Pink Floyd: Fliegende Schweine


Die Reunion von Pink Floyd bei Live8 beendete nach 20 Jahren "die Mutter aller Band-Zerwürfnisse. Hat Spaß gemacht, sagt die Band. Auf weitere Schweinsflüge in naher Zukunft sollte man aber nicht hoffen - obwohl Hobby-Hirnforscher Roger Waters mit Erstaunlichem aufwartet.

Vielleicht muß man noch mal eben erklären, was die Reunion von Pink Floyd zu ihrem knapp halbstündigen Auftritt bei Live8 im Juli gar so unvergleichlich speziell und gemütswärmend machte. Wer, wie dieser Autor, Pink Floyd nach Anfang der 80er kennenlernte und ihnen anheimfiel – Pink Floyd sind eine ideale Band zum Anheimfallen im Sinne einer bleibenden Verbundenheit, die nicht in Bootlegsammelblödsinn ausarten muß -, hatte es grob gesagt mit drei Bands zu tun: den frühen Barrett-Floyd (um die es hier nicht geht); den klassischen 70s-Floyd mit Roger Waters, David Gilmour, Nick Mason und Rick Wright; und mit dem Greatest-Hits-stadientourenden, Waters-losen End-80er/90er-Trio. Die letztere Inkarnation – die, die man live erlebte -, war musikalisch und überhaupt natürlich die belangloseste, aber um sie rankten sich Geschichten von seelischer Grausamkeit, blutenden Egos und um Urheber- und Namensrechte gefochtenen Prozessen. Der Punkt, an dem sich vor allem Waters, der die Band 1985 – erfolglos – für aufgelöst erklärt hatte, aufrieb war: credit, Anerkennung. Es trieb den von Haus aus Entflammbaren die Wände hoch, daß seine Ex-Kollegen mit den Songs aus der Zeit, als er der kreative Kopf der Band war, Stadien füllten, während er mit seinen ambitionierten Soloprojekten Schiffbruch erlitt. Noch in den 00er-Jahren konnte er sich in Interviews Seitenhiebe auf Gilmour nicht verkneifen – der tat, obschon cooler, sein Übriges dazu: Mehr als 20 Jahre lang schien die Vorstellung, daß diese beiden Sturköpfe je noch einmal zusammen auf einer Bühne stehen würden, so undenkbar wie jene im Englischen sprichwörtlichen fliegenden Schweine, die Waters auf dem Floyd-Album „Animals“ in „Pigs On The Wing, Part One“ und „Part Two“ als Metapher heranzog. Am 2. Juli 2005 spielten Pink Floyd in 70er-Jahre-Besetzung vor 200.000 Zuschauern im Londoner Hyde Park. Am Ende teilten sich Waters und Gilmour die Strophen von „Wish You Were Here“, jener sinnsuchenden Eloge von Verlust und Entfremdung. Hier durfte man einmal das Wort vom „Gänsehaut-Moment“ auspacken.

„Ja, das hat sehr gut gepaßt“, sagt Nick Mason über die „Wish You Were Here“-Überraschung. Dem 61jährigen ist durchaus klar, welche Emotionen der Live8-Auftritt ausgelöst hat, und ihm selbst war in den Fernsehbildern seine Seligkeit anzusehen, aber als archetypischer Brite ist er geboren, um Kirchen in Dörfern zu lassen. „Ich hab’s genossen, zurück in diesem sehr vertrauten Umfeld zu sein“, räumt er ein, „und Leute haben mir erzählt, daß sie Tränen in den Augen hatten, ja. Ich war auch bewegt, aber ich habe auch gearbeitet. Man kann sich Rührung nur bis zu einem gewissen Maß leisten, wenn man gleichzeitig seine Einsätze erwischen muß.“ Mason widerspricht auch der Wahrnehmung des Floyd-Bruchs als der Mutter aller Band-Zerwürfnisse. „Es war einfach eine Trennung, wie es hunderte im Rock’n’Roll gibt. Unsere lief nur sehr öffentlich ab. Vor allem Roger machte seine Standpunkte sehr deutlich klar, und dadurch gab es die Presse. Wie bei einer Scheidung im Königshaus.“

