Die 50 Platten des Jahres 2014: Rezensionen der Plätze 40 bis 31


Jahresabschlusszeit ist Listenzeit. Das heißt die Musikexpress-Redaktion hat auch 2014 die Alben des Jahres gekürt. Weshalb welche Platte auf welchem Platz gelandet ist, könnt ihr hier lesen. Hier sind die Plätze 40 bis 31.

Platz 40: Ariel Pink – POM POM

„Ariel Pink schreibt Songs für Madonna.“ Diese von Ariel selbst in die Welt gesetzte Meldung wurde nie bestätigt. Aber wer das lüstern eklektische Hirn-Abbraus-Programm POM POM genossen hat, kann sich auch das vorstellen. Nur würde sich nicht einmal Madonnas Dickdarm in die Fänge dieses Weirdos begeben. Wobei wir auch mit Blick auf POM POM unterscheiden: Unberechenbar sind die psychedelische Produktion, die fast grotesken Stilwechsel, aber unberechenbar ist nicht das Ohrwurm- potenzial dieser die 60s beschwörenden Songs. Das ist so verlässlich wie (hoffentlich) Madonnas Verdauung. (Oliver Götz)

Platz 39: Der Nino aus Wien – BÄUME

Man weiß gar nicht, wofür man Nino aus Wien dankbarer sein soll: Dafür, dass er Vorbild und Mentor der wundervollen Wanda (–> Platz 10) war oder für die zwei hervorragenden Alben BÄUME und TRÄUME, die er dieses Jahr veröffentlicht hat. Auf BÄUME, der ruhigeren der beiden Platten, kreisen viele Songs minutenlang um die gleichen Akkorde, während aus dem Nino die Worte nur so heraussprudeln. Viel Wunderliches ist dabei und auch die beste Textzeile des Jahres: „Wir wussten noch nie, wie spät es ist, auch wenn die Uhr am Spiegel hing.“ So schön hat 2014 niemand sonst die Jugend besungen. (Reiner Reitsamer)

Platz 38: Trümmer – TRÜMMER

Wo ist die Euphorie? Hier ist sie doch! Das Debüt der Trümmer birst vor Leidenschaft und Aufbruchsstimmung. Von Chaos und Zerstörung hört man nur in den Texten etwas, die Musik ist geradezu traditioneller Indie-Rock. So weltumarmende Melodien wie „Scheinbar“ oder „In all diesen Nächten“ haben dieses Jahr nur wenige Bands aufgenommen. Dass Trümmer auch noch Haltung und linke Ideale haben, macht sie umso interessanter. „Erst wenn alles in Schutt und Asche liegt, dann hat uns die Liebe besiegt“, singt Paul Pötsch. Hoffent- lich bleiben uns Trümmer trotzdem noch eine Weile erhalten. (Reiner Reitsamer)

Platz 37: Die Sterne – FLUCHT IN DIE FLUCHT

Kurz bevor ihre neue Platte erschien, sprachen Die Sterne im ME-Interview über die Dringlichkeit musikalischer Neuerfindung. Das Disco-Getingel auf 24/7 hatte einigen Fans der Hamburger nicht so ge- fallen, und wenn der Titel des Nachfolgers das Wort Flucht im Namen trägt, könnte man meinen, eine Resignation herauszuhören. Aber dafür klang das zehnte Studioalbum der Sterne viel zu selbstsicher. Und bei aller Existenzangst, die der Groove der Platte zerstäubt, blieb sogar noch Platz für einen zünftigen Distelmeyer-Seitenhieb („die einen unterjocht, die anderen unter Jochen“). (Daniel-C. Schmidt)

Platz 36: Alvvays – ALVVAYS

Alvvays waren nicht die Einzigen, die 2014 Girlpop-Gesten im 60s-Sinne mit Post-C86-Indie und Power-Pop mischten, aber sie waren die besten. Die Kanadier um Molly Rankin und Kerri MacLellan installieren auf ihrem Debüt in einer guten halben Stunde eine Perlenkette an Hits, die aufzeigen, warum Pop in einem analogen Sinne noch funktionieren kann. Songs wie das ungestüme „Archie, Marry Me“ oder „Next Of Kin“, das hinter einem freundlichen Popsong so viel Drama versteckt wie seinerzeit die Shangri-Las in „Leader Of The Pack“, werden Bestand weit über das Jahr hinaus haben. (Jochen Overbeck)

