des In Rainbows-Downloads. Unterschiedliche Quellen behaupten, zwei Drittel der Downloader hätten einen Betrag bezahlt bzw. nichts bezahlt. Die Veröffentlichungspolitik wurde in den Medien größtenteils als Revolution gefeiert, aber auch als ein weiterer Schritt hin zur Entwertung von Musik kritisiert. Die digitale Vorabveröffentlichung hat sich im Fall von In Rainbows nicht negativ auf den Verkauf der physischen Tonträger ausgewirkt. Am 28. Dezember 2007 wurde das Album als CD und LP veröffentlicht. Es kam auf den ersten Platz der britischen und amerikanischen Albumcharts, in Deutschland auf Platz 8. Von der exklusiv über die Radiohead-Homepage vertriebenen Discbox (mit regulärer CD, Bonusdisc, Doppelvinyl und Download) wurden weltweit zwischen 60.000 und 80.000 Exemplare verkauft. Die „normale“ im Handel erhältliche LP von In Rainbows verkaufte sich weltweit 13.000 Mal.

Es folgten ein paar weitere mehr oder weniger spektakuläre Beispiele: Rapper Saul Williams veröffentlichte THE INEVITABLE RISE AND LIBERATION OF NIGGY TARDUST im November 2007 auf seiner Homepage als Download. Die Downloader konnten sich entscheiden, ob sie entweder nichts oder 5 Dollar bezahlen. Im Juli 2008 wurde das Album als LP und CD veröffentlicht – nur in den USA. The Charlatans stellten im März 2008 über zwei Monate vor der CD ihr Album You Cross My Path als kostenlosen Download zur Verfügung. Trent Reznor folgte. Die Nine-Inch-Nail-Alben GHOSTS I-IV und THE SLIP wurden im März und Mai 2008 einen bzw. zwei Monate vor der physischen Veröffentlichung kostenlos zum Herunterladen bereitgestellt.

Es gibt auch andere Möglichkeiten, Musik kostenlos oder zu einem geringen Aufpreis in die Welt zu tragen. Manchmal gefällt das den Labels nicht so gut, in anderen fühlt sich der Tonträgerhandel verarscht. Prince ließ sein Album PLANET EARTH am 15. Juli 2007 der britischen Zeitung „Mail On Sunday“ beilegen – eine Woche vor der Handelsveröffentlichung. Das Columbia-Label kündigte daraufhin seinen Vertrag für Großbritannien. Mit ausdrücklicher Genehmigung des Labels City Slang klebte dagegen auf der Titelseite der Oktober-Ausgabe 2008 des deutschen „Rolling Stone“ „weltexklusiv“ OH (OHIO) , das aktuelle Album von Lambchop, im Jewel Case, bevor es am 26. September, einen Tag nach dem Erstverkaufstag der Musikzeitschrift, als Digipack mit Bonusmaterial in den Läden erhältlich war. „Media Markt“ und „Saturn“ nahmen daraufhin aus Protest sämtliche Lambchop-Alben aus ihrem Programm. So unterschiedlich die Fälle Smashing Pumpkins, Radiohead und Lambchop auch sind, sie bieten die Grundlage für eine Diskussion über den Wert von Musik bzw. den Wertverfall des Mediums Tonträger. Als Bloc Party überraschend bekanntgaben, ihr drittes Album Intimacy ab dem 21. August als Download über die Bandhomepage zur Verfügung zu stellen (CD- und LP-Release am 24. Oktober), hatten sie sich ihre Meinung zu diesem Thema bereits gebildet. Denn wer Intimacy zwei Monate vor der physischen Veröffentlichung als MP3 besitzen wollte, musste 7,50 Euro bezahlen. Ein kostenloser Download stand nie zur Diskussion, wie Sänger Kele Okereke im Interview erklärt.

Wann kam euch die Idee, das Album zwei Monate vor der CD digital zu veröffentlichen ?

Kele Okereke: Wir spielten schon bei den Aufnahmen mit dem Gedanken, das Album auf eine andere Art zu veröffentlichen. Unsere letzten beiden Platten waren ein halbes Jahr vor dem Veröffentlichungstermin fertig. Als sie dann herauskamen, waren wir schon gelangweilt von ihnen.

