Die reine Lehre süffiger Songs – unsere Alben der Woche vom 1.-7. Oktober


Dies sind unsere Platten der Woche – unter anderem mit Tame Impala, Why? und Brockdorff Klang Labor.


Unser Album der Woche:

Ken Stringfellow – Danzig In The Moonlight

„Vielleicht ist es so: Die Aufgabe, die perfekte Pop-Platte aufzunehmen, die keinerlei Fragen offenlässt, die erfüllte Ken Stringfellow, den wir von den Posies und der zweiten Big-Star-Besetzung sowie als Session-und Livemusiker für R.E.M., Patti Smith, Death Cab For Cutie und viele weitere kennen, vor 15 Jahren mit This Sounds Like Goodbye. Damals folgte er der reinen Lehre, installierte seine süffigen Songs irgendwo zwischen Big Star und den Beatles. 2004 folgte das balladeske Soft Commands. Und nun wieder ein Strategiewechsel. Danzig In The Moonlight lässt sich nicht packen, und das ist das Großartige an dieser Platte. Natürlich sind die alten Einflüsse nach wie vor an allen Ecken und Enden hörbar, das Duett „Doesn’t It Remind You Of Something“ mit Charity Rose Theilen (wie schön die Streicher da jauchzen!), „110 or 220V“ und „Shittalkers!“ leben von der Harmonie, vom vielschichtigen Arrangement, von Stringfellows Gespür, jeden Ton an die richtige Stelle zu setzen und so Refrains zu schaffen, die bei aller Handwerkkunst originell und immer auch ein Stück gebrochen bleiben.“ Jochen Overbeck

Weitere Veröffentlichungen:

– Absynthe Minded  – „As It Ever Was“

– Boys Noize – „Out Of The Black“

„Alex Ridha ist 29 Jahre alt. Bei seinem Output und seiner erstaunlichen Karriere als global agierender DJ, Produzent (für sich selbst und andere Künstler), Remixer (Depeche Mode, Feist und 100 andere) und Label­in­haber wirkt es so, als müsste es mindestens zwei Ridhas geben, damit dieses Pensum zu schaffen ist. Out Of The Black ist das dritte Boys-Noize-Album nach Oi Oi Oi (2007) und Power (2009). Es ist eine dezent ausgewogene Mischung aus dem Acid-infizierten Ballertechno („Conchord“), den man von Boys Noize erwartet, Midtempo-Tracks („Touch It“) und erstaunlich melodischen Nummern („Ich R U“).“ Albert Koch

– Brockdorff Klang Labor – „Die Fälschung der Welt“

„Die Idee ist absurd, aber deswegen auch großartig: Brockdorff Klang Labor programmieren Tanzmusik, zu der man aber nicht so sehr tanzen, sondern lieber nachdenken soll. Vielleicht will das Trio aus Leipzig mit Die Fälschung der Welt, ihrem zweiten Album nach Mädchenmusik (2007), auch beweisen, dass beides zugleich möglich ist.“ Thomas Winkler

– Eagle-Eye Cherry – „Can’t Get Enough“

– Fink – „Wheels Turn Beneath My Feet“

– Ellie Goulding  – „Halycon“

– Gudrun Gut – „Wildlife“

„Gudrun Gut hat umgegraben. Vor der eigenen Haustür ihres Landsitzes in der Uckermark. Genau dort sind die elf Stücke ihres aktuellen Albums Wildlife entstanden. Landfluchtplatten nehmen die Bon Ivers dieser Welt auf, um mit sich selbst ins Gespräch zu kommen. Gudrun Gut ist dann doch etwas zu cool dafür. Die Natur wird der Berliner Postpunkfrau, Labelmacherin und Radio-DJ („Ocean Club“) zum Chiffre für die Dinge, die einem so passieren können, wenn man sich aus dem metropolitanen Pop- und Elektrobetrieb ausklinkt, sagen wir der Versenkung halber. Dass dabei keine peinlichen „Zurück zur Natur“-Songs entstanden sind, versteht sich von selber.“ Frank Sawatzki

– Kat Frankie – „Please Don’t Give Me What I Want“

– Kiss – „Monster“ (Limited Edition)

