Das Strahlen New Yorks und der Kampf um Los Angeles


Jay-Z stellt seine Dominanz auf einem Rockfestival unter Beweis. Rage Against The Machine fegen über die Zuschauer hinweg

Es gab sie, die Stinkefinger der Zuschauer, aber es waren doch sehr wenige. Und das war auch ganz richtig so.Jay-Z, der vor einigen Jahren zunächst als Support von Coldplay und danach als (Co)-Headliner auf klassisch orientierten Rock-Festivals Kontakt mit eher Gitarren-interessiertem Publikum aufnahm, ließ bei seinem Auftritt am Abend keinen Zweifel daran: dass auch Rock-am-Ring sein Festival sein würde. Das Publikum sah das genau so. Wogende Arme bis zum Horizont. Auf der Leinwand die glühende Skyline Manhattans, „Empire State of Mind“, das gemeinsame Duett mit Alicia Keys, heute von einer Gastsängerin übernommen. Der Song war ein Beam in einen anderen, noch schöneren Ort. Jay-Z spielte seine Hits, die eigenen Melodien verknüpften sich mit denen aus „Sunday Bloody Sunday“ oder „Diamonds Are Forever“, er improvisierte, er teilte den Raum mit einem Gastrapper, er wogte mit den Massen. Es war die perfekte Kommunikation. Er verabschiedete sich nach 90 Minuten, aber er ging ohne zurückzublicken. Das muss Jay-Z auch nicht. Seine Beyoncé sah den Auftritt vom Balkon aus. Und hat getanzt.Irgendwo im Publikum wurde eine US-Flagge verbrannt. Und dann kamen die Headliner Rage Against The Machine. Oder vielmehr: Sie fegten über die Zuschauer hinweg.Es gibt wenige Rockbands, die in der sparsamen Besetzung Gesang-Gitarre-Bass-Schlagzeug so Vieles vermögen, und die ganze Zeit nagte an einem der Gedanke, warum die Band nicht endlich eine neue Platte aufnimmt – weil man doch fürchten muss, dass Rage Against The Machine sich irgendwann mit dem Material aus dem Debüt (1992), „Evil Empire“ (1996), „The Battle of Los Angeles“ (1999) und „Renegades“ (2000) langweilen könnten. Sah aber heute Abend überhaupt nicht danach aus. Der langsam aufsteigende Rote Stern auf der Leinwand – die Band ist ihren Idealen sehr, sehr treu – kündigte ein Soundinferno an, das bei Rock am Ring vielleicht über sehr, sehr lange Zeit seinesgleichen suchen wird. Sie sind eine Klasse für sich.Die übliche und einzige Live-Schwäche der Band – sie verbraten einen Großteil ihrer besten Songs bereits im vorderen Set-Drittel, heute waren es „Bombtrack“, „People of the Sun“, „Testify“ und „Bulls On Parade“, dazu klingt „Renegades of Funk“ live zu dünn und wenig groovy – wurden schlichtweg von der Energie aus Band und Publikum überrollt. Der Rage-Set funktionierte wie das Aufladen eines Publikums-Akkus, der sich bei den Zugaben „Freedom“ und „Killing in the Name“ in einer einzigen wogenden Masse und 160.000 gereckten Fäusten entlud. Zeilen wie „Some of those that work forces, are the same that burn crosses“, „Those who died are justified, for wearing the badge, they’re the chosen whites“ und natürlich „Fuck you, I won’t do what you tell me“ sind längst in den Kanon der Rockmusik eingegangen. Sie klingen heute noch so frisch wie damals. Sie sind so aktuell, so brennend, so heavy wie einst. Rage Against The Machine verwalten ein Erbe. Vielleicht kann man dem auch musikalisch nichts mehr hinzufügen.

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