The Cure :: Seventeen Seconds / Faith / Pornography

Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Als Robert Smith sich musikalisch auskotzte, schufen The Cure drei schwer verdauliche, aber auch höchst eindrucksvolle Alben voller stilprägendem Weltschmerz-Poprock.

Ob der alte Schmidt bei der Aufarbeitung in Selbstverliebtheit gründelte, wo er dereinst lieber in Selbstmitleid versank, ist egal: Die Sorgfalt, mit der er den Backkatalog der geschichtsträchtigen Düsterpoprocker aufarbeitet, ist vorbildlich. Was der Fan braucht (und vielleicht auf Tapes und Boottegs teilweise schon teuer erworben hat), kriegt er und nichts doppelt. Das galt für die dicke Join The Dots-B-Seiten- und Raritäten-Sammlung (2004) genau so wie für die stückweise Wiederauflage der Cure-Alben als Deluxe Edition. Dabei wird genau auf die Feinheiten Wert gelegt, die zeigen, daß man sich Mühe gibt. Ein Beispiel: Auf der Bonus-CD zu Faith komplettiert die Single „Charlotte Sometimes“ das Angebot, ein Song, den es nur als Single (und später auf der für Fans aber ansonsten wertlosen Sammlung Standing On The Beach) gab. Darüber hinaus ist die Auswahl an Raritäten zu Seventeen Seconds (1979-1980), Faith (1980-1981) und Pornography (198I-1982) zwar üppig, aber auch nicht in allen Teilen künsterlisch wertvoll oder zumindest historisch erhellend. Was daran liegt, daß The Cure zwar von Anfang an eine fleißige Band waren, ihr Weg vom Demo aber zumindest in frühen Jahren direkt zum fertigen Song führte. Es fehlt also an interessanten Outtake-Werkschauen. Wie das eben ist bei einer Postpunkkapelle, die, obwohl sie immer weiter ins Grübeln und Dümpeln und drogenbedingte Dröhnen geriet, keinen zu theoretischen Umgang mit ihrer formal bis heute geradlinig strukturierten Musik pflegte. Und deren Chef es an Durchsetzunqskraft nie mangelte. Aus der Zeit von Seventeen Seconds (4 Sterne), diesem unterkühlten, strengen, Tür an Tür mit Bowies low atmosphärisch nahezu hermetisch abgeschlossenen 35-Minüter, blieb kein einziger neuer alter Song übrig. Man mochte sich das auch gar nicht vorstellen: Diesem grauen, monothematischen, gravierenden Etwas von einem Album könnte bei seiner Geburt etwas abhanden gekommen sein … Dennoch ist die Bezeichnung „Rarities“ für CD2 keine Übertreibung. Zumindest, wenn es um die hier plazierte Single von Cult Hero geht – einem Lust-und-Laune-Projekt mit Postbote Frank Bell, das noch sehr nach dem Cure-Debüt klang, mit dem sich aber auch schon der Teamwechsel zu Bassist Simon Gallup und Kurzzeit-Keyboarder Matthieu Hartley vollzog. Zwei Home-Demos und der alternative Studio-Mix von „Three“ erschließen dem Hörer darüber hinaus keine neuen Erkenntnisse; die Liveversionen von acht Seconds-Tracks taugen zumindest als Zeitdokumente in noch etwas unentschlossenen Arrangements in allerdings ordentlichem Sound. Bei Faith (4,5 Sterne) dachte Robert Smith nach dem Achtungserfolg des Vorgängers (Platz 20 in den UK-Charts) gar nicht daran, vom eingeschlagenen Weg abzuweichen. Das Cover nur eine weitere Ahnung in Grau; der Sound ein Scharren an den Saiten, Keyboard-Akkorde mit langem Atem, hohles Klopfen und ein paar harte Schläge (NewWave!)-daraus formte der stoische Bob gleichförmige Lamenti, denen nur noch aus manchen mollnen Akkordwechseln („All Cats Are Grey“! „The Drowning Man“! der Titelsong!) so etwas wie Lebensbejahung zu entnehmen war. Tatsächlich fiel Faith sogar ein wenig wärmer als Seventeen Seconds aus, die Horizontale sollte man aber nicht verlassen: Das Bad in Melancholie ist schließlich ein Vollbad! Die Outtakes-Tasche konnte für Cures dritte LP dicker bepackt werden: Die psychedelische Soundtrackwurst „Carnage Visors“ zum Tourfilm (statt Vorgruppe!) ergänzt CD1; dazu gibt es aus Smiths Demo-Sammlung spröde Skizzen von „Faith“ und „Doubt“; die Band versucht sich in Demos an dem Entwurf „Drowning“ und rumpelt über den mächtigen Baßlauf von „The Holy Hour“. „Primary“ als Studio Out-Take hat man so versöhnlich und gleichsam rettungslos Verblasen noch nicht gehört, der fröhlich beheulte Standard „Going Home Time“, das muntere „A Normal Story“ und das Murmeln „The Violin Song“ sowieso nicht: Sie schafften es nicht auf’s Album. Es wird klar: Auf das düstere Zehren und Zerren von Faith liefen The Cure nicht zu zielstrebig zu. Sechs Live-Songs komplettieren das Paket. Und schließlich: das Finale. Von Pornography (3,5 Sterne) hat man doch schon genug, oder? Meint: Dieses Album ist bereits ein kaum verdaulicher Brocken. Es trommelt ein todgesagter Stamm, der schneidende Baß hinterläßt Narben, die Gitarren kreisen wie im Fieber, es heulen Geister. Bonus kann da wohl nur Ballast sein: Weiter Richtung nichts ziehen uns mit „Break“, „Demise“ und „Temptation“ drei zähe Entwürfe, die dünnen Studiodemos von „The Figurehead“, „The Hanging Garden (noch ohne Tribal-Drums) und „One Hundred Years“ (Zahnarztbohrer-Sound) und mit „Airlock“ eine angestrengte Experimentat-Beschallung zum nächsten Tour-Vorfilm. Die sechs Live-Trackssind leider von mäßiger Soundqualität. Immerhin: ein Lebenszeichen von einer Band, die gerade eine musikalische Nahtod-Erfahrung gemacht hatte. (Die Wertungen im Text beziehen sich auf die Deluxe-Ausgaben, also vor allem auf Bonusmaterial, die (sehr ordentliche) Ausstattung inklusive Linernotes und Bebilderung und den spürbar verbesserten Sound als auf den künstlerischen Wert der Original-Alben.

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