Die tragischen Götter


Sie hätten die größte Band Englands werden können, veröffentlichten mit ihrem Debüt eine der wichtigsten Platten der 80er-Jahre und trieben mit Singles wie „Fools Gold“ die Verschmelzung von Indie und Dance voran. Danach ging alles grässlich schief. Nach 16 Jahren Pause sind die Stone Roses wieder da – ein Blick zurück.

Mitten im Refrain. Wieso bitte schön passiert so etwas mitten im Refrain? Ian Brown, der jenes später zu seinem Markenzeichen gewordene T-Shirt trägt, auf dem Dollarnoten wie auf einer Kette aufgereiht den Oberkörper zusammenzuhalten scheinen, wirft sich gerade etwas windschief, aber mit all seinem Elan in den ersten Refrain von „Made Of Stone“, als der Strom ausfällt, der Auftritt unterbrochen wird. Technisches Problem, sagt die Moderatorin, lächelt kurz ratlos und kündigt dann einen Beitrag über den Fotografen Martin Parr und dessen neues Buch „The Cost Of Living“ an. „We’ve wasted our time! Amateurs“, nölt Brown im Hintergrund, natürlich ohne Mikrofon. Drummer Reni kichert. Bassist Mani und Gitarrist John Squire schlurfen gelangweilt über die Bühne.

Es war September 1989. Der erste größere Live-Fernsehauftritt der Stone Roses führte sie zum gediegenen BBC-Kulturmagazin „The Late Show“. Noch heute toben die Fans in den Kommentarspalten von YouTube und bei den einschlägigen Blogs. Stromausfall, von wegen! Jedes Studio habe für so etwas eine Notversorgung. Das war Schiebung! Tatsächlich scheinen die „technischen Probleme“ auf einer simplen Tatsache zu fußen: Die Band spielte laut. Zu laut. Angeblich drehten sie kurz vor dem Auftritt noch einmal die Verstärker hoch, weil ihnen die vom Sender vorgesehene Zimmerlautstärke nicht zusagte. Und damit legten sie selbst die Technik lahm. Der automatische „Sound Limiter“, der dafür sorgen sollte, dass eine gewisse Dezibel-Zahl nicht überschritten werden konnte, schaltete auf stumm. Ob die Band aus Manchester so einen legendären Moment der britischen Popgeschichte verhinderte oder schuf – nun ja, darüber könnte man wohl lange diskutieren.

Zu jener Zeit waren die Stone Roses längst etabliert. Sie hatten gerade ihr Debütalbum veröffentlicht und tourten mit gehörigem Erfolg durch Großbritannien. Dass sie erst jetzt auf einem großen Fernsehsender zu sehen waren, lag an einer Umkehrung der Verhältnisse im britischen Pop. Den Hype im klassischen Sinne, also das Hochschreiben durch „NME“ und „Melody Maker“, erlebte die Band nicht, was für sie aber nicht weiter schlimm war: In den vier vorangegangenen Jahren hatten sie mit erstaunlicher Beharrlichkeit nicht nur nach einem eigenen Klang, sondern auch nach einer eigenen Methodik gesucht und eine eigene Fanbase aufgebaut. Das Zusammenspiel mit den etablierten Medien funktionierte eher über Reibung als über die übliche, wohlgeschmierte Promotionsmaschine. Oder kurz gesagt: Die Stone Roses waren vier den Drogen nicht abgeneigte Working-Class-Rotzlöffel aus dem britischen Norden, die sich selbst als maulfaules Team Gernegroß gaben. Das etablierte Pop-England war not amused. „Wenn wir in fünf Jahren über diese Periode sprechen, werden die Stone Roses keinerlei Bedeutung mehr besitzen“, schrieb John Wilde nach einem offenbar furchtbar verlaufenen Interview im „Melody Maker“ 1989, um zwei Sätze später noch mal nachzulegen: „Nach fünf Minuten möchte man über den Tisch langen und ihre leeren, leeren Köpfe gegeneinanderknallen.“

Fundamentales Unverständnis, dessen Gründe wohl in der Vergangenheit lagen. Die Musikszene Manchesters ignorierte die Vorgängerbands der Stone Roses, Gruppen, die Namen wie The Patrol und The Waterfront trugen, geflissentlich. Und auch die Stone Roses ernteten anfangs Achselzucken. Viele, so sagt man heute, hassten sie sogar. Etwa die Macher von Factory Records, der damals wichtigsten Plattenfirma der Stadt. „Tony Wilson verabscheute uns. Er versuchte, jegliche unserer Aktivitäten zu verhindern“, erinnert sich Andy Couzens, damals Rhythmusgitarrist der Band. So veranstalteten sie schon 1985 ihre Konzerte einfach selbst: Sie mieteten eine altes Lagerhaus hinter Piccadilly Station, einem der größten Bahnhöfe Manchesters, an. Die Wegbeschreibung gab’s per Telefon und von im Stadtgebiet abgestellten Mittelsmännern. Die beiden „Flower Shows“ waren wohl die ersten illegalen „Warehouse“-Konzerte in der Geschichte der britischen Popmusik und Blaupause für die gesamte Acid-House- und Manchester-Rave-Bewegung. Nicht nur aufgrund ihrer Organisationsstruktur, sondern auch, weil sie so spät begannen: Die Stone Roses gingen erst gegen vier oder fünf Uhr morgens auf die Bühne und zogen so jene Crowd an, die nach einem Abend in der Haçienda, dem wichtigsten Club der Stadt, weiterfeiern wollte – im Prinzip ein Vorläufer dessen, was man später als Afterhour bezeichnete. Betrachtet man heute Mitschnitte der Auftritte, sind sie musikalisch nicht so spannend. Indie-Rock, dem die Melodik der späteren Songs völlig fehlt und der damals, mit The Smiths als größter Band Manchesters, nicht besonders angesagt war. Die Kleinanzeige, auf die sich 1985 Reni für den vakanten Posten des Drummers meldete, nannte als Eckdaten Generation X und The Clash. Das sagt einiges aus.

