Cat Power: Singen im Präsens Aktiv


Cat Power, die Stimme der Nullerjahre, ist wieder da, nach allerlei Lebens- und Schaffenskrisen. Mit einem heiteren Album und neuer Frisur.

Sorry, sagt sie, so wie andere Floskeln oder Flüche fallen lassen. Mitten in den Sätzen, wenn sie Luft holt, oder wenn sie ihren Worten hinterherhorcht mit besorgtem Augenaufschlag: Sorry, sorry, sorry. Fragt man sie, wofür, erklärt Cat Power, dass die Menschen häufig sauer auf sie waren. „Bist du böse mit mir?“, fragt sie.

Jeder freut sich, dass Cat Power wieder da ist. Sechs Jahre nach ihrem Meisterwerk The Greatest und vier Jahre nach der Coverplatte Jukebox kehrt sie mit dem Album Sun zurück. Im Januar wurde sie 40 Jahre alt. Wie viele Frauen in der Lebensmitte, hat die Sängerin ihre Frisur geändert. Ihre Haare trägt sie zuversichtlich kurz. Der Titel ihres neuen Albums zeigt sie, burschikos durch einen Regenbogen schauend. „Ich habe das Foto ausgesucht, weil ich darauf so aussehe wie heute. Es ist 20 Jahre alt“, erklärt sie. „Es geht darum, wer man war und wie man wurde, was man ist. Ich singe meine neuen Songs im Präsens Aktiv. Sorry.“ Auf Sun singt sie in „Peace & Love“: „I’m in it to win.“

Cat Power sitzt in einem Hamburger Hotel im Lotussitz zwischen den Sesseln auf dem Boden, barfuß. Stiefel, Garderobe und Gepäck hat sie um sich verteilt zu einem Bannkreis. Kippen krümmen sich in den geleerten Kaffeetassen überall. Aber sie redet gern über ihre Musik und über sich, das war nicht immer so. In Interviews erzählte sie manchmal betrunken irgendwas. So wie es in Konzerten vorkam, dass sie sich vom Publikum gestört fühlte und schluchzend von der Bühne stürzte oder abendfüllend ihre tote Großmutter beschwor. Cat Power sagt, sie singe heute gern für andere. Sie schildert ausführlich, wo sie zuletzt gewesen ist und was sie aufgehalten hat: „Ich stürzte mich in eine ernsthafte Beziehung, zog deshalb nach Kalifornien, schrieb dort neue Songs, die ich zu traurig fand, dann kam die Trennung vor drei Monaten, ich litt, verwarf die trüben Songs, schrieb fröhlichere, und dann lag das Album plötzlich fertig da.“ Als Soundtrack eines neuen Lebens, einer neuen Zeit.

Ohne das alte sei das neue Leben nicht zu haben, sagt Cat Power. Ihre helle Gegenwart gibt noch nicht so viel her wie ihre dunklere Geschichte, und so spricht sie doch lieber im Imperfekt. Über Chan Marshall, die Person hinter Cat Power, und darüber, wie sich ihre Hippieeltern in Atlanta scheiden ließen, als sie noch ein Fötus war. Wie ihre Mutter sie als Baby bei der Großmutter ablud, aus Selbstsucht und aus Armut, und wie sie mit 16 ihren Vater in die Pflicht nahm, sich um sie zu kümmern. Er verdiente sich sein Geld als Arzneibote am Tag und nachts als Pianist und Interpret beliebter Lieder. Beide Brotberufe sollten auch den Lebensweg der Tochter prägen. In ihrer Biografie taucht alles auf, was Musiker in ihre Memoiren schreiben: Kindheitstraumata und Außenseitertum, Versuchungen und Weltflucht. „Ich wuchs damit auf, dass ich mich nur auf die Musik verlassen konnte“, sagt Cat Power. „Sie war meine Freundin, und wenn ich sie brauchte, war sie für mich da. Ich sang. Sobald die anderen Schulkinder im Klassenraum verschwunden waren, sang ich in mein Schließfach. Nur die schwarzen Mädchen schienen mich zu mögen. Weil ich schwarze Lieder sang, von Billie Holiday und Otis Redding.“ Sorry, sagt Cat Power, sie verschwindet auf der Toilette. Man hört, wie sie mit sich redet, und dann singt sie.

1992 zog sie von Atlanta nach New York, als sie es ernst meinte mit der Musik. Sie fand sich in der damals blühenden No-Wave-Szene wieder, um die Knitting Factory mit ihren Jazzrebellen. Eine 20-Jährige mit kurzem Haar und leisen Liedern zwischen Krachkraftmeiern wie John Zorn. Zwei Jahre später trat Chan Marshall vor der Männerfresserin Liz Phair auf, erstmals unter ihrem Kampfnamen Cat Power. Sie wurde beim Soundcheck von Steve Shelley angesprochen, damals Schlagzeuger bei Sonic Youth. Er unterstützte ihre ersten Aufnahmen, drei Alben in zwei Jahren. Darauf sang sie eigene Songs, aber auch Stücke von Hank Williams und Tom Waits. Und von Bill Callahan, mit dem Cat Power sich danach aufs Land zurückzog, um vor der Musik zu fliehen und eine Familie zu gründen. Eines Nachts fand sie sich am Klavier wieder, schrieb Lieder für ein ganzes Album. Sie ging wieder in die Stadt und zur Musik.

„We have nothing to win, so we have nothing to lose“, sang sie 2003 auf ihrem Album You Are Free. Cat Power wurde zu einer Art Mutter für die Singer/Songwriter- und Folkbewegung in den Nullerjahren und zur Frauenstimme des Jahrzehnts. Auf ihren Alben wirkten Männer wie Dave Grohl, M. Ward und Eddie Vedder mit. 2006 rückte Cat Power in die Ardent Studios von Memphis ein, um mit bewährten Soulbrüdern The Greatest zu vollenden, eine Platte wie ein Kampf über zwölf Runden. Anschließend wurde sie in die Klinik eingewiesen, ins Mount Sinai Medical Center von New York. Nach außen drangen allerlei Gerüchte, die sich um missglückten Selbstmord, Liebeskummer und Entzug drehten.

Der Zimmerservice trägt einen Salat herein, Cat Power lobt den Kellner für seine Krawatte und bestellt noch Huhn mit Pommes und zwei Kannen Kräutertee. Mit vollem Mund erklärt sie, was 2006 mit ihr passiert war: „Nachdem ich The Greatest aufgenommen hatte, konnte ich nicht mehr. Die anschließende Werbereise hat mich rausgetragen aus der Kurve. Fotos hier und Videos da. Ich konnte nicht mehr schlafen. Während eines Interviews schloss ich mich auf dem Klo ein, mit Pillen und Alkohol. Ich war bereit, mich umzubringen und warf ein, was ich finden konnte. Allerdings vergaß ich dadurch, was ich vorhatte. Bis eine Freundin kam und mich im Krankenhaus ablieferte. Dort schlief ich sieben Tage lang. Als ich erwachte, sah ich mich statt in der Hölle meinen Freunden gegenüber. Sorry. Ich habe geschworen, mir und ihnen nie mehr weh zu tun.“ Cat Power gilt im Popgeschäft als trockene Trinkerin, sie lacht. „Ich habe niemals aufgehört zu trinken. Seit dem Absturz achte ich nur auf genügend Schlaf und ordentliche Mahlzeiten.“ Sie reinigt ihr Gebiss mit dem Salatmesser als Spiegel und zündet sich eine Zigarette an.

Auch unheilbares Lampenfieber hat man aus der Ferne bei Cat Power diagnostiziert, nach ihren desaströsen Auftritten. „Ach was. Um auf der Bühne und in der Gesellschaft meinen Platz zu finden, brauchte ich bloß länger als normale Künstler. Irgendwann erkannte ich: Man geht auf eine Bühne, weil man Menschen treffen möchte, denen man vertrauen kann! Als Mädchen hatte ich Vertrauen in die Lieder, die ich nach­sang. Als ich für mich eigene Lieder schrieb, verlor ich meine eigene Stimme, es war merkwürdig. Ich sang wie eine Fremde, und erst vor vier Jahren fand ich meine Stimme wieder. Es ist die, mit der ich die Kassetten meiner Großmutter besungen hatte, meine Kinderstimme. Ich war immer gut darin, als Außenseiterin in fremden Rollen zu verschwinden. Vielleicht habe ich jetzt einfach nur gelernt, mich selber nachzuahmen.“ Vor vier Jahren war Cat Power letztmals aufgetreten. Die Konzerte dauerten zwei Stunden. Manchmal wandte sie dem Publikum den Rücken zu, aber sie wirkte glücklich und gelöst in ihren Ausdruckstänzen und sang „Blue“ von Joni Mitchell, was ihr so gut stand wie ihre Hippiekleider und das lange Haar.

Da hatte sie ihr zweites Coveralbum auf­genommen, Jukebox, vorwiegend mit Männerliedern von James Brown bis Frank Sinatra. Musikalisch wandte sich Cat Power ihrer Kindheitsheimat zu, dem Blues des Südens. Von Bob Dylan sang sie „I Believe In You“, und jeder wusste, dass ihr Glaube keinem Gott im Himmel galt, sondern Bob Dylan, ihrem Hausgott. „Song To Bobby“ hieß ein eigener Song, den sie hineingemogelt hatte: „Backstage pass in my hand / Giving my heart to you was my plan / Can you please be my man?“ Sie traf Bob Dylan eine Woche später in Paris. Der Alte habe ihre Füße angestarrt und vor sich hin geknurrt: „So treffen wir uns endlich.“ Kannte er Cat Power? „Ich bin mir nicht sicher“, sagt sie, weltvergessen näselnd wie ihr Säulenheiliger.

Dafür, dass ihre eigenen Songs einer Generation bereits als Hymnen dienen, pflegt Cat Power einen auffälligen Hang zum Covern. Sie verwandelt sich die Stücke an, sie trägt sie wie Kostüme. Darüber wurde sie selbst zu einer Art Ikone. In der Schmuckwerbung sang sie „How Can I Tell You“ von Cat Stevens, von Cat zu Cat. Karl Lagerfeld hat sie fotografiert, in einem Videokunstwerk von Doug Aitken wurde sie ans MoMa projiziert. Sie hatte ihren Filmauftritt in Wong Kar-Wais „My Blueberry Nights“, dem Kinodebüt von Norah Jones, der Volksausgabe von Cat Power. Dass Cat Power wirkt wie eine Kunstfigur, wenn sie in ihre Rollen und die fremden Lieder schlüpft, macht sie nur interessanter. Dabei ist sie niemals jemand anderes als Chan Marshall. Eine Sängerin, die will, dass man sie mag und ihr verzeiht. Die „(I Can’t Get No) Satisfaction“ von den Rolling Stones singt wie ein Schlaflied für sich selbst; die in den väterlichen Liedern ihrer Vorbilder nach Hause findet. Freundlich sitzt sie neben einem auf dem Teppich, im zerrissenen T-Shirt, und bohrt fahrig in der Nase. „Sorry, ich spiele gern alte Rocksongs“, sagt sie. „Das sind unsere Traditionals. Wo sie gesungen werden, stiften sie Gemeinschaft. Darum geht es heute wieder: dass unsere Gesellschaft nicht verkümmert vor den Bildschirmen und in beschissenen Discos.“ Bei Cat Power wird die Playlist zur Musikstunde, sie lehrt die Jüngeren die älteren Lieder. „Ach, ich weiß nicht. Doch, ich weiß: Ich singe sie nicht nur, weil ich sie schön finde, sondern weil man sie kaum noch hört, im Rundfunk oder so.“

Auf ihrem neuen Album Sun singt sie ausschließlich eigene Lieder. Sie besteht nur darauf, dass sie sich an einer Stelle selbst covert, in „Silent Machine“, das sie seit 15 Jahren überarbeite und nun zufriedenstellend aufgenommen habe. Mit sich selbst im Chor, mit seltsamen Gitarren und Geräuschen, ohne Band. Cat Power war sie bisher nie allein. Es waren auch ihre Begleiter, Musiker aus anderen Bands. Nur noch in einem Stück, das ausgerechnet „Ruin“ heißt, hat sie sich helfen lassen, von einem Bassisten, einem Schlagzeuger und einem Gitarristen. Sonst hat sie im Studio sämtliche Gerätschaften und Instrumente eigenhändig und bewusst bedient. Nachdem ihr zuletzt die Kontrolle häufiger entglitten war, über ihr Leben und ihr Schaffen. Sun erscheint als hoffnungsfrohes Album nach den Krisen. Elf Folktronic-Lieder sind darauf versammelt. In der Welt der Singer/Songwriter gelten Konsolenklänge noch als kühne Stilmittel, die in die Zukunft weisen. Dabei schreckt Cat Power nicht einmal vor dem Verfremden ihrer neu gewonnenen Jugendstimme mit der Software Autotune zurück. Gesungen werden Ratschläge und Lebensweisheiten: „You got a right to scream when they don’t want you to speak“, heißt es in „Human Being“.

In „Noting But Time“, einer Komposition von elf Minuten Länge, wird dem Hörer zugetragen: „You’re just trying to get by, but your world is just beginning / It’s up to you to be a superhero, it’s up to you to be like nobody.“ Der Mensch sei selbst für sich verantwortlich. Der Mann, der an der Seite von Cat Power diese immergrüne Botschaft vorträgt, ist ein großer, alter Überlebender des Rock- und Popgewerbes: Iggy Pop. Sie hatte ihn und David Bowie angemailt. Von Iggy Pop bekam sie eine Zusage und in einem Pariser Studio Beistand. Das monströse Stück war von Cat Power ursprünglich geschrieben worden, um die Tochter ihres Ex-Liebhabers aufzumuntern. In der Nachbarschaft hatte es eine Selbstmordserie unter Drogen konsumierenden Schulmädchen gegeben. Wenn Cat Power im Duett mit Iggy Pop das Leben feiert, geht es auch um die Gefahren im Musikgeschäft. „Als die Musik noch analog war und die großen Plattenfirmen mächtig waren, wurden Musiker bevormundet, aber auch besser vor sich selbst beschützt. Ein Independent-Musiker muss heute besser auf sich achten. Yeah, man“, sagt Cat Power mit dem Timbre Iggy Pops. Sie greift zum iPhone und spielt seine echte Stimme vor. „Hey Chan, viel Glück“, knarrt es aus ihrem Handy wie aus einem Grab. Sie bricht den Filter einer Zigarette ab, zündet sie an, sagt sorry, und umarmt sich selbst.