Die kleine Schwester hat andere Ziele


Solange

Mit ihrer großen Schwester Beyoncé wollte sie sich nie messen. Aber erst jetzt scheint Solange Knowles tatsächlich ihren eigenen Weg gefunden zu haben. Dev Hynes (Blood Orange) hilft ihr beim Songschreiben, Chris Taylor (Grizzly Bear) veröffentlicht ihre Platte. Solange ist ein Indie-Girl.

Solange Knowles hält nichts von Geschwister-kampf. Sie unternimmt nichts, was darauf hindeuten könnte, dass sie in Konkurrenz zu Beyoncé treten könnte. Sie ist ein ganz anderer Typ. Als sie im Herbst 2008 eine Show von Alicia Keys in der riesigen Berliner Betonschüssel O2-World eröffnete, war sie sich selbst genug, tanzte wild zu Mashups mit Ausschnitten aus MGMTs „Electric Feel“ und ihr außerordentlicher Afro wackelte.

Damals war gerade ihr zweites Album Sol-Angel And The Hadley St. Dreams erschienen, mit dem sie vom R&B abrückte und sich dem Soul der Sechziger und Siebziger zuwandte. Es war zu vermuten, dass auch sie vom Sound einer Amy Winehouse geflasht war, was angesichts der Mitarbeit von Produzent Mark Ronson nicht weit hergeholt erschien. Aus dem Album hätte eigentlich richtig was werden müssen, nicht nur die Singles „T.O.N.Y.“, „I Decided“ und „Sandcastle Disco“ waren großartig. Am Ende blieb Solange aber ein Geheimtipp. Sie war deshalb nicht groß überrascht, aber trotzdem ein wenig frustriert. Was sie von der Musikindustrie hält, hat sie in der Philippika „Fuck The Industry (Signed Sincerely)“ unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Das Stück sollte zuerst auf einem Mixtape erscheinen, kam dann aber doch als Single heraus.

Der Fehdehandschuh war geworfen und die Trennung vom Major Interscope unvermeidlich (obwohl Sol-Angel And The Hadley St. Dreams Platz 9 der US-Charts erreicht hatte). Die Texanerin war zum Neuanfang gezwungen, und das zog sich eine Weile hin. Es wurde über Sessions mit der australischen Elektro-Band Midnight Juggernauts, aber auch über einen zwischenzeitlichen Nervenzusammenbruch spekuliert. 2010 war Solange Gast auf dem Of-Montreal-Album FALSE PRIEST.

Nach vier Jahren ist sie zurück – als eine waschechte Indie-Künstlerin auf dem Label Terrible Records, das von Chris Taylor (Grizzly Bear) und Ethan Silverman (Lust Boys) gegründet wurde. Ihr Songschreiber und kreativer Partner ist Devonté Hynes (Lightspeed Champion, Blood Orange). Der hat immer davon geträumt, eine Frau zu finden, die seine Songs besser als er selbst singen kann. Solange ist diese Frau. Auf der EP „True“ singt sie entspannter als früher zu Grundierungen, die an ruhige Nummern von Prince, Cameo und an Human Leagues „Human“ erinnern. Es ist Soul-Pop mit melancholischen Momenten und Raum für Understatement in Darbietung und Produktion.

Das Video zur Single „Losing You“ entstand in den nicht ganz so privilegierten Vierteln von Kapstadt. Beyoncé und Jay-Z waren bei den Dreharbeiten zwar nicht dabei, aber sie begleiten Solange immer gerne, wenn in New York eine neue Band spielt, auf die Hipster große Stücke halten. Die kleine Schwester hat einen Draht zur Basis. Er wird ihr zum entscheidenden Sprung nach vorn verhelfen.

EP-Kritik S. 91