Debbie Harry über New York


Sie ist eigentlich brünett, hört auf den Namen Deborah Ann Harry und hat ihre Kindheit in Hawthorne, New Jersey, verbracht -dem Duisburg der USA. Mit 20 zieht Debbie Harry nach New York und schlägt sich als Kellnerin, Go-Go-Tänzerin, Playboy-Häschen und Sekretärin durch. 1976 gründet sie mit Gitarrist und Lover Chris Stein die Formation Angel And The Snake, aus der Blondie hervorgeht. In den späten 70er-und frühen 80er-Jahren landet das Quintett ein Dutzend Welthits, die zwischen New Wave, Pop, Disco, Funk und Rock pendeln. Kürzlich – passend zum 40-jährigen Bandjubiläum -ist Blondies zehntes Album GHOSTS OF DOWNLOAD erschienen.

Sexsymbol, Stilikone u n d Grande Dame der Popkultur: Debbie Harry hat ganze Generationen von Musikerinnen geprägt. Zudem war die Wasserstoffsuperoxidblondine auch als Schauspielerin und Jazzsängerin erfolgreich – und begeht nun ihr 40-jähriges Dienstjubiläum als Frontfrau von Blondie. Grund genug für ein Gespräch über die Stadt, die sie, ihre Band und ihren Erfolg geprägt hat -New York.

Miss Harry, herzlichen Glückwunsch zum 40. Oh, vielen Dank!

Was ist das für ein Gefühl, auf eine derart lange Karriere zurückzublicken und gleichzeitig immer noch aktiv zu sein?

Es fühlt sich fantastisch an! Und ich bin wahnsinnig froh, dass wir in dieser verrückten Welt so lange überlebt haben. Das hätte ich nie erwartet. Schließlich hatten wir genauso viele Höhen wie Tiefen. Und ich hoffe inständig, dass ich sie irgendwann zu Papier bringen und weitervermitteln kann. Also dass ich eine Autobiografie hinbekomme, die erzählt, wie sich das Ganze für mich angefühlt hat. Denn eine Menge Interviews und Storys, die da draußen kursieren, geben in erster Linie die Meinung und Sichtweise der Journalisten wieder, die sie verfasst haben. Weil sie die Fragen gestellt und das Ganze in eine bestimmte Richtung gelenkt haben. Und die habe ich zwar beantwortet, aber es gibt so viel, was ich da ergänzen oder in einen anderen Kontext rücken möchte. Zumal ich glaube, dass meine Interpretation ein bisschen anders ausfallen würde. Ich würde die Leute zum Beispiel allein damit beeindrucken, indem ich ihnen verrate, dass ich über die Jahre rund eine Million Fehler begangen habe. (lacht)

Im Ernst?

Aber sicher! Nur: Das gehört zum Leben. Im Sinne von: Wenn du sie nicht begehst, was bleibt dir dann? Und ich habe kein Problem damit, das zuzugeben.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Zeit als „Bunny“ im legendären New Yorker „Playboy Club“? Aber sicher!

War das so glamourös, wie es erst einmal klingt?

Eigentlich war es sehr bürgerlich, bieder und brav. Zumal die Mitgliedschaft nicht wer weiß wie teuer war. Und was den Club an sich betrifft, so konnte man da einfach einen netten Abend verbringen und ein bisschen Entertainment genießen. Zu durchaus angemessenen Preisen. Wobei es unterschiedliche Levels gab. Einige Etagen -vor allem die höheren Stockwerke -waren dann doch etwas teurer, weil es da etwas exklusiver zuging. Aber im Grunde war es sehr aufmerksam auf alle Einkommensschichten abgestimmt. Also ein gut geführter, angenehmer Club.

Wie sehr hat sich New York City seit den 70er-/80er-Jahren verändert, was Kunst, Gesellschaft und Lebensgefühl betriff t?

Ich würde sagen, die gesamte westliche Welt hat sich sehr verändert. Und das liegt an dieser Gier nach hemmungslosem Konsum, der einfach schlimm ist. Dieser Heißhunger auf mehr, mehr, den es in den 60er-und 70er-Jahren in der Form noch nicht gab. Klar, wird diese Zeit oft romantisiert und verklärt. Aber gleichzeitig kaufen dieselben Leute, die so denken, auch all diese Louis-Vuitton-Taschen. Was irre ist. Also sie lieben das Verfallene und Heruntergekommene der Siebziger – aber gleichzeitig brauchen sie diesen neuen, elitären Quatsch.

