Bücher


Das Lied vom Tun und Lassen von Jan Böttcher ****

Ein Roman tastet sich um den Tod einer Schülerin herum.

Aus drei Teilen ist dieser Roman gebaut, drei Erzählerfiguren aus drei Generationen, deren Geschichten geprägt sind vom Selbstmord der Schülerin Meret Kugler, die in ihrem Abiturjahr vom Dach des Gymnasiums gesprungen ist. Ihr Musiklehrer Mauss, Typ Alt-68er mit modernen Methoden, bemüht sich um Trauerarbeit – und überschreitet dabei die Grenzen des Vertrauenslehrerhaften. Clarissa ist eine der Mitschülerinnen, ihr halbfiktives Bandtagebuch zeigt, wie unterschiedlich die Freunde den Verlust bewältigen. Dazwischen steht Johannes Engler, ein Schulgutachter, der mit Clarissa eine Affäre hat und Mauss‘ Idealismus relativiert, da er die Schule als kommerziell unterwandert erlebt. Jan Böttcher trifft brillant die Tonfälle seiner drei Protagonisten, aber die Struktur seines vierten Romans erweist sich als zu statisch konstruiert; Andeutungen und Bezüge verpuffen, das Gesamtbild bleibt lückenhaft. Hübsch allerdings: Auf janboettcher.com hat der Ex-Sänger der Band Herr Nilsson die Liedtexte im Buch als Folksongs vertont.

Mein Vater Johnny Cash von John Carter Cash *****

Ein Erinnerungsbuch über die helle Seite des „Man in Black“

Johnny Cash war der „Man in Black“. Dass er meist in Schwarz auftrat, wurde als Teil seines rebellischen Images interpretiert – dabei war die Wahrheit wohl banaler. „Dad trägt Schwarz, damit man die Flecken nicht so sieht“, zitiert John Carter Cash seine Mutter June in diesem Buch. Der einzige gemeinsame Sohn von Johnny und June Carter Cash will zeigen, dass das Bild von seinem Vater als Country-Rebellen zu kurz greift: Er sei auch ein gütiger Familienvater und ein gläubiger Christ gewesen. Das liest sich bisweilen etwas arg „inspirierend“, aber manche Anekdoten gehen schon sehr zu Herzen – etwa, wie der Vater den ebenfalls drogensüchtigen Sohn mit Bibelzitaten zum gemeinsamen Entzug überredet. Vor allem aber ist dieses couchtischtaugliche Werk randvoll mit Familienfotos, handschriftlichen Notizen, kurzen Gedichten und Songskizzen – John Carter Cash fand sie nach dem Tod seiner Eltern 2003 in einem Lagerraum. Diese Dokumente schaffen einen plastischen Johnny Cash, der mit seinen inneren Dämonen kämpfte, um ein guter Mensch zu sein. Ob Cashs Chili übrigens so gut ist wie sein Ruf, kann man mittels beigelegtem Kochrezept selbst überprüfen.

Lookalikes

von Thomas Meinecke

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Mit der Methode Meinecke auf den Spuren Hubert Fichtes

Spätestens seit dem Roman „Tomboy“ (1998) hat Thomas Meinecke seine Methode etabliert: Die Figuren vermitteln das Wissen des Autors. Zumindest decken sich ihre Interessen mit denen Thomas Meineckes. So ist viel aus den Gender-Studies oder Post-Colonial-Studies zu lesen, aber immer die knalligsten Stellen, die auch für Uneingeweihte anregenden. In „Lookalikes“ hat Meinecke seine Figuren noch einmal um einen Dreh cleverer angelegt: Sie sind Doppelgänger von Stars wie Josephine Baker, Britney Spears oder Serge Gainsbourg – und posten sich auf Facebook tollen Theorieklatsch. Dann ist da noch der, von dem es auf Seite 95 plötzlich heißt: „Thomas Meinecke ist jetzt eine Romanfigur.“ Er ist unterwegs in Salvador de Bahia, auf den Spuren des Candomblé, einer afro-brasilianischen Religion. Diese Reportage-Elemente sind beeindruckend – aber ausdrücklich auch eine Art Doppelgängerei: Sie folgen den Recherchen des Schriftstellers Hubert Fichte in den Siebzigern. Eine Werbung dafür, dass Wissenwollen Spaß macht.

Sickster

von Thomas Melle

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Furioser Roman darüber, was die flexibilisierte Arbeitswelt mit unser aller Leben anstellt.

Was wohl im Verlagsmarketing vorgegangen sein mag, dass auf dieses Buch ein Vorabendserien-Slogan wie „Überdosis Leben“ gedruckt wurde? Man kann nur hoffen, dass die Atmosphäre dort gesünder ist als im Unternehmen der männlichen Hauptfiguren dieses Romans: Thomas und Magnus besuchten beide eine Jesuitenschule in Bonn, nun arbeiten sie im Glaspalast eines Mineralölkonzerns in Berlin. Während der slackerhafte Magnus seinen Job mit Zynismus und Ausreden bemäntelt, ist Thomas ein rasender Aufsteigertyp, der in Frauen Pornofiguren sieht und jedes Innehalten mit Energydrinks und Alkohol verhindert – eine Art „German Psycho“. Doch der Absturz kommt für beide. Grandios beschreibt der bisher als Theaterautor wirkende Thomas Melle die Selbstausbeutung und den Pseudo-Heroismus der Arbeitswelt, wie auch die deprimierende Rückkehr an die Schauplätze der Jugend. Weniger gelungen ist ihm der Abstieg in den Irrsinn seiner Figuren – da ist seine Sprache allzu deklamatorisch und auf wuchtige Bilder aus. Als Rahmen setzt Melle eine Kinosituation an den Anfang und Ende des Buches: Wäre „Sickster“ ein Film, wäre er weitaus näher an den verstörenden Werken Lars von Triers als an einer harmlosen Vorabendserie.