Chaos und Kontrolle


Godspeed You! Black Emperor

‚allelujah! Don’t Bend! Ascend!

Constellation/Cargo

****1/2

Der stilprägenden Kraft des Postrock gelingt nach einer zehnjährigen Auszeit ein nahtloses Comeback.

Obskure Stimmen, dissonante Streicher und dann kommen die Gitarren, erst verzerrt dann dronig. Es scheint, als passt hier nichts zusammen, müsste sich eine Band erst finden, um bereit zu sein, sich in Großtaten zu stürzen. Knapp fünf Minuten dauert die erste Phase des Eröffnungssongs „Mladic“. Dann bündeln die neun Einzelteile von Godspeed You! Black Emperor ihre Kräfte und das Instrumentalstück wächst zu einem aggressiven Wall-Of-Sound-Monstrum an, das zwischen Chaos und Kontrolle taumelt und doch nie stürzt, sondern kurios ausklingt. Zum Finale hört man das Schlagen auf Töpfe und Pfannen. Hardcore-Fans der Gruppe aus Montreal kennen dieses 20-Minuten-Epos – benannt nach dem wegen Kriegsverbrechen angeklagten, bosnisch-serbischen General Ratko Mladic – in veränderter Form als „Albanian“. Auch der zweite zentrale Song von ‚allelujah! Don’t Bend! Ascend, das weniger dynamische und getragenere „We Drift Like Worried Fire“, ist eine Weiterentwicklung und Ausformulierung eines alten Tracks („Gamelan“). Beide Stücke waren im Live-Programm der letzen Phase von GY!BE enthalten. Das war Anfang des neuen Jahrtausend und kurz darauf (2003) gab das vielköpfige Kollektiv seinen vorläufigen Rückzug bekannt. Einer der Gründe war, dass die aus einem Trio entstandene und zu einem Orchester angewachsene Band nicht nur aus einem Bündnis von diskussionsfreudigen Einzelinteressenten besteht, sondern auch aus charakterstarken Individualisten, die andere musikalische Projekte verfolgen. Set Fire To Flames, Fly Pan Am und A Silver Mt. Zion gehören dazu, und sie alle litten unter dem Erfolg von GY!BE, die schon mal vor 5 000 Besuchern spielen.

Dass der Winterschlaf dann so lange andauern würde, war nicht geplant. Eine Dekade nach Yanqui U.X.O. veröffentlichten sie mit ‚allelujah! Don’t Bend! Ascend! ein neues Album. Völlig überraschend übrigens, fast schon konspirativ. Bei einem Konzert in Boston am 1. Oktober lag die Platte auf dem Merchandising-Tisch, ohne Ankündigung, kein Pop-Journalist hatte sie vorher zu hören bekommen, kein Download tauchte vorab im Netz auf, alle Eingeweihten hielten bis zu diesem Abend dicht. Das passt zu dieser Band, die viele Mechanismen der Pop-Industrie ablehnt und für einige Irritationen sorgte. Die Geheimniskrämerei um ‚allelujah! Don’t Bend! Ascend! hat schon etwas Verschrobenes. Wen wundert es da noch, dass die beiden kürzeren, wie als Überleitungen eingebauten Tracks „Their Helicopters Sing“ und „Strung Like Lights At Thee Printemps Erable“ in der Vinylversion separat als 7-Inch-Single beiliegen? So imposant die Soundimplosionen und Explosionen von Godspeed auf Retorte auch klingen, alle Wucht entwickeln sie auf der Bühne, wenn die Melancholie in Euphorie umschlägt, Licht in der Dunkelheit auftaucht, Begeisterung und Horror miteinander ringen. Dieses Album gibt davon eine Ahnung, auch wenn das Meisterwerk Lift Your Skinny Fists Like Antennas To Heaven unerreicht bleibt.

Key Tracks: „Mladic“, „We Drift Like Worried Fire“

Artverwandtes: Sigur Rós Ágætis Byrjun (1999) Mogwai The Hawk Is Howling (2008)