Das war eine Reaktion auf Radioheads In Rainbows.

Sicherlich. Radiohead haben mit dieser Veröffentlichung die Musiklandschaft total verändert. Es war eine sehr clevere Idee.

Eure Veröffentlichung war ein „offizieller“ Leak?

Im Grunde genommen ja, weil das Album am 24. Oktober physisch veröffentlicht wird. Es ist eine Methode, um eigeninitiativ mit der ganzen Internet-Geschichte umzugehen.

Wie lange hat es gedauert vom Endmix bis zur Veröffentlichung?

Zwischen Mix und der Veröffentlichung lagen ziemlich genau vier Wochen. Ich bin froh, dass das Album draußen ist, jetzt brauche ich nicht mehr darüber nachzudenken.

Wie hat euer Label darauf reagiert?

Sehr positiv, sie haben total dahintergestanden. Es war eine gemeinschaftliche Entscheidung. Wenn man einen Plattenvertrag hat, kann man so einen Schritt nicht ohne sein Label tun. Ich glaube auch, dass eine Band mit ihrem dritten Album den größtmöglichen Wirbel veranstalten muss.

Wenn man immer schneller reagieren muss, wie sinnvoll ist es dann überhaupt noch, Alben zu veröffentlichen? Wäre es nicht besser, vier Songs aufzunehmen und sie sofort als digitale EP anzubieten?

Nein, ich glaube immer noch sehr an das Albumformat. Ich glaube an eine Sammlung von Songs, die in ihrer Gesamtheit eine Bedeutung hat. Ich glaube immer noch an die Kunstform Album. Es geht mir nicht darum, Zeug zu machen, das wirtschaftlichen Erfolg garantiert, mir geht es um die Kunst. Mir geht es darum, mit meiner Musik die Leute zu erreichen, ihre Reaktionen zu sehen und vielleicht ein Teil ihres Lebens zu werden. Ich erinnere mich daran, wie ich CDs und Vinyl gehört habe, wie ich 40 Minuten lang in der Musik versunken bin. Es ist eine Schande, dass die zukünftigen Generationen diese Erfahrung nicht mehr machen werden. Das ist eine Sache, an die ich leidenschaftlich glaube, deshalb machen wir Platten. Wenn es uns nur ums Geld gehen würde, dann würden wir wahrscheinlich vier Songs aufnehmen und als EP veröffentlichen.

Glaubst du, dass diese Art der Veröffentlichung ein Modell für die Zukunft sein wird?

In Zukunft wird es noch mehr Variationen dieser Veröffentlichungspolitik geben. Aber das kannst du dir nur als bekannte Band leisten. Neue Bands brauchen erst Aufmerksamkeit. Wir sind in einer Position, in der wir einfach eine Platte herausbringen, und jeder hört sie sich an. Intimacy ist unser drittes Album. Wir sind uns bewusst, dass sich die Leute für uns interessieren.

Wurdet ihr dafür kritisiert, weil ihr das Album nicht kostenlos ins Netz gestellt habt?

Wir wurden m Interviews danach gefragt. Radiohead haben ihr Album ja auch nicht kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie haben die Leute gebeten, einen Betrag ihrer Wahl zu zahlen. Ich hätte mir gewünscht, dass Radiohead den Leuten nicht die Möglichkeit gegeben hätten, 0,00 Euro einzugeben. Zumindest hätten sie 0,01 Euro verlangen sollen. Radiohead haben monatelang hart gearbeitet, um das Album zu aufzunehmen, die Leute sollten das Ergebnis dieser Arbeit nicht kostenlos bekommen. Du machst diesen Job jetzt, du Interviewst mich und du wirst dafür bezahlt, und du brauchst dieses Geld, um deine Miete und deine Rechnungen zu bezahlen. Ich bin Musiker. Ich würde auch nicht einfach im Supermarkt meine Einkäufe nicht bezahlen. So funktioniert die Welt nicht.

Da stimme ich vollkommen überein. Aber die Leute denken, dass Musik kostenlos sein muss.