Was dazu führt, dass es mittlerweile Designerhotels an der Bowery gibt und Robert De Niro scheinbar der gesamte Meatpacking District gehört.

Ist das nicht verrückt? Nicht zu vergessen Diane von Fürstenberg. Sie lässt da gerade ein neues Gebäude errichten. Ich habe sie neulich auf der Straße gesehen, wie sie sich eine freistehende Grundstücksfläche um die Ecke von ihrer Boutique angesehen hat. Ich schätze, ihr gehört der gesamte Straßenzug. Was typisch für die heutige Zeit ist.

Während die Stadt in den 70er-Jahren ziemlich runtergekommen und auch gefährlich war?

Yeah, und ich vermisse diese Zeit. Sich Sorgen darum zu machen, was hinter deinem Rücken passiert, hat ja auch für eine gewisse Spannung und Aufregung gesorgt, die einfach nicht mehr da ist. Bürgermeister Rudolph Giuliani hat die Stadt zu einer perversen Variante von Disney World gemacht – zu einem sauberen, teuren Vergnügungspark für Banker.

Was nicht gut für die Kunst und die Kultur ist?

Das würde ich so unterschreiben. Viele Künstler können es sich gar nicht mehr leisten, dort zu leben. Und das ist ja auch der Grund, warum etliche von ihnen nach Berlin gezogen sind. Aber auch das ändert sich mittlerweile anscheinend wieder.

Leben Sie auch weiterhin in Manhattan?

Oh ja, und darauf möchte ich auch nicht verzichten. Das ist mein Zuhause, meine Basis. Und in den 70er-Jahren hat es quasi nichts gekostet, dort zu wohnen. Ende der 60er-Jahre hatte ich sogar mal eine Bekannte, deren Wohnung bei 20 Dollar die Woche lag. Und das an der Lower East Side!

Vermissen Sie das „Max’s Kansas City“ oder das „CBGB“, in denen Sie jahrelang unterwegs waren?

Natürlich. Wobei die Toiletten im „CBGB“ aber ein regelrechter Albtraum waren. Wir haben immer versucht, sie tunlichst zu vermeiden. Weil sie widerlich waren. Und ich bin bis heute überzeugt, dass es in diesem Song der Ramones nur darum ging. Nämlich: „Oh no, I don’t want to go down to the basement “ (lacht) Jedenfalls habe ich das immer darauf bezogen. Ich habe mich stets vor diesen Toiletten im Keller gegruselt.

Und das „Studio 54“, wie oft waren Sie da?

Nicht so oft, wie viele Leute meinen. Ich war nicht Teil der Uptown-Szene -und wollte es auch nicht sein. Natürlich hatte ich auch dort meinen Spaß. Wobei ich allerdings die meiste Zeit in einem Club namens „Mother“ verbracht habe. Ganz früher hieß er „Jackie 60“. Er gehörte Chi Chi Valenti und Johnny Dynell, der in den 70er-Jahren mal eine Band namens The Dynells hatte und etliche Jahre als DJ gearbeitet hat. Irgendwann haben sie diesen Club eröffnet, in dem einmal die Woche ein Motto ausgegeben wurde und dann hat sich jeder entsprechend verkleidet. Wobei es immer irgendeine Form von Entertainment gab -also einen Show-Act, Tanz, Kabarett oder Konversation. Oft auch sehr schlüpfrig und zweideutig. Aber gerade das hat den Spaß ausgemacht.

Bei so vielen schwelgerischen Erinnerungen: Wie lange wollen Sie noch Blondie sein?

Ganz ehrlich: Ich könnte mir nichts anderes vorstellen. Es ist das, wovon und wofür ich lebe. Und ich fürchte, das mit dem reich Heiraten und sich auf ein Schloss in Frankreich zurückziehen, wird nichts mehr. Aber hey, ein paar nette Jahre mit der Band sind bestimmt noch drin.

Planen Sie irgendetwas Besonderes zum 40-jährigen Jubiläum?

Ich hoffe, wir werden eine große Party feiern, zu der wir all unsere Freunde, Bekannten und Kollegen einladen, die uns über die vergangenen 40 Jahre begleitet haben. Da hätte ich schon Lust drauf. Dazu kommt noch, dass Chris einen Bildband zusammengestellt hat -mit den besten Fotos von der Band und mir. Schließlich ist er ein sehr guter Fotograf. Die Bilder sind mit witzigen Anekdoten und Kommentaren versehen, das Buch erscheint im Herbst bei Rizzoli. Was zum Jubiläum so etwas wie der Zuckerguss auf der Torte ist.