Wir treffen Mason – der noch etwas geschlaucht wirkt von einer Blinddarmoperation – Anfang November im Büro seiner Firma (Musikverlag, Verleih für „historic cars“) in einem Hinterhof in London-Islington. Ein paar junge Mitarbeiter hacken an Computern, überall hängen und stehen Rennsport- und Floyd-Memorabilia herum: Masons Doppel-Bassdrum (die mit den Wellen drauf) aus den frühen 70ern steht unter einem Flipper, von der Decke hängt das Stuka-Bomber-Modell aus dem „The Wall“-Film. Vorn an der Sitzecke steht das Phantasie-Orgelgerät, das Floyd-Artworkmann Storm Thorgerson anhand von Masons Coverzeichnung für Relics Anfang der 90er baute. „Offizieller“ Anlaß des Interviews ist Masons Buch „Inside Out“, seine herrliche, überraschend witzig erzählte „personal history“ von Pink Floyd, derentwegen David Gilmour nicht mehr so gut auf ihn zu sprechen ist. Gilmour hatte versucht, ihn von dem Projekt – an dem Mason seit 1994 arbeitete – abzubringen, zugunsten einer Bandhistorie, in der alle Mitglieder zu Wort kommen. „So ein Buch wäre nie zustande gekommen“, ist sich Mason sicher, „wir wären uns nie über irgendetwas einig geworden. Also habe ich meine Version gemacht und den anderen die Möglichkeit eingeräumt, Sachen streichen zu lassen.“ Von der niemand Gebrauch machte. Trotzdem ist Gilmour unzufrieden. „Er mag es nicht, daß ich die ganze Sache mit so viel Leichtigkeit behandle. Er hätte es gern ernster genommen gesehen.“ Aber jetzt ist er okay mit dem Buch? „Nun, er hat mich jedenfalls nicht verklagt“, sagt Mason trocken mit dem Hauch eines Lächelns, das zu sagen scheint: Das ist doch schon mal nicht schlecht für uns, was?

Das Gegenstück des zurückhaltenden, diplomatischen Drummers sitzt uns zwei Monate zuvor in einem Salon des noblen „Home House“-Clubs im Londoner Zentrum gegenüber und lacht: „Nick: hat mir damals die erste Fassung des Buches geschickt, und ich bin sie durchgegangen. Ich sage immer – das ist jetzt so ein Witz zwischen uns geworden – ‚Nick ist so ein großartiger Schriftsteller. Er erfindet die tollsten Geschichten!'“ Noch in den 90ern hätte Roger Waters einem einen Mundvoll Galle entgegengespuckt bei der Erwähnung von Nick Mason. Seinem alten Freund seit 60er-Jahre-Uni-Tagen hatte er den „Verrat“ der Floyd-Fortführung immer am übelsten genommen. Dann liefen sich die beiden im Januar 2002 bei einem Wohltätigkeits-Picknick auf der Karibikinsel Mustique zufällig über den Weg – und Waters machte den ersten Schritt zur Aussöhnung (indem er von hinten auf Mason zutrat und anfing, dem Überraschten den Nacken zu massieren). Seitdem sieht man sich „frequently“, Mason geht so weit, die wiedergefundene Freundschaft „könnte“ ein „Katalysator“ der Reunion gewesen sein.

Auch für das Gespräch mit Waters gibt es einen „offiziellen“ Grund: seine Oper „Ca Ira“, die nach 16 Jahren Arbeit (mit Unterbrechungen) fertig ist (CD-Veröffentlichung war im September bei Sony Classical, Uraufführung am 18. November in Rom) und über die der drahtige 62jährige genauso lebhaft und begeistert ausufernd reden mag wie über alles, was ihn interessiert – nur anstupsen, und schon holt er aus über Cricket, Kathedralenbau, das Verbot der Fuchsjagd in England etc. Dieser Mann ist on fire und verströmt nichts von der aggressiven Aura, die ihn einst zum Interviewerschreck machte. Einmal zieht er das Libretto seines klassischen Werks über die Französische Revolution hervor, blättert geschäftig und zitiert dann eine ellenlange Stelle, um einen Punkt zu untermauern. Die Verhältnisse im vorrevolutionären Frankreich findet er „absolut direkt“ vergleichbar mit der globalökonomischen Situation heute: „Der Reichtum ist konzentriert in den Händen weniger, und deren Führer fühlen sich vom Allmächtigen in diese Position eingesetzt. Blair und Bush sind der Ansicht, sie handeln im Namen Gottes. Und der übergroße Rest der Weltbevölkerung hat NICHTS. Es ist aber nicht so, daß dieser kleine Club da oben sich sagen würde: ‚Woah, Vorsicht. Das hier könnte in einem Blutbad enden! Wir müssen mal sehen, wie wir da eine Balance reinkriegen.‘ Nichts dergleichen. Aber dieses Jahr wurde zumindest etwas Lärm gemacht. Die G8-Sache, die Live8-Sache. Oder Jeffrey Sachs mit seinem Buch. Es gibt immer mehr Stimmen, die anmerken, daß es ganz klug sein könnte, sich mal der Probleme der dritten Welt anzunehmen.“

Bob Geldof für sein Live8-Spektakel mit etwas unschlagbar Sensationellem wie der Floyd-Reunion unter die Arme zu greifen, war dem von jeher leidenschaftlich politisch engagierten „Roten Roger“ ein Anliegen – es traf sich aber auch gut mit einer Art Friedensmission in eigener Sache. „Es war gut für uns alle“, sagt Waters über die Reunion. „Wir hatten riesige Konflikte in der Vergangenheit, und wir denken immer noch verschieden. Aber wir können das jetzt tun, ohne einen Krieg darum zu führen.Es war für mich psychologisch wichtig, ein Teil dieser Sache gewesen zu sein. Mich von dieser Feindseligkeit gelöst zu haben.“

Mit entscheidend für die Wandlung von Waters, dem verbittert um sich Beißenden, zum regelrecht ausgeglichenen Friedensengel dieser Tage, das räumt er selber ein, waren die wärmstens aufgenommenen Solo-Tourneen in den Jahren 1999 bis 2002, seine erfolgreichsten Konzertreihen seit Floyds „The Wall“-Shows 1980/81. „Die gaben mir völlig neues Selbstvertrauen. Das Gefühl, daß ich in meinen eigenen Schuhen stand. „Wer mit sich zufrieden ist, ist auch eher für Frieden zu haben.

Aber noch etwas anderes hat Waters bewogen, einiges einer Positionen neu zu überdenken: Eine wissenschaftliche Erkenntnis, die ihn fasziniert und auf die sich auch seine Äußerung von wegen der „tollen Geschichten „von Mason bezieht. „Neurologen haben das Phänomen des ‚false memory syndrome‘ erforscht“, erklärt er. „Wir wissen heute, daß das menschliche Gehirn falsche Erinnerungen kreieren kann. Ich wußte davon natürlich 20 Jahre lang nichts. Ich dachte, wenn ich mich absolut an etwas erinnere, dann war es auch genauso. So: ‚Ich weiß es doch noch genau: Er kam rein, mit blauen Schuhen an, ging rüber und tat zwei Würfel Zucker in seinen Kaffee!‘ Dabei ist es gut möglich, daß es überhaupt nicht annähernd so passiert ist. Sondern daß man nur DENKT, es sei so passiert. Daß das Gehirn Erinnerungen kreiert, die unserer Psyche in den Kram passen. Unsere Emotionen erschaffen Erinnerungen!“

