Nick Cave & The Bad Seeds


EIN HYPNOTISIERENDER FRONTMANN WAR NICK CAVE schon zu Zeiten von Sirthday Party. Heute ist er sowas wie ein wiederauferstandener Rattenfänger von Hameln geworden. Nur hat Cave schon mehrfach mit dem Teufel persönlich geluncht und kann so auf ein reizvolleres Song-Repertoire zurückgreifen als der harmlose mittelalterliche Flötist. Was Cave heute Abend einer privilegierten Schar von knapp tausend Fans gratis zu Gehör bringt, ist eine so atemberaubende Demonstration theatralischer Intensität und emotionaler Veräußerlichung, wie man sie irn gefühlsbankrotten Rockumfeld dieser Tage nurmehr selten findet.

Die Atmosphäre begann sich schon am Nachmittag aufzubauen. Vom „LA 2“ führte die festliche Schlange von Pilgern, die eines der Tickets für die heutige Gratis-Show zu ergattern hofften, an der Charing Cross Road entlang in eine Seitenstraße, an der Kirche vorbei, bis tief in den idyllischen Soho Square hinein. Die Mehrzahl der Fans mußte schließlich enttäuscht wieder heimwärts trotten entsprechend glücklich schätzte sich die verbliebene Minderheit, die sich wenig später zusammen mit Prominenz wie P.J. Harvey und dem halben Künstlerstamm von Caves Label Mute Records um ein Plätzchen in Griffweite der flatternden Nylonhosen des heiligen Nickolas balgte.

Der heult denn auch sogleich los wie der archetypische Besessene – „Deanna“ setzt den Ton, ein Song von 1988, der klingt wie eben erst aus dem Handgelenk geschüttelt. Vom vulkanischen Zorn geht man alsbald zur tiefen Melancholie über: Als Cave mit Blixa Bargeld im Duett zum „Weeping Song“ ansetzt, wirkt schon der emotionale Sprung, der auch den Zuschauern abgefordert wird, berauschend. Weiter geht’s mit „Do You Love Me?“ bei Cave eher eine Drohung als eine süße Frage. Die Show besteht zu gleichen Teilen aus Horror, Romantik und Zirkus – und dann kommt auch noch der Familienvater Nick Cave ins Spiel. Es sei dies der siebte Geburtstag und auch die erste Cave-Show seines heute abend anwesenden Sohnes Luke, verkündet der stolze Papa, läßt die Menge ein legeres „Happy Birthday“ anstimmen und hebt dann zu „Into My Arms“ an. Es folgen infernalisch intensive Versionen von „Red Right Hand“, „Tupelo“ („Haben wir seit Jahren nicht mehr gespielt“) und“From Her To Eternity“. Die Band, von Cave mittels eines sehr unterhaltsamen Balletts von dramatischen Gesten dirigiert, ist in Top-Form – besonders auffällig ist dabei der saftstrotzende Baß von Martyn Casey. Als Zugabe gibt’s noch „The Ship Song“, „Nobody’s Baby Now“ und ein hypnotisierendes „The Mercy Seat“. Selten wohl hat eine reine „Evergreen-Show“ dermaßen Feuer gespien.