Die 50 Platten des Jahres: Rezensionen der Plätze 20 bis 11


Die Musikexpress-Redaktion hat auch 2014 die Alben des Jahres gekürt. Weshalb welche Platte auf welchem Platz gelandet ist, könnt ihr jetzt auch online nachlesen. Hier sind die Plätze 20 bis 11.

Platz 20: Jamie T – CARRY ON THE GRUDGE

Es gibt zu wenige Künstler wie Jamie T. Künstler, die sich so viel Zeit nehmen, wie sie brauchen, um Songs für eine großartige Platte zu schreiben. Für CARRY ON … hat sich T fünf Jahre Zeit gelassen. Seine Cockney-Rap-Einlagen und die Lo-Fi- Schrammeleien sind dabei relativ gerad- linigem Rock gewichen, der immer noch alle charmanten Eigenheiten des 28-jährigen Briten erkennen lässt. Leider sind fünf Jahre eine lange Zeit im Popgeschäft. Wäre CARRY ON … schon vor vier Jahren erschienen, hätte die Platte mehr Staub aufgewirbelt. Aber vielleicht wäre sie dann nicht so toll geworden. (Reiner Reitsamer)

Platz 19: Aphex Twin – SYRO

Dieser Mann hat im Lauf der 90er als Schamane und Dämon in Gestaltenunion Techno fast im Alleingang zum Autorenhandwerk umdeklariert. Wenn es ihm nicht gestattet ist – mit 43 Jahren, nach 13 Jahren Album-Pause –, eine Platte zu veröffentlichen, die das eigene Erbe verwaltet, anstatt die Welt aus den Angeln zu heben, wem dann? Auf SYRO führt der Meister durch sein Universum. Und man kommt wieder ins Staunen: Es ist so tief, verwinkelt und geheimnisvoll wie das Deep Web, in dem er Promotion für SYRO gemacht hat. Nur nicht mehr so dunkel und böse. (Oliver Götz)

Platz 18: Jens Friebe – NACKTE ANGST ZIEH DICH AN WIR GEHEN AUS

In der kongenialen Bearbeitung des Momus-Stücks „What Will Death Be Like“ sucht der Wahlkreuzberger Friebe per Ausschlussverfahren nach Antworten: „Der Tod wird nicht sein wie ein Ein-Euro-Job, den man für immer behält.“ Im zu Strei- chern wogenden „Zahlen zusammen gehen getrennt“ beweist er sein Talent für das Aufspüren treffsicherer Alltagssymbolik. Im stampfenden „Hölle oder Hölle“ heißt es: „Die einen treten auf der Stelle, die anderen sind die Stelle, auf der man tritt.“ Liebe, Tod und Teufel gehen uns alle an. Jens Friebe sollte das auch tun. (Stephan Rehm)

Platz 17: Jungle – JUNGLE

Das geschmeidige, hochsommerlich verschwitzte Soundmonstrum, das das Kunstkollektiv um die beiden Kindheitsfreunde Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland da im Heimstudio aus Retro-Versatzstücken zusammengebastelt hat, ist mehr als die Summe seiner Teile. Nostalgische Disco-Anleihen und 70s-Funk knallen auf bonbonsüße Synthie-Melodien, Soul-Falsett und knisternde Geräuschfetzen; Curtis Mayfield auf The Beach Boys auf Can. Oberste Prämisse bei aller Vielschichtigkeit: Songs, die Spaß machen und direkt in die Hüfte fahren. (Annett Scheffel)

Platz 16: Lana Del Rey – ULTRAVIOLENCE

Lana Del Rey und die ach so schwierige zweite Platte war eine marriage made in heaven. Zwar mögen Nörgler behaupten, dass die Amerikanerin trotz optischen Make-overs ähnliche Themenkomplexe durchdekliniert wie als Debütantin. Wiederholungen im Klangbild vermied sie aber mit cleverer Produzentenwahl: Dan Auerbauch, der weite Teile der Platte verantwortet, bettet die bekannte Melancholie in wummerndes Balladenmaterial. Wer Del Rey ist, wissen wir immer noch nicht, für die Platte gilt: Aus dem Trailer-Park-Girl mit den dicken Lippen ist eine einsame Diva geworden. (Jochen Overbeck)

Platz 15: Mac DeMarco – SALAD DAYS

Sein zweites Album SALAD DAYS hat der Lo-Fi-Singer/Songwriter in seinem Brooklyner Apartment aufgenommen. In die Sammlung semi-akustischer Midtempo-Songs baut der Protagonist diverse Fallstricke ein: eine komisch gestimmte Gitarre, schräge Intonationen und zwei nicht unwesentliche dreamy Synthie-Pop-Nummern, die dem, was man als 70er-Jahre Soft-Rock bezeichnen könnte, eine andere Bedeutung geben. Man kann diese Musik natürlich auch vollkommen unvorbelastet als super-dufte Indie-Pop rezipieren. Aber Vorsicht: Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. (Albert Koch)

