Jim Hutton über: Freddy Mercury


Exzessiv bis zum Ende im November 1991. So kannte man den Kopf der britischen Rock-Bastion Queen. Jim Hutton, fast 10 Jahre sein Lebensgefährte, blickt zurück in die Jahre '89 & '90.

Den größten Teil des Jahres über pendelten wir zwischen London und Montreux hin und her, wo Freddie zusammen mit Queen im Studio arbeitete. Während der ersten Monate feilten sie noch an ihrem Album ‚The Miracle.

Freddie interessierte sich immer dafür, wie erfolgreich Queen in England und dem Rest der Welt war, aber in der ganzen Zeit, die ich mit ihm zusammen war, interessierte er sich nie dafür, wie die Band in den Vereinigten Staaten ankam. Queen hatte sich dort recht gut verkauft, aber die Amerikaner wußten nicht so recht, was sie von einem hemmungslosen und offensichtlich schwulen Rockstar halten sollten. Er hatte das Land abgeschrieben und erzählte mir, er habe nicht vor, jemals dorthin zurückzukehren. Die Band war überall sonst so beliebt, daß es nicht darauf ankam Nicht, daß Freddie Amerika nicht gemocht hätte. Er besaß eine Penthousewohnung in einem prachtvollen Art-Deco-Gebäude in New York, das so exklusiv war, daß seine wirklich reichen Nachbarn ansonsten auf Rockstars geringschätzig herabblickten, ganz gleich, wie berühmt sie sein mochten. Bei Freddie machten sie eine Ausnahme, denn er erwies sich als Musternachbar.

Von der Wohnung hatte man einen sagenhaften Ausblick auf das Chrysler-Gebäude und darüber hinaus. Das originale Art-Deco-Dekor samt Armaturen und Unmengen verspielter Wandverkleidungen war noch vollständig erhalten. Freddie hatte die Wohnung passend dazu eingerichtet.

Im selben Jahr beschloß Freddie, sich zusammen mit Barbara Valentin in München eine Wohnung zu kaufen. Sie wollten sich den Kaufpreis und die Einrichtungskosten teilen; beide hatten einen gleichermaßen kostspieligen Geschmack. Für den Fall, daß einer von ihnen sterben würde, sollte die Wohnung in den Besitz des anderen übergehen.

Freddie gefiel die Vorstellung, mit Barbara etwas ganz Besonderes zu teilen. Sie fand auch eine Wohnung, und Freddie war monatelang Feuer und Flamme für das Projekt; dann ließ sein Interesse nach. Er wußte, daß er keine rechte Verwendung für die Wohnung haben würde; er würde mit Sicherheit als erster sterben. Er kam um die Tatsache nicht herum, daß er seinen Kampf gegen die Krankheit verlieren würde.

Freddie hatte angefangen, die KS-Flecken jedesmal, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte, mit Make-up zu verdecken. Ich fand das nicht sonderlich praktisch. Ich schlug vor, er solle sich einen kurzen Bart wachsen lassen, gerade lang genug, um die Flecken zu verbergen, und das tat er auch. Der Bart machte natürlich gleich Schlagzeilen.

Im Mai stürmte Queen die LP-Charts mit ‚The Miracle‘ und die Single-Charts mit ‚I Want It All‘. Das war das erste neue Material seit drei Jahren, auf das die Fans bereits sehnsüchtig gewartet hatten. Trotzdem drängte Freddie darauf, neues Material aufzunehmen, noch bevor die Platten in die Läden kamen.

Die übrigen Queens waren überrascht, wie eilig Freddie es hatte, wieder ins Studio zu kommen. Ich glaube nicht, daß auch nur einer von ihnen so kurz nach dem Erscheinen von ‚The Miracle‘ schon wieder daran gedacht hatte, neue Aufnahmen zu machen.