Platz 35: East India Youth – TOTAL STRIFE FOREVER

as Alleinstellungsmerkmal des Elektronik-Musikers William Doyle aus Bournemouth ist seine fast kindlich anmutende Vielseitigkeit. Die liegt wahrscheinlich darin begründet, dass Doyle mit seiner Indie-Rock-Vergangenheit (in der Band Doyle & The Fourfathers) elektronische Musik als große Spielwiese ansieht. Und so ist TOTAL STRIFE FOREVER eine Wundertüte aus Ambient, avantgardistischen Soundkonstruktionen, die an die Berliner Schule erinnern, Techno-Pop und flirrenden bis bangenden Techno. Doyle ist der Jon Hopkins des vergangenen Jahres. Nur hat das keiner mitgekriegt. (Albert Koch)

Platz 34: Fatima Al Qadiri – ASIATISCH

Ohne VHS-Kurs hört das ungeschulte Ohr nur schwer heraus, ob „Shanzhai“ (eine meditative Coverversion von „Nothing Compares 2 U“) eine Aneinanderreihung bloßer Quatschvokabeln ist. Vielleicht ist das genau der Sinn von ASIATISCH, Al Qadiris Konzeptalbum über ein Fabelchina, wie es sich der kulturell ignorante Westen ausmalt: dem Hörer mal echte Aufmerksamkeit durch ungewohnte Stimmen und Klänge abzuringen. Die gebürtige Senegalerin liebt dieses Spiel; sie experimentiert mit asiatischen Motiven und entwirft daraus einen ideenreichen Sog aus Dubstep und Sino-Grime. (Daniel-C. Schmidt)

Platz 33: Spoon – THEY WANT MY SOUL

Die vier Jahre seit dem letzten Album von Spoon hätten ruhig auch sieben sein können. Denn THEY WANT MY SOUL klingt viel mehr nach der fehlenden Klammer für GA GA GA GA GA (2007) als der Nachfolger des seltsam gehemmten TRANSFERENCE. Viel mussten die Texaner also nicht tun, um sich vom Vorgänger abzusetzen. Haben sie auch nicht. THEY WANT MY SOUL ist eine LP, der man die Bandpause anhört und den Experimentiermangel verzeiht – wenn die Stücke so vor Kraft dampfen wie „Inside Out“ und „Outlier“. Paar einfache Pinselstriche, und schon strahlt der Artrock in neuen Farben. (Daniel-C. Schmidt)

Platz 32: Warpaint – WARPAINT

In ihren besten Momenten geht diese Platte ein Stück verloren. Dann ist sie zwar immer noch Pop, weil Emily Kokal und Theresa Wayman bei aller Verspultheit Popmelodien singen, der Bass groovt, die Gitarren Dream-Pop-Linien ineinanderflechten. Doch Warpaint haben keine Lust, diesen Mustern in bewährter Dramaturgie zu folgen – kein Refrain, keine Rückung etc. Auch wenn dies in buddhistischer Gleichmut geschieht, entspricht dieser Verzicht einer kleinen ästhetischen Revolution. Zumindest für Warpaint, die durchaus die Mittel hätten, die halbe Welt um ihren Finger zu wickeln. (Oliver Götz)

Platz 31: Actress – GHETTOVILLE

Hier wird alles Fleisch von den Knochen der elektronischen Musik geschabt, was übrigbleibt, sind fragmentierte Konstruktionen aus Dubstep, Glitch-IDM, Detroit Techno, Ambient, Jungle, Industrial und Hip-House. Um die Grundlagen dieser experimentellen Musik zu rekonstruieren, müsste man einen Forensiker beauftragen. Abstrakte, avantgardistische Soundkonstruktionen, die manchmal auf wackeliger Knispel-Beat-Grundlage stehen, und nur selten von Bässen geerdet werden. Das vierte Album des britischen Produzenten Darren Cunningham unter dem Namen Actress soll sein letztes sein. (Albert Koch)

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