– Kreidler – „Den“

– Hunger, Sophie – The Danger Of Light

„Auch die Posaune ist noch da. Der Amerikaner Adam Samuels hat Sophie Hunger nach L.A. verschickt, um ihren Blick zu weiten. Von den Red Hot Chili Peppers hat der Produzent Josh Klinghoffer als Gitarristen einbestellt. Die Sonne schien von selbst über den Aufnahmen. Zurück hinter den Schweizer Bergen allerdings rief Sophie Hunger wieder ihren Posaunisten zu sich, Michael Flury, und jetzt klingen ihre Lieder wie sie immer klangen. Nach einem mit nachdenklichen Zuhörern besetzten Wein- und Jazzkeller in Zürich.“ Michael Pilz

– Moon Duo – Circles

„Es kommt die Zeit, da will die Säge sägen. Bei Ripley Johnson und seiner Lebensgefährtin Sanae Yamada, die beim Moon Duo zugleich auch seine Musikgesellin ist, dauert es wahrlich nicht lange, bis diese Zeit gekommen ist: Nach anderthalb Takten von „Sleepwalker“ geht’s in die Vollen. Mit Gitarrenbreitseiten. Mit Schweine­orgeln aus dem Weltraum. Und mit einer Garnitur aus repetitiven Mustern, die eine große Portion Wuchtbrummigkeit mit einer ebensolchen Dosis Melodien kombiniert. Circles heißt das neue Album von Moon Duo, und es knüpft clever an das 2011 erschienene Debüt Mazes an. In der Dampfsauna des Drogenrock halten es Frau Yamada und Herr Johnson gut und gerne lange aus, vom Krautrockkuchen schöpfen sie elegant die Sahne ab, und ihre immer leicht benebelten Vocals parken die beiden Kalifornier zwischen dröhnendem Space- und bekifftem Psychedelic-Rock. Gut gelingt ihnen das auf Circles durchgehend; am besten aber kriegen sie’s hin in „Free Action“: Intensiver als in dem Stück sägt die Säge auf dem Album nicht. You can call it Spacerockmassaker.“ Martin Weber

– Mould, Bob – Silver Age

„Bob Mould hat sehr viel richtig gemacht in seinem Musikerleben, aber trotzdem lief einiges falsch. Das trifft auch auf Silver Age zu, ein gutes und vitales Indie-Rock-Album, das sich aber wie aus der Zeit gefallen anhört. Unter diesem Aspekt dürfte es für die Rockgeschichte also völlig irrelevant sein. Egal, der Gitarrist und Sänger – der am 16. Oktober 52 Jahre alt wird – ist trotz seines Heldenstatus schon lange keiner mehr, dem die jungen Musikhörer zulaufen. Auch Silver Age wird wohl keinen Run auslösen, dazu dockt der dichte, lärmende Gitarrensound der schnellen und harten Songs zu sehr an die späten Achtziger und frühen Neunziger an – eine Zeit, in der Mould dem immens einflussreichen und dennoch nur bedingt erfolgreichen Hardcore-Punk-Trio Hüsker Dü angehörte, der sich eine kommerzielle Hochphase mit seiner von 1992 bis 1995 existierenden Band Sugar anschloss. Die feiert gerade das 20-jährige Jubiläum von Copper Blue, das Mould mit seiner aktuellen Band auf Tour komplett durchspielt. Und das passt, denn die zehn Songs von Silver Age klingen wie das Missing Link zwischen Hüsker Dü und Sugar. Also nach mehreren durchschnittlichen Platten wie Modulate oder Body Of Song fast wie die Auferstehung.“ Sven Niechziol

– Tame Impala – Lonerism

„John Lennon findet keine Ruhe im Nirwana. Pausenlos wird er herbeizitiert, besonders inbrünstig von Nachgeborenen wie Kevin Parker, Jahrgang 1986. Parker singt wie Lennons Geist. „I know I gotta be above it now“, erklärt er zunächst einsichtig zum Auftakt seines zweiten Albums mit Tame Impala, seiner Band, die eigentlich nur aus ihm selbst besteht und einigen Gehilfen. Doch dann endet Lonerism wieder im John-Lennon-Modus mit „Sun’s Coming Up“. Einem Klavierwalzer, der sich abrupt in eine surreale Klanglandschaft verwandelt. Parkers ganz private Magical Mystery Tour. Es geht vorrangig darum, warum man heutzutage psychedelisch musiziert und wie. Wenn alle Grenzerfahrungen gesammelt und alle Gesundheitsrisiken dokumentiert sind. Hirnerweichende Drogen sind nicht mehr vonnöten, um solche Musik zu machen und sich an ihr zu erfreuen. Kevin Parker liest nicht mehr Timothy Leary,sondern Stephen Hawking. So hört sich das auch an in Songs wie „Feels Like We Only Go Backwards“ und „Nothing That Has Happened So Far Has Been Anything We Could Control“. Die späten Sechziger und frühen Neunziger waren so zuversichtlich, dass die Welt kein Rätsel war. Jetzt sind die Wissenschaften eine andere Welt.“ Michael Pilz  