Am zwanzigsten desselben Monats lud Freddie uns zusammen mit den Bandmitgliedern und deren Partnern in das vielleicht berühmteste Restaurant der Welt ein, das Freddie Girardet in Crissier bei Lausanne führte. Nicht weniger als vierzehn köstliche Gänge der Nouvelle Cuisine wurden aufgetragen, dazu gab es einige nicht minder köstliche Weine. Ich mußte lachen, als Brians Freundin, die Schauspielerin Anita Dobson, meinte: „Bratwurst mit Kartoffelbrei ist mir lieber!“ Die Rechnung für den Abend ging in die Tausende. Freddie Girardet schrieb auf unsere Karte: „Für Freddie und Jim“.

Etwa um diese Zeit herum traf sich die gleiche Gesellschaft zu einem ruhigen Abendessen in einem Restaurant namens ‚Bavaria‘, das nicht weit vom Studio lag. An diesem Abend gestand Freddie der Band gegenüber ein, daß er krank war.

Irgend jemand am Tisch war erkältet, und das Gespräch drehte sich um den Fluch der Krankheit. Freddie sah eigentlich ganz gut aus, aber er rollte sich das rechte Hosenbein hoch, legte sein Bein auf den Tisch und zeigte seine schmerzhafte offene Wunde an der Wade.

„Ihr meint, ihr hättet Probleme!“, sagte er. „Dann seht euch das mal an. Seht euch an, womit ich fertigwerden muß.

Alle waren geschockt, aber auch sehr mitfühlend. Dann ließ Freddie das Thema ebenso rasch wieder fallen, wie er damit angefangen hatte.

Trotzdem kam es zu Gerüchten über seinen Gesundheitszustand, als er dem DJ Mike Read von Radio One ein Interview gab. Freddie meinte, er wolle nicht mehr auf Tournee gehen; er finde, er sei genug getourt und werde allmählich zu alt, um auf der Bühne herumzuhopsen. In Wahrheit wurde er allmählich zu schwach, um sich solchen Strapazen auszusetzen. Die Presse hingegen entnahm seinen Äußerungen, die Band sei wieder einmal zerstritten und stünde diesmal vor der endgültigen Trennung.

„Da sieht man mal, wieviel die wissen“, sagte Freddie, als ich ihm die Berichte zeigte.

Weit davon entfernt, unterschiedliche Wege zu gehen, arbeitete die Band bereits an dem Projekt, das einmal als ihr wichtigstes Album gelten würde, an ‚Innuendo‘, ihrer letzten LP.

Das Video für die Queen-Single ‚Breakthru‘, das im Juni erschien, war eine Premiere das erste Queen-Video, das nicht im Studio aufgenommen worden war. Statt dessen ließ sich die Band dabei filmen, wie sie über das Dach einer Dampfeisenbahn rannte, die zum Miracle Express umgetauft worden war. Die zweitägigen Dreharbeiten fanden auf einer privaten Eisenbahnstrecke statt, im Nene Valley in Cambridgeshire. Für Außenaufnahmen braucht man gutes Wetter, deshalb beteten wir, daß an den beiden Tagen die Sonne schien, und das tat sie dann auch. Es war richtig heißt.

Um die Fans fernzuhalten, war der Drehort streng geheimgehalten worden, aber sie erschienen trotzdem in Scharen. Als wir am Bahnhof von Nene Valley vorfuhren, waren überall Fans. Auch die Fans trugen zu der phantastischen Atmosphäre bei.

Während Freddie drehte, ließ ich mich von Graham Hamiltons Fahrer, nach Cambridge fahren. Ich wollte für Freddie und mich Shorts kaufen. Als Graham und ich uns bei einem der Polizisten, seinem Ersatz die den Bahnhof bewachten, erkundigten, wie weit es nach Cambridge sei, war er überaus zuvorkommend.

„Ich werde Sie begleiten“, sagte er. „Ich muß sowieso zurückfahren.“

So kam es, daß ich an diesem Tag mit Polizeieskorte einkaufen fuhr.

Irgendwann verkündete Mary die große Neuigkeit, daß sie von Piers Cameron ein Baby erwartete. Von da an standen bei unseren regelmäßigen Reisen nach Montreux auch Babykleider und Spielzeug auf der Einkaufsliste.

