Tocotronic: Drei Nüsse für Tocotronic


Auf der Blomenburg bei Selent drehen Tocotronic den märchenhaften Clip zu "This Boy Is Tocotronic".

Wenn es so etwas gibt wie tierische Engelsgeduld: dieser Hase hat sie. Ruhig liegt er da, während zum x-ten Mal der Abstand zwischen der Kamera und seinem Hasenkopf vermessen wird – ein possierliches, farbfernsehgerechtes Tierchen. Warm im Arm gehalten wird er von einem Mädchen mit blonden Korkenzieherlocken, das neben einem Jungen in einem Messingbett liegt. Brüderchen und Schwesterchen, friedlich schlafend. Die Performance des jungen Manns ist allerdings ausbaufähig. Ängstlich spinkst er in Richtung einer ebenfalls anwesenden imposanten Schneeeule – da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Eine der leichtesten Übungen für Stephanie von Beauvais, die Regisseurin am Set. „Alle Kinder machen jetzt alle Augen zu“, sagt sie sanft – und siehe da, die Szene ist im Kasten.

Wir befinden uns in Selent, einem beschaulichen Fleckchen Erde, 20 Kilometer vor den Toren Kiels gelegen. Ort des Szenarios: die Blomenburg. eine weiß getünchte Zuckerbäckerei im Baustil englischer Neugotik, ein Gebäude wie aus den allerprächtigsten Märchen: schöner wohnen auf Romantisch, im Moment allerdings wohnt niemand in der Blomenburg, und so können Tocotronic 154 Jahre nach der Fertigstellung des Gebäudes durch den Berliner Baumeister Eduard Knoblauch hier den Clip zu „This Boy Is Tocotronic“ drehen. Nicht mit Hund-Katze-Maus, dafür aber mit eben jenem Hasen, der Schneeeule „Schneewittchen sowie einem Waschbär, einem Frettchen und Pferden. „Der Clip ist eine Referenz an tschechische Märchenfilme, die wir als Kinder gerne gekuckt haben und auch heute noch mögen“, erklärt Dirk von Lowtzow, „‚Drei Nüsse für Aschenbrödel‘ war endlich mal etwas anderes als dieser ganze Disney-Kitsch. Ein wohlig-listiger Film, aber auch ein bisschen unheimlich.“ Kollege Arne Zank nickt zustimmend und beschreibt dann präzise den Part, den Bassist Jan Müller gerade spielt: „Ich weiß jetzt nicht, ob er als Person oder als Arm mitspielt, der den Kerzenständer hält.“ Zur Information: Er spielt als Kerzenständer-haltender Arm. „Was fü’r’n Job“, brummt Jan, nachdem er zum fünften Mal tief Luft geholt und die Kerzen ausgeblasen hat.

Brüderchen und Schwesterchen haben längst frei und schlummern in ihrem richtigen Betten; der Waschbär war übellaunig, hat seinen Auftritt verpatzt, und deshalb wurde seine Rolle kurzerhand rausgeschrieben. Im Hof der Blomenburg zeigt Schneewittchen, was für ein außergewöhnlich begabtes Tier sie ist. indem sie auf Kommando mit den Flügeln schlägt. This clip is typisch Tocotronic: zu einem Song, der zielgerichtet und catchy nach vorne geht, haben sie keine schweißtreibende Rockshow ins Bild gesetzt, sondern das Ganze – mit einer zauberhaft-romantischen Ebene gebrochen. Jung gebliebene Herzen hüpfen höher bei dem Clip; Augen, die mit Romantik auf Du und Du stehen, bleiben alles andere als trocken.