– Tilly And The Wall – Heavy Mood

„Ach Mensch, Tilly And The Wall! Schön, dass es die noch gibt. Vier Jahre sind seit der Veröffentlichung ihres letzten Albums O ins Land gegangen. In der Zwischenzeit haben gleich drei Mitglieder geheiratet und Kinder bekommen. Die anderen beiden sind von der Band-Basis Omaha nach Los Angeles gezogen. Es könnte also alles in Ordnung sein im Leben dieser Leute. Aber irgendetwas muss ihnen kräftig die Stimmung verhagelt haben. Man hört das zum Beispiel an „ Love Riot“, wo zu derbem Garagenrock und Stepptanz-Beats die furiose Losung „We won’t be quiet, let’s do it right!“ in die Runde gerufen wird. Den Titelsong unterlegt das Quintett mit einem zickigen Dance-Punk-Groove, in den sich wildes Geklöppel frisst. Tilly And The Wall statten auch dem Girl-Pop der Gründerzeit nach Best-Coast-Vorbild einen Besuch ab, aber mit einem bösem Unterton: „ My baby’s got all kind of guns and he sticks to everyone“. Überall stößt man auf eine kämpferische Trotzhaltung, die am Ende des Albums ihren Höhepunkt erreicht. „Livin’ for speed and dying young, it’s all been done before“, heißt es da, aber auch: „The future is now!“ Das wird mitreißend intoniert und zudem noch mit New-Wave-Anklängen garniert. Sie müssen unbedingt wiederkommen, die Tillies.  Wenn sie so in Form sind wie hier, braucht man diese Band mehr als jemals zuvor.“ Thomas Weiland

– Why? – Mumps, Etc.

„Pinocchio auf dem Albumcover taumelt gefährlich nah über dem weit geöffneten Maul des Wals. Doch der will vielleicht ja einfach nur spielen. „Why?“ steht in der Sprechblase daneben. Verstehen muss man das nicht immer, wenn der Amerikaner Yoni Wolf mit seiner Alt-HipHop-Familie Why? zu Wort und Bild greift, um dem Publikum wieder eine neue Kollektion rätselhafter und rätselhaft schöner Songs ins Haus zu stellen. Vielleicht ist es alles in allem Pop, gerahmt von sprachmächtigen Alltagserkundungen, bösen Gedankenspielen und den Beats, die sich so formvollendet um das Klingeln und Säuseln der Instrumente drehen. Yoni Wolf ist Mitbegründer des Anticon-Kollektivs, Künstler und Label stehen für eine programmatische Überschreitung der Grenzen zwischen Musik-Genres. Was durchweg für Verwirrung sorgte – mal wurden Why? als Folk-Pop-Kollektiv gepriesen, im nächsten Augenblick als Indie-HipHop-Band, dann als Electro-HipHopper gefeiert, in ihrer zehnjährigen Geschichte haben Wolf & Friends schon so ziemlich alle Zuordnungen außer Heavy Metal und Drum & Bass erfahren. Vom superknuspergroovigen Eröffnungstrack „Jonathan’s Hope“ bis hin zum kammermusikalischen, tödlichen Finale „As A Card“ spielt Wolf auf Mumps, etc. seine Extraklasse als Sänger, Songautor und Soundbastler eben auch wieder in viele Richtungen konsequent aus – mit der Tendenz zum Versponnenen, leicht Barocken, etwas Abgedunkelten, aber der nächste Witz folgt alsbald. Wenn er sich vom Mumps erholt hat, kann Yoni Wolf uns bei Gelegenheit ja mal erzählen, was aus Pinocchio im Maul des Wals geworden ist.“ Frank Sawatzki