Platz 14: Damon Albarn – EVERYDAY ROBOTS

Erstaunlich, wie klein sich dieser Mann machen kann. Das ist der, der bei „Song 2“ woohoote und „Clint Eastwood“ in die Umlaufbahn schickte. Der könnte Coldplay rechts überholen und Avicii gleich mit den Arsch aufreißen. Stattdessen ist Albarns erstes ordentliches Soloalbum eine Dachkammer-Platte geworden. Die von seiner Kindheit erzählt, von den verlorenen Tagen unter Drogen, davon, dass der besmartphonte Mensch sich selbst zu verlieren droht. Und von einem Baby-Elefanten. Die Songs kreisen im Ansatz oft nur um zwei, drei Akustikgitarren-Akkorde oder ein Klaviermotiv. Wie sie sich dann, ohne Hast oder Spuren der Beflissenheit in Streichersuiten und Gospelkreise verwandeln, Albarn tricky Beats, Steel Drums, Moonriver-Chöre und andere Kleinig- und kleine Großartigkeiten einflicht, ist vielleicht seine größte Kunst. Mal abgesehen von den so tröstlichen Schlaflied- Melodien. Und der Augenblick, in dem der Herzschlag von „Lonely Press Play“ anzieht, um Tempo zu machen für die fröhliche Ukulele von „Mr Tembo“, dem Lied über den Baby-Elefanten, gehört zu den schönsten Popmomenten 2014. (Oliver Götz)

Platz 13: Interpol – EL PINTOR

Eigentlich bleibt nur diese Frage zu klären: Ist es zu begrüßen, dass Interpol genau klingen wie: Interpol? Wieder einmal und immer noch? Würde man nicht unbedingt meinen. Aber wenn die New Yorker auf ihrem fünften Album knietief durch die Sauce waten, die zu Beginn ihrer Karriere ganz deutlich aus einem „Knorr fix für Joy Division“ angerührt wurde, ist es umso befreiender zu hören, wie klangvoll-bebend EL PINTOR geraten ist – angelehnt an die glory days der Anfangstage, wobei die einst offensichtlichen Ian-Curtis-Referenzen nach und nach verblassen und einem kleinen, aber merklichen Feintuning der eigenen Melodramatik weichen. Dass das erste Album ohne Bassist und Pistolenhalfterliebhaber Carlos Dengler den Gitarren mehr Raum geben würde, war nicht die eigentliche Überraschung beim Durchhören der Platte. Eher, wie sie auf „My Desire“ in den Reverb schlittern, wie sie auf „Same Town, New Story“ sich fast verführerisch an den Rhythmus schmiegen und dabei Paul Banks’ Liebe zum Hip- Hop durchsickern lassen. All das läuft, um die Eingangsfrage zu beantworten, auf ein Yes, Sir hinaus. (Daniel-C. Schmidt)

Platz 12: FKA twigs – LP1

Während ihres Konzertes im Londoner „Heaven“ vergangenen Sommer verkündete Tahliah Barnett atemlos: „Letztes Mal, als ich hier war, habe ich James Blake gesehen und mich gefragt – wie hat er diesen Laden voll gekriegt? Und jetzt habe ich es geschafft!“ Barnett aka FKA Twigs war die Einzige im Raum, die überrascht war: Ihr Debütalbum LP1 war eine der gehyptesten Platten des Sommers, und ihre EPs hatten bereits bewiesen, dass sie als Songwriterin mindestens auf Blakes Level agierte. Die Musik auf LP1 ist expliziter, maschineller Schlafzimmer-R&B mit Beats, die klingen wie menschenfeindliche Roboter („Hours“) und Texten, die man lieber nicht an öffentlichen Rechnern lesen sollte („I can fuck you better than her“). Unterstützt von hyperangesagten Produzenten und Komponisten wie Devonté Hynes, Clams Casino (Lana Del Rey) und Arca hat Barnett ein Album aufgenommen, das sie zum Star gemacht hat. Abstrakte Kompositionen werden durch Barnetts sinnliche Stimme und griffige Hooks geerdet. Eine bessere R’n’B-Platte hat dieses Jahr niemand gemacht – okay, außer Banks … (Matthias Scherer)

Platz 11: Swans – TO BE KIND

Es ist nicht unwahrscheinlich , dass ein junger Mensch die Swans erst seit ihrer Neugründung 2010 entdeckt hat. Vielleicht erst mit dem 2012er-Album THE SEER, das bis zum Nachfolger TO BE KIND als Opus magnum der Art-Rock-Avantgardisten um Michael Gira galt. Und wenn dieser junge Mensch sich durch den Backkatalog der New Yorker arbeitet, dann könnte es sein, dass er zunehmend enttäuscht wird, je näher er ihren Anfängen kommt. Das Debüt FILTH (1983) war wichtig für die damalige Zeit, als künstlerische Gegenposition zu Mainstream und mainstreamnahem Underground. Heute, ohne den Kontext, klingt FILTH fast ein bisschen eindimensional. Was wir sagen wollen: Michael Gira ist das Gegenteil eines Pop-Rock-Musikers – allein deshalb, weil er mit zunehmendem Alter immer besser wird. Was diese Band über Dynamik erzählt, über Noise und Lyrik, über laut und leise, über elektrisch und akustisch, über Repetition und Klimax, über Harmonie und Atonalität und über Dramaturgie, bleibt unerreicht. TO BE KIND ist das Opus magnum der Swans. Bis zu ihrem nächsten Album. (Albert Koch)

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