Während Marys Schwangerschaft erschien ein gefühlloser Bericht, worin behauptet wurde, Freddie habe einen Liebespakt geschlossen, um mit Mary das Kind zu zeugen, das in Wirklichkeit von Piers war. Das war unfair und stimmte ebensowenig wie die Behauptung, Freddie wolle der Patenonkel des Kindes

werden. Als der Bericht erschien, gab Freddie Mary einen klugen Rat.

„Du solltest jetzt folgendes tun, Schätzchen“, sagte er. „Laß ein hübsches Foto von dir und Piers machen und gib es der Presse.“ Mary zog es jedoch vor, die Angelegenheit auf ihre Art zu behandeln, und unternahm gar nichts.

Als im August die Single ‚The Invisible Man‘ rauskam, begrüßten wir in Garden Lodge einen Neuankömmling, ein weiteres Kätzchen. Ich hatte es in einer Tierhandlung auf der Kensington High Street entdeckt, wo es ganz allein im Schaufenster saß und sich die Kehle wund schrie. Es war ausgesprochen grobknochig und hatte graue, weiße und schwarze Streifen. Ich ging rein und fragte Clive, den Ladenbesitzer, wieviel er dafür haben wolle – 25 Pfund. Ich fand das zu teuer, darum ließ ich das Kätzchen da und trollte mich. In Garden Lodge erzählte ich Phoebe und Joe davon.

“ Wenn dir das Kätzchen so gut gefällt, warum kaufst du’s dann nicht?“ sagten sie. Ich meinte, Freddie werde die Wände hochgehen, wenn wir noch eine Katze bekämen. Dann überlegte ich es mir doch anders und ging zum Laden zurück.

Über die Ställe hatten wir einen zweiten Zugang zur Garden Lodge, und um Freddie auszuweichen, ging ich dort hinein. Ich wollte ihm gegenüber nicht zugeben, daß ich die Katze gekauft hatte, aber wie der Zufall es so wollte, lief ich ihm geradewegs in die Arme.

„Was ist es??“ fragte Freddie Ich machte die Schachtel auf, und Freddie spähte hinein.

„Du Schuft!“ sagte er. Man sah es ihm an, daß das Kätzchen bleiben konnte.

1989 forderte mein furchtbares Schnarchen in unserem Zusammenleben allmählich seinen Tribut. Es ließ ihn nicht schlafen. Und wenn ich ausgegangen war und getrunken hatte, wurde es noch lauter.

Als ich mir eines Nachts neben Freddie wieder einmal die Lunge aus dem Leib schnarchte, versuchte er mich auf die Seite zu wälzen, damit ich aufhörte. Es funktionierte nicht. Schließlich wurde er so ärgerlich, daß er mir sein Knie in den Rücken rammte und mich weckte.

„Was soll das?“ fragte ich.

„Du schnarchst!“ fauchte er.

„Okay“, sagte ich. „Wenn es so schlimm ist, dann gehe ich eben ins Gästezimmer.“ Ich stand auf und ließ ihn in Ruhe schlafen.

Das Rosa Zimmer, unser karg möbliertes großes Gästezimmer, war nur ein paar Schritte vom Hauptschlafzimmer entfernt. Darin gab es ein großes Bett, einen großen Kleiderschrank, einen dreiteiligen Standspiegel und ein Sofa, das Freddie für unser Refugium in Irland bestimmt hatte und das so groß war, daß man es durchs Fenster hatte hereinschaffen müssen. An das Schlafzimmer grenzte ein Bad und ein Ankleideraum.

Zunächst zog ich nur teilweise ins Rosa Zimmer um. Die meisten Nächte verbrachte ich bei Freddie, aber wenn damit zu rechnen war, daß ich schnarchte, stahl ich mich davon und schlief allein.

Als Freddie im Oktober in der Schweiz mit der Band im Studio arbeitete, gab er plötzlich das Rauchen auf. Das kam so: Queen hatte die meiste Zeit des Jahres über in den engen Mountain-Studios in Montreux gearbeitet, die einen winzigen Regieraum hatten. Als Brian eines Morgens dort reinkam, ging er rückwärts wieder raus und beklagte sich, es wäre dort viel zu verräuchert für ihn.