Drei Jahre später klangen die Songs anders. Atmosphärischer, verhallter, melodiöser. Was geblieben war, war die Kaltschnäuzigkeit, die Lust, die Konventionen des Pop zu brechen. Angebote als Support-Band wiesen die Stone Roses zumindest in ihrer Heimatstadt stets zurück. Und als sie 1988 auf dem Charity-Festival „Anti Clause 28“, das sich gegen einen Gesetzentwurf der Konservativen richtete, der „homosexuelle Lektüre“ aus den Klassenzimmern verbannen sollte, als Support der damals schon recht großen James spielten, benahmen sie sich ausgesprochen hässlich: Zunächst plakatierten sie die ganze Stadt – mit ihrem Namen als Headliner. Am Abend des Auftritts verschwanden sie schlichtweg und fingen ihren Auftritt nicht, wie ausgemacht, um neun Uhr abends, sondern erst zwei Stunden später an, sodass viele Besucher längst gegangen waren, als die eigentliche Hauptband die Bühne betrat – es war kurz vor Mitternacht, wer den letzten Nachtbus erwischen wollte, musste sich sputen.

An jenem Abend spielten die Stone Roses bereits die Songs, die ihren späteren Status zementieren sollten. Natürlich „Sally Cinnamon“, aber eben auch eine neue Version des bereits drei Jahre alten „I Wanna Be Adored“ oder „Made Of Stone“ „Waterfall“ und „I Am The Resurrection“. Eben all die Nummern, die später auf ihrem Debütalbum so leuchten sollten. Im Publikum: ihr späterer Produzent John Leckie, der mit seiner Vorliebe für den Pop der 60er-Jahre eine der Koordinaten des Roses-Sounds setzen sollte, aber auch die Inspiral Carpets und Liam und Noel Gallagher. „Wenn ich da nicht hingegangen wäre, würde ich jetzt in irgendeiner Kneipe in Levenshulme herumsitzen“, sagte Liam Gallagher einmal über den Abend.

1988 nahmen die Stone Roses die Single „Elephant Stone“ noch mit Peter Hook auf. Den Zuschlag für das Album bekam John Leckie. Weil Hook keine Zeit hatte, aber auch, weil es allen Beteiligten als eine gute Idee erschien. Leckie war seit 1967 im Geschäft, hatte sich vom Botenjungen in den Abbey Road Studios zu einem der besten Indie- und Wave-Produzenten der Republik hochgearbeitet. Selten, so sagte er später, habe er eine Band erlebt, die mit so viel Elan an die Sache heranging, die so genau wusste, was sie wollte.

Sie wollte das Richtige. Das Album findet sich bis heute in allen einschlägigen Bestenlisten. Ja, man hört ihm sein Alter an. Und nein, das macht überhaupt nichts, weil es wunderschön ist. Leckies Wissen aus den 60er-Jahren, sein Interesse an Westcoast und Psychedelic trifft auf Grooves, die erkennen lassen, warum die Stone Roses auch darüber nachdachten, das Album von Sly & Robbie produzieren zu lassen. Squires Gitarre hüpft und gleitet und lässt die Töne durch die Luft fliegen wie ein explodierendes Federbett. Und Ian Brown. Ach, natürlich nölt Ian Brown. Aber er nölt eben ziemlich gut.

Die Souveränität, mit der die Band im Studio agierte, verwundert kaum. Vier Jahre gab es die Stone Roses bereits, und streng genommen war die Platte mit dem Squire’schen Trademark-Gekleckse in Jackson-Pollock-Manier. Schon 1985 hatten sie mit Joy-Division-Produzent Martin Hannett die weitgehend unbeachtete Doppelsingle „So Young“ / „Tell Me“ und ein Dutzend weiterer Songs aufgenommen, die allerdings erst 1996 veröffentlicht wurden. Mit „Sally Cinnamon“ (1987) hatten sie bereits einen Mini-Hit auf der Uhr.

Vielleicht ist es für junge Bands in Ordnung, sich eine Zeit lang wie Vollidioten zu benehmen. Vielleicht ist es sogar nötig und ein bisschen wie in der Liebe: Wer nett ist, verliert. Wer ein Arschloch ist, stößt nicