Das Dutzend ist voll!


Seit 1997 findet das Melt!Festival jährlich in Ferropolis in der Nähe von Dessau statt. 20.000 Musikbegeisterte feierten auch 2009 ein Partywochende aller erster Güte ab. Hier der Frontbericht.

Freitagnacht. Massen von Menschen drängen sich unter das hohe Dach der Geministage, um nicht nass zu werden. Und wieder einmal ist es eine ungemütliche Wetterlage, die den uncleveren Security- Pulk zu idiotischen Reaktionen anhält und damit den vorläufigen negativen Höhepunkt des Melt!- Festivals 2009 bildete. Es war das zwölfte Festival seiner Art, das „Dirty Dozen“ war komplett und Ferropolis erneut Treffpunkt der auserlesensten Musiker rund um den Planeten.Bester Act zum Festivalbeginn waren Travis. Die Gruppe um Fran Healy, die es trotz Softpop- Image verstand im Glasgower Stil die Hauptbühne zu rocken. Gleichermaßen sentimental und doch auch mit härteren Riffs bewiesen sie, dass sie immernoch zur Crème de la Crème der aktuellen Musikszene gehören. Und das zwischen den beiden Electroheadlinern Aphex Twin und Röyksopp. Enttäuschend hingegen war der Auftritt des kanadischen Atari-Electro-Duos Crystal Castles. Denn kaum waren die beiden auf der Bühne angekommen, schon ging das vodkagetränkte Kreischen los. Frontfrau Alice Glass wollte wohl auch niemand mehr zutrauen, dass sie nach einer halben Flasche „Absolut“ noch ihre zerstörerischen Texte á „Just because we don‘t feel flesh/Doesn‘t mean we don‘t fear death“ über die Lippen brachte. Stattdessen krächzte sie sich halb stage-divend, halb auf der Bühne kriechend, ihren eigenen Hype aus der Seele. Als dann um 3:00 Uhr die beiden Engländer von Simian Mobile Disco noch bewiesen, dass man mit einer grandiosen Lichtshow ein mieses House-Brett zum Guten bekehren kann, war der Abend eigentlich gelungen. Doch dann traf das ein, was jeder erwartet, doch niemand zu glauben wagte. Denn die Unwetterwarnung, aufgrund der schon einige andere Konzerte diesen Tages abgesetzt wurden, zog über Ferropolis her und bescherte so manchem Festivalgänger die ein oder andere heftige Erkältung. Denn am nächsten Tag war das Gelände nur noch halb so voll. Eingeleitet wurde dann der mit Abstand beste Tag des Festivals am Samstag um 15:00 Uhr mit vier gesottenen Britrockern, den Baddies und dem vermutlich diesjährigen Ersatz für die Melt’sche Tarditionscombo Hot Chip, nämlich The Whitest Boy Alive aus Norwegen. Erlend Øye, Frontmann und weiterhin Mitglied von Kings of Convenience, entlockte seiner Gitarre das ein oder andere tanzbare Riff und erinnerte mit seinem Musikstil, vor allem aber auch mit seinem Nerd-Image und auffälligem Brillengestell sehr an Alexis Taylor, Frontmann von Hot Chip. Dass dann zwar Animal Collective die Stimmung wieder auf den Boden brachten und mit einem für den Moment einen Zacken zu avantgardistischen Expererimental-Electronica keinen Zuspruch erlangten, tat dann nicht wirklich mehr was zur Sache. Denn in dem Augenblick, als Thomas Mars, Sänger des Versailler Quartetts Phoenix, auf die Bühne trat, war es wieder da: das Melt!- Gefühl. Das, was kein anderes Festival hat. Es ist der Moment, in dem ein grandios illuminiertes Gelände im Einklang mit dem Popsong der Stunde in den Besuchern das Gefühl für das Wort „Musik“ erregt. Phoenix bewiesen, dass sie ihre so clever durchkomponierten Popsongs, wie sie auf dem aktuellen Werk der Gruppe, „Wolfgang Amadeus Phoenix“ zu hören sind, auch problemlos live spielen können. Da liegt die Authenzität ihrer scheinbar ironischen Selbstüberschätzung aus dem Albumtitel nämlich plötzlich gar nicht mehr so fern. Aber die beste Liveband dieser Generation ist mit ziemlicher Sicherheit Bloc Party. Es ist ein Moment großer Erwartungen, die noch mit Riesenschritten überrundet werdensollen , als die Band um Sänger Kele Okereke auf die Bühne tritt und alsbald den Höhepunkt des Melt!- Festivals 2009 ausgemacht haben wird. Denn eine Show diesen Niveaus so professionell darzubieten ohne dabei arrogant zu wirken erfordert mit Sicherheit ein maximales Pensum an musikalischem Bewusstsein, was hier die Existenz einer der größten durch und durch Virtuosen und doch emotional berührenden Rockbands beweist. Denn der Augenblick, in dem man versteht, dass Musik tatsächlich nicht von iTunes entworfen ist sondern, dass es das Werk von Menschen wie mir und dir ist gibt einem das Gefühl mitten drin zu stehen, im Musikgeschehen. Deshalb war es dann auch egal, als die beiden Headliner Kasabian und Oasis gerade einmal eine durchschnittliche Show hinlegten und es in ihrem arroganten Stil nicht wirklich zu beweisen verstanden, warum sie denn nun die größten Bands der Welt sind. Denn gerade die Gallagher- Brüder, die diesmal den Abschluss des Festivals baten, kamen nicht an ihre Vorgängerin Björk ran, die im letzten Jahr als letzter Act mit einer grandiosen Show ein geradezu verkorkstes Melt „rettete“. Dieses Jahr war das Melt! alles andere als verkorkst. Denn vom 17.-19. Juli 2009 verstanden es 20.000 Menschen gemeinsam glücklich zu feiern.

Josa Mania-Schlegel – 04.08.2009