Das System Tarantino


Auch wenn Quentin Tarantino gerne mit Erwartungen bricht, ist er ein Mann der Kino-Traditionen. Chris Weiß nimmt seinen neuen Film „The Hateful Eight“ zum Anlass, die wiederkehrenden Motive und Stilmittel des Regisseurs genauer zu analysieren.

The Hateful Eight“ – der achte Film von Quentin Tarantino, ist wieder ein Western. Wie gerade erst „Django Unchained“. Und, wenn man es genau nimmt, davor schon „Inglourious Basterds“ und „Kill Bill“. Und, zumindest ein bisschen, auch „Pulp Fiction“ und „Reservoir Dogs“. Weil es im Western, dem amerikanischsten aller Filmgenres, eben nicht nur um die Weite des Landes geht, das es zu bezwingen gilt, sondern auch um die Enge der Auseinandersetzung – Mann gegen Mann, Gut gegen Böse. Weil sich das nicht zähmen lässt und deshalb bezwungen werden muss. Um den Schlagabtausch. Das Duell. „The Hateful Eight“ ist der amerikanischste aller Filme von Tarantino, weil er ein einziger Schlagabtausch ist, ein endloses Duell zwischen acht Personen in einem engen Raum, in dem sich Loyalitäten und Perspektiven laufend ändern. Nicht mehr und nicht weniger wird hier verhandelt als Amerika selbst, ein zutiefst gespaltenes und in seinen Grundfesten erschüttertes Land voll hasserfüllter Menschen. Das macht er wie nur Tarantino es kann. Mit ausschweifenden Dialogen, mit einem Blutbad und mit den Charakteristika, die ihn unverkennbar gemacht haben.

IT’S CALLED ACTING, STUPID!

Die Liebe zu seinen Schauspielern

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Mit Vorliebe greift Tarantino immer wieder auf seine Lieblingsschauspieler zurück. Am offensichtlichsten ist seine symbiotische Zusammenarbeit mit Samuel L. Jackson der nach „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“, „Jackie Brown“ und „Django Unchained“ zum vierten Mal antritt, diesmal als Kopfgeldjäger Major Marquis Warren. Zu ihm gesellen sich die QT- Regulars Michael Madsen und Tim Roth, beide auch schon beim Erstling „Reservoir Dogs“ mit von der Partie. Kurt Russell war schon der todbringende Stuntman Mike in „Death Proof – Todsicher“, Walton Goggins hatte in „Django Unchained“ sein Tarantino-Debüt. Außerdem schaut Uma Thurmans Stuntfrau Zoë Bell wieder auf einen Gastauftritt vorbei. Mit Bruce Dern setzt Tarantino die Tradition fort, in Vergessenheit geratenen Legenden die beste Rolle seit Jahren zu verpassen – siehe Pam Grier in „Jackie Brown“ oder David Carradine in „Kill Bill“. Und Jennifer Jason Leigh steht in der Tradition der Uma-Thurman-Blondinen, mit denen der Filmemacher bevorzugt arbeitet.

EIN MANN, EIN RAUM

Die Liebe zu eng gefassten Szenarien

Schon Tarantinos Debütfilm „Reservoir Dogs“ beschränkt sich weitestgehend auf einen Raum, in dem sich sämtliche Konfrontationen abspielen. „The Hateful Eight“ schließt diesen Kreis: Von den sechs Kapiteln des Films (seit „Kill Bill“ ebenfalls ein beliebtes Gestaltungsmittel des Regisseurs) spielen die letzten vier fast komplett in „Millie’s Haberdashery“, einer eingeschneiten Spelunke in der Mitte von Nirgendwo. Das erhöht Spannung und Druck. Niemand kann den anderen ausweichen. Konflikte werden erzwungen, Anspannung muss sich entladen – meistens aber doch anders, als man denkt. Für den Filmemacher Tarantino ergeben sich aus der Kammerspielsituation gestalterisch erhebliche Herausforderungen, aber auch ein Maximum an Kontrolle über die jeweilige Situation. Die ersten zwei Kapitel von „The Hateful Eight“ sind übrigens auch nicht viel luftiger: Sie spielen in der klaustrophobischen Enge einer Postkutsche.

MIT DEM KOPF DURCH DIE VIERTE WAND

Die Liebe zur Gestaltung

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Gestalterisch ist Quentin Tarantino jedes Mittel recht: Seine Bilder sind grell, direkt und eindeutig. Wenn sich eine Situation besser erklären lässt, indem man den klassischen amerikanischen Erzählblick auf Augenhöhe verlässt, wird Tarantino nicht zögern, es zu tun. Er liebt Howard Hawks, aber genauso schätzt er Jean-Luc Godard und die Mittel der Disruption. In „Pulp Fiction“ lässt er Uma Thurman im Gespräch mit John Travolta mit den Fingern ein Rechteck zeichnen, dessen Linien im Bild nachgezeichnet werden, weil sie ihn als „square“ (Spießer) bezeichnet. In „Inglourious Basterds“ wird man aus Zeit und Raum gerissen, wenn er zu Mélanie Laurents Verwandlung zum Racheengel David Bowies „Cat People (Putting Out Fire)“ anstimmt. In „The Hateful Eight“ hält Kurt Russell als Bounty-Hunter John „The Hangman“ Ruth eine lange Rede vor versammelter Mannschaft, dass er seine Gefangene Daisy Domergue zum Henker bringen will. Sie begleitet die Ansprache, in dem sie pantomimisch den Hängevorgang nachahmt und die Zunge schräg herausstreckt. Würde in der Realität niemand machen, unterstreicht aber eindrucksvoll, was Tarantino gerade sagen will.

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Die Liebe zu kräftiger Farbgebung

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So sieht es in „The Hateful Eight“ aus

Eine wichtige Rolle in Tarantinos Filmen spielen kräftige, klar definierte Farben. Womit nicht nur das tiefe Rot gemeint ist, das sich auch in „The Hateful Eight“ in Sturzbächen ergießt. So sind Männer in schwarzen Anzügen nach Vorbild der Filme von Jean-Pierre Melville stets Gangster mit strengem Ehrenkodex, was vor allem „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ unmittelbar miteinander verbindet, sich in Variationen aber auch in „Kill Bill“, „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“ wiederfindet. Wenn Samuel L. Jackson in „The Hateful Eight“ erstmals sein schweres Wintercape öffnet, sticht sofort das knallgelbe Futteral ins Auge. In „Kill Bill“ trug Uma Thurman einen ledernen Kampfanzug in derselben Farbe – seinerzeit ein Verweis auf den gelben Einteiler von Bruce Lee in „The Game Of Death“.

IF THEY MOVE, KILL ’EM

Die Liebe zum Kino und Fernsehen der eigenen Kindheit

Wie „Django Unchained“ sich vor dem Italowestern verbeugt hat und „Kill Bill“ vor dem Regelwerk des Exploitationkinos, ist „The Hateful Eight“ eine eigenwillige Verbeugung vor US-Western-Fernsehserien der 50er- und 60er-Jahre. Tarantino selbst nennt „Die Leute von der Shiloh Ranch“ als Vorbild. Ein US-Kritiker hat aber längst auf die Episode „Fair Game“ der Serie „The Rebel“ verwiesen, die eine beinahe identische Prämisse hat wie Tarantinos Film. Der macht natürlich sein völlig eigenes Ding daraus: Mehr fühlt man sich an Theaterstücke von Eugene O’Neill erinnert als an die Meister des Westerns. Bis das Blut zu fließen beginnt.

CELLULOID DREAMS

Die Liebe zum Film

Quentin Tarantino ist für Videokassetten und gegen Netflix
Wenn Tarantino von seiner Liebe zum Film spricht, meint er das wörtlich: Der Mann hasst digitales Filmemachen. Neben Christopher Nolan ist er der letzte Filmemacher von Rang, der immer noch auf Film dreht. Und seine Begeisterung für Material und Medium hier auf die Spitze treibt: „The Hateful Eight“ ist der erste Film seit 1966, der auf 70-mm-Filmmaterial mit einem unfassbar breiten Bildverhältnis von 2,76:1 gedreht wurde, ganz im Stil der klassischen Roadshow-Attraktion, die eine Ouvertüre und einen Entr’acte umfasst. Was doppelter Wahnsinn ist, denn klassische Roadshows wie „Lawrence von Arabien“ und „Ben Hur“ nutzten die Weite und ungewöhnliche Schärfe des Bildes, um sich auszubreiten und prächtige Landschaften einzufangen. Tarantino nutzt sein Format, um die Enge eines Raums zu beschreiben. Weil er ein positiv Filmirrer ist, der letzte flammende Bewahrer der Religion Kinofilm. Und es bleiben wird. Zumindest zwei Filme noch. Nach der zehnten Regiearbeit will er sich zur Ruhe setzen und Theaterstücke schreiben.

P.S.: Und dann wäre da ja noch die Musik.

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