Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Bitte intelligent tanzen

Damit keine Missverständnisse entstehen: Der Autor ist ausdrücklich der Meinung, dass auch intelligente Menschen tanzen. Anfang der 1990er-Jahre kam der Begriff „Intelligent Dance Music“ (IDM) auf. Er wird heute zum Glück nur noch selten verwendet, das, was er ausdrücken will, ist allerdings als Vorurteil in den Köpfen der Zielgruppe geblieben.

IDM ist eine Kategorisierung, die in mehrerlei Hinsicht an Dämlichkeit – oder Unintelligenz – nicht zu überbieten ist. Erstens suggeriert der Begriff IDM, dass „Dance Music“ im Normalfall nicht „intelligent“ sei. Zweitens wird die mehrheitlich ultra-abstrakte Musik der wichtigsten frühen Vertreter von IDM (Aphex Twin, Autechre, Squarepusher et al), die wahrscheinlich kaum jemanden auf die Tanzfläche gelockt hat, als „Dance Music“ bezeichnet.

Aber natürlich ist klar, was IDM sagen will: Tanzen tun nur die Dummen, während die Intelligenten zu Hause im Wohnzimmer ihr Hirn auf beatlosen Soundscapes treiben oder ihre Synapsen zu komplexen, verschachtelten Konstrukten brizzeln lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass für viele Rockisten Techno traditionell ein Schimpfwort ist, weil sie damit ausschließlich die Micky-Maus-Musik von Scooter und Mark ‚Oh assoziieren, die in den 90ern die Singlecharts dominierte. Mit den Verbrechen, die seit fünf Jahrzehnten im Namen der Rockmusik begangen werden, wollen wir gar nicht erst anfangen.

Natürlich ist es verlockend, frühe elektronische Musik der 70er-Jahre – Kraftwerk, Tangerine Dream, Klaus Schulze, Conrad Schnitzler – mit dem Adjektiv „intelligent“ zu versehen. Und manche Spielarten des Minimal Techno, der zu seiner Hochzeit nicht viel mehr war als eine stoisch im 4/4-Takt dahinpumpende Kickdrum, als doof zu bezeichnen. Im Idealfall aber fusionieren das vermeintlich Intelligente und das vermeintlich Doofe. Zum Beispiel auf THE OCCURENCE, dem aktuellen Album von Jeff Mills. Die Detroit-Techno-Legende zeigt wieder einmal, dass es einen dritten Weg gibt, auf dem künstlerischer Anspruch und Tanzbarkeit Hand in Hand in den nächstgelegenen Club spazieren. Bassdrum und Hi-Hat ziehen auf die Tanzfläche, während Sequencerflächen und abenteuerliche Sounds das Kino im Kopf eröffnen. Mills ist in der Lage, im Verlauf des Albums und im Verlauf der einzelnen Tracks eine Spannung, eine Atmosphäre der Unvorhersehbarkeit zu erzeugen und diese dunkelgraue, aber nicht ganz hoffnungslose Endzeitstimmung, die seine frühen Produktionen ausgezeichnet hat. Aber natürlich kann elektronische Musik – wie alles – durchaus auch unintelligent sein, einer wie David Guetta zeigt das mit jedem neuen Track.