„Stimmt“, meinte Freddie, „von jetzt an wird im Regieraum nicht mehr geraucht.“ Dave Richards, dem Toningenieur gegenüber, war das vielleicht nicht ganz fair, denn er konnte schließlich nicht immer dann eine Pause machen, wenn er rauchen wollte. Aber von da an faßte Freddie keine Zigarette mehr an.

Obwohl er mittlerweile zu milderen Sorten übergewechselt war, hatte Freddie morgens häufig Raucherhusten. Wenn er aufstand, hustete und spuckte er. In der Schweiz war es mit dem Husten so schlimm, daß ich zu ihm meinte, er müsse mit dem Rauchen aufhören. Dann steckte ich mir selbst eine an.

Im selben Monat erschien die neueste Queen-Single ‚Scandal‘ mit ‚My Life Has Been Saved‘ auf der B-Seite. Der nächste Hit der Band, der Ende November rauskam, war ‚The Miracle‘ .

Schon bald pendelten wir wieder hektisch zwischen den Mountain-Studios in Montreux und den Metropolis-Studios in Westlondon hin und her, wo Freddie und die Band Aufnahmen für ihr letztes Album ‚Innuendo‘ machten.

Im Februar (1990) wurde Queen für ihren Beitrag zur britischen Musik von der britischen Schallplattenindustrie im Dominion Theatre feierlich ausgezeichnet. Freddie sah nicht gut aus, obwohl er sich für die Fernsehkameras mit Make-up zugekleistert hatte.

Nach der Feier fand im Groucho-Club zu Ehren des einundzwanzigjährigen Bestehens von Queen eine Party statt. Jede Menge Berühmtheiten waren erschienen, darunter George Michael, Liza Minelli, Barry Humphries, Michael Winner und Patsy Kensit. Freddie hielt Hof an einem Tisch hinten im Lokal. Als Rod Stewart auftauchte, stellte Freddie mich als „Jim, mein Mann“ vor. Ich mußte daran denken, wie Freddie einmal gewitzelt hatte, er wolle zusammen mit Rod und Elton John eine Band gründen, die Teeth, Nose and Hair heißen solle, Zähne, Nase und Haar.

Bevor er bei Queen als Sänger eingestiegen war, hatte Freddie auf dem Ealing College of Art in Westlondon studiert. Er hatte die Malerei längst aufgegeben, doch eines Tages wollte er es auf einmal wieder probieren.

Über Wochen vertiefte er sich täglich stundenlang ins Zeichnen und Malen. Er versuchte Delilah zu porträtieren, aber wie so viele seiner Bilder wurde das Porträt niemals fertig.

Für gewöhnlich fing Freddie gegen Mittag zu arbeiten an. Er hatte stark abgenommen. Trotzdem bestand er darauf, morgens alleine aufzustehen, und er brauchte nicht länger als gewöhnlich, um sich anzukleiden und eine Tasse Tee zu trinken, bevor er ins Studio fuhr.

Immer häufiger bat er Terry, auf dem Weg zum Studio irgendwo zu halten. „Laß mich hier aussteigen, dann gehe ich das letzte Stück zu Fuß“, sagte er dann.

Als es zum erstenmal passierte, wirkte Freddie sehr nachdenklich. Er bat Terry, am See zu halten. Er wollte ein paar Minuten allein sein und ging langsam ans andere Seeufer zu den Schwänen. Nach einer Weile kam er langsam wieder zu uns zurück. „So“, sagte er. „Das reicht. An die Arbeit.“

Mit der Zeit fiel Freddie das Gehen immer schwerer. Ich gab ihm einen Spazierstock, doch er benutzte ihn nicht. Einmal willigte er ein, ihn auszuprobieren, aber dabei blieb es dann auch. Ohne fremde Hilfe zurechtzukommen machte einen Teil seiner Stärke aus.

„Ich werde solange weitergehen, bis Mutter Natur sagt: ‚Halt, bis hierhin und nicht weiter'“, meinte er.