Ich glaube nicht, dass die Leute das denken. Wenn Radiohead mindestens 0,01 Euro für IN RAINBOWS verlangt hätten, hätte das dem Gedanken entgegengewirkt, Musik sei etwas, das man umsonst bekommt. Radiohead waren damals ohne Plattenvertrag, sie konnten tun und lassen, was sie wollten. Wir haben einen Vertrag, wir müssen Platten verkaufen, das ist Teil des Deals.

Die ganze illegale Downloaderei zeigt doch, dass Musik für viele ein wertloses Cut geworden ist.

Da hast du Recht, aber ich glaube, dass das eine Generationenfrage ist. Es ist ja nicht nur bei Musik so. Du kannst im Internet komplette Spielfilme und Fernsehserien kostenlos runterladen. Das Beängstigende ist, dass eine ganze Generation von jungen Leuten heranwächst, die kein Bewusstsein mehr hat, für bestimmte Dinge Geld auszugeben. Meine Generation hat noch Platten gekauft. Damals hat man noch Geld gespart, um sich eine bestimmte Platte zu kaufen. Ich erinnere mich noch daran. Es ist eine Schande, wie das heute funktioniert.

Auf der anderen Seite haben heute viel mehr Menschen durch das Internet die Möglichkeit, deine Musik kennenzulernen. Deshalb kommen auch immer mehr Leute zu unseren Konzerten. Es rentiert sich dann trotzdem wieder. Keine Band verdient ihr Geld mehr mit Plattenverkäufen, Geld wird heute mit Tourneen und Konzerten verdient.

Du weißt sicher genau, wie viele Leute das Album heruntergeladen haben, ich bin mir aber auch sicher, dass du mir die Zahl nicht verraten wirst.

(lacht) Lass es mich so sagen: Es war bisher ein gelungenes Experiment.

Du hast vorhin gesagt, dass du immer noch Plattenkaufst…

Das war ein bisschen irreführend. Ich kaufe mir keine CDs mehr. Vor ein paar Monaten habe ich viele CDs weggegeben. Ich habe sie vorher auf meinen Computer gespielt. Ich kaufe Musik hauptsächlich bei iTunes. Ich muss mir viel Musik kaufen, als Inspiration. Aber ich höre Musik nicht mehr so, wie ich sie früher gehört habe, auf diese obsessive Teenager-Art. Ich höre mir die ersten vier Songs eines Albums an. Was ich ein bisschen schade finde, weil ich früher von Musik besessen war. Aber jetzt ist das mein Job. Und da ist es schwer, noch genauso begeistert zu sein von neuen Bands. Ich muss daran denken, wie die Musikindustrie arbeitet, wenn ich eine neue eine neue Band höre. Ich sehe dann den ganzen Apparat, der an ihr hängt. Ich interessiere mich nicht für die neuen Bands. Ich höre ihre Referenzen, und dann langweilen sie mich.

Dein Desinteresse an physischen Tonträgern wundert mich. Ihr selber legt ja sehr uiel Wert darauf, dass eure Alben und Singles in verschiedenen Vinyl- und CD-Formaten erscheinen.

Es gibt einen Markt dafür, und es gibt Leute, die das kaufen wollen. Aber ich persönlich werde von so viel Musik umgeben. Ich kann keinen Song im Radio oder in einem Club hören, ohne dass ich mir Gedanken mache über das Tempo und die Akkordfolge. Und wenn er mir gefällt, frage ich mich, warum das so ist. Warum funktioniert diese Musik? Das geht mir durch den Kopf, wenn ich Musik höre. Alles, was ich dabei lerne, kann ich als Songwriter gebrauchen. Deshalb bringe ich dem physischen Tonträger nicht viel Respekt entgegen. Weil es mein Job ist.

Wenn du die Songs beim Hören so analysierst, macht es dir dann noch Spaß, Musik zu hören?

Es macht nur bei den ersten paar Malen Spaß. Du hörst es dir ständig an, um herauszufinden, weshalb du diese gefühlsmäßige Reaktion zeigst, und wenn du es herausgefunden hast, macht es nicht mehr so viel Spaß. Glücklicherweise reagiere ich aber immer noch begeistert auf Musik, aber ich muss mehr Musik anhören, um diese Reaktion zu erhalten.