Depp Jones: Gossen-Hauer


Was treiben Ärzte nach ihrer Pensionierung? Sie praktizieren Auflehnung und Verweigerung, gehen zurück auf die Straße und schrammeln mit anderen schrägen Vögeln Rock 'n' Roll, daß es nur so knallt. ME/Sounds-Mitarbeiter Wiglaf Droste ließ sich im Studio das rohe Resultat um die Fresse hauen.

Ich hasse den Abriß der Berliner Mauer. Ich hasse Bayern München und Thüringen und Topfpflanzen. Und ich hasse vor allem Verräter. Zum Beispiel diese Ex-Stasi-Typen, die jetzt die RAF-Leute denunziert haben, um sich damit im Westen einzuschleimen. „

Michael Beckmann legt den Gewehrkolben an die rechte Schulter und zielt sorgfältig. Kletsch! Ein Volltreffer – mitten ins Gesicht von Phil Collins. Das ist aber nur aus Papier, ein Foto, ausgerissen aus einer Zeitung. Und die Knarre ist auch bloß ein Luftgewehr. „Das entspannt“, grinst Beckmann und ballert gleich noch einmal, diesmal auf ein Bild von Jason Donovan, „Mit diesen Typen kannst du mich jagen wie mit Spinat oder den Beatles.“

Juni 1990 in Conny Planks Studio bei Wolperath, einem Kaff zwischen Köln und Bonn. Ein ehemaliger Bauernhof, umgeben von hügeligem, waldigem Land. Katzen dösen faul in der Sonne, Hühner scharren, gackern und picken, irgendwo knabbert eine Ziege am Halm. Der Hippie-Frieden ist perfekt – aber bei der Band, die hier ihr erstes Album aufnimmt, ist der Wille zur Idylle nicht eingebaut. „Disobedience“ heißt das Stück, das sie gerade einspielen; es ist harter, schneller und pfeilgerader Rock ’n‘ Roll. Die Stimme von Sänger Bela B. packt zu, schneidend, aggressiv und immer präsent; der Text springt ständig zwischen englischen und deutschen Einsprengseln hin und her: „Und bist du beliebt, weil du niemand störst, und dir nicht nimmst, was dir gehört, ist es vorbei – Rock ’n‘ Roll ist Fressehau’n!“

Iggy Pop klingt an in der Stimme, auch Billy Idol, aber es ist die Stimme von Bela, kein Imitat. Dirk Felsenheimer – so heißt der Sänger mit bürgerlichem Namen – hat sich freigesungen, das vergleichsweise enge Ärzte-Korsett bzw. -Konzept ein für alle mal abgestreift. „Ich habe absolut keine Lust mehr, für irgend jemanden den Kasper zu machen – null anbiedern“, sagt der 27jährige. und das klingt sehr entschieden.

Auch die ehemaligen Rainbirds Beckmann und Rodrigo Gonzales trauern keiner Vergangenheit nach: „Wir sind keine Mädchenband mehr, die kleine hübsche Geschichten vertont. Und von der Musik mal ganz abgesehen: Die Aussicht, zweimal im Jahr von Garmisch-Panenkirchen bis Flensburg rauf und runter zu fahren und sich einen Koffervoll Geld abzuholen, war für uns absolut tödlich. Man muß nur noch alles richtig machen, aber es passiert einfach nichts mehr. „

In der Gefahr, einen ähnlichen Mega-Hype zu erleben wie die Rainbirds ist diese Band sicher nicht. Zu kompromißlos und zu exzessiv toben sich in ihren Songs Auflehnung und Verweigerung aus. Die schäbige Alle-machen-alles-mit-Gesinnung, die im sich blähenden Deutschland derzeit immer mehr den Ton angibt, findet man bei Depp Jones ebensowenig wie die Juso-Gemütlichkeit und das rundumkompatible Sozial-Bla-Bla der Toten Hosen.

Trotz Vertrag mit einer Plattenfirma wie CBS stand für die Berliner Band die Marschrichtung von vornherein fest: „Keine Riesenhallen und keine dicke Werbung. Unterwegs sein und spielen, spielen, spielen, egal wo. „

RETURN TO CARAMBA heißt das erste Album. Zurück auf die Straße – dahin, wo es knallt – und den Rock „n“ Roll in seiner Hardcore-Version spielen: Das ist das Motto des Albums der Depp Jones. Das tut gar nicht erst so, als sollte für Oberschüler, Kunststudenten und Spex-Fritzen angeblich „Neues“ kreiert werden, und ist gerade deshalb so überzeugend. Depp Jones sind jung, unruhig und rebellisch, ziemlich einfach und ziemlich klar. Und vor allem ziemlich sehr gut.