Besonders signifikant erscheint Waters dieser einigermaßen konkurrenzlos selbstkritische Ansatz in Bezug auf seine alte Obsession: Wer, wenn nicht so gut wie er allein, war die kreative Kraft hinter Pink Floyd? Der Korrespondent fällt fast vom Stuhl bei den folgenden Ausführungen, die klingen, als kündige der Papst an, sich das mit der Homo-Ehe doch noch mal durch den Kopf gehen zu lassen: „Wenn man diese ‚false memory‘-Sache für sich als plausibel akzeptiert, dann ist es wirklich heftig, das zuende zu denken: ‚Hergott! Vielleicht hab‘ das ja gar nicht ich gemacht, sondern er? Vielleicht hab‘ nicht ich allein das alles gemacht, sondern wir zusammen?‘ Und darum geht es doch letztlich. Leute, die in kreative Prozesse involviert sind, nehmen das sehr wichtig: Wer hat was beigetragen? Man sieht das ja jetzt bei McCartney. Wir nehmen es wichtig, sogar wenn der andere schon tot ist. Paul ist die öffentliche Wahrnehmung davon, was er bei den Beatles beigetragen hat, sehr wichtig. Aber Tatsache ist, daß wir es nie genau wissen werden, a) weil wir nicht dabei waren, und b), weil die beiden, selbst wenn Lennon noch lebte, sich nie exakt an die Wahrheit erinnern würden, weil sie beide erfundene Erinnerungen im Kopf hätten. Im Endeffekt haben sie es gemeinsam gemacht, der Rest ist egal – das Ergebnis ist fantastisch. Und genauso ist es bei Pink Floyd. Was wir gemacht haben, haben wir zusammen gemacht. Es war eine großartige Band, und wir haben großartige Arbeit gemacht. Und das ist genug.“

Wow. Damit wären also 30 Jahre Spannungen ad acta gelegt? Na, doch nicht ganz. Wie jetzt nicht mehr verwundert, ging die Initiative zur Reunion von Waters aus. Gilmour ließ sich – obwohl bekannt für seine Generosität in Wohltätigkeitsdingen – aber überraschend lange bitten. Nick Mason: „David hat da wirklich ein Opfer gebracht. Er wollte es nicht tun, weil er gerade mitten in seinem Soloprojekt steckt. Und das wird nun in der Tat ein großes Problem für Dave werden, wenn er nächstes Jahr mit der Platte rauskommt. Weil jeder ihn fragen wird: Was ist mit Pink Floyd? Sie werden fragen und fragen, das hört ja nie auf. Es wird schlimm werden. „Man müßte sich Waters schon als hirngewaschen vorstellen, wenn er nicht seinen Spaß daran gehabt hätte, seinen alten Widerpart höchstpersönlich aus der Reserve zu locken. Das Vergnügen an seiner Rolle als agierender Mittler in der Geschichte ist ihm anzumerken, als er einen Einblick in die Sondierungsgespräche mit Gilmour gibt: „Ich rief ihn an. Er ging selbst ans Telefon und war sehr überrascht. Aber er hörte mich an. Und ich sagte: ‚Hör mal, Geldof kaut mir das Ohr ab wegen dieser Live8-Geschichte, und er meint, du hast keine Lust drauf. Warum denn nicht?‘ Dave meinte dann, er sei etwas eingerostet. Und ich sagte: ‚Komm schon, Dave, wir spielen nur ein paar Nummern. Das wird lustig, das wird gut!‘ Er wollte dann 24 Stunden Bedenkzeit.“

Letztlich sprang Gilmour über seinen Schatten und schrieb Waters, wie man hört, danach sogar eine E-Mail: „I’m glad you made that phone call.“ Aber so sehr Mason und Waters betonen, wie angenehm das erste Bandmeeting in einem Vierteljahrhundert und die drei knapp dreistündigen Proben vor dem Event verliefen (Waters: „Alle waren natürlich vorsichtig, niemandem auf die Zehen zu steigen. Es war alles sehr höflich. Aber wir hatten ein paar schöne Lacher, wenn die alten running gags von früher ausgepackt wurden.“), wieviel Spaß ihnen der Auftritt gemacht hat und wie gut sie sich weitere gemeinsame Floyd-Aktivitäten vorstellen können („Wenn es wieder einen guten Grund gäbe“, sagt Waters), so endgültig klingt Nick Masons mit verschmitztem Lächeln getätigte Feststellung zur neuen Rolle von David Gilmour im komplizierten Männer-Ego-Spannungsfeld Pink Floyd: „Er ist jetzt das Problem.“

Wenn all die Jahre die Chancen für eine Floyd-Reunion von der Laune von Dickkopf Roger Waters abhingen, dann ist jetzt eben der Dickkopf David Gilmour dran. Eine realistische Einschätzung dürfte sein: keine Schweineflüge auf absehbare Zeit. Und wäre es denn nicht auch okay so? Schöner als beim ersten Mal wird’s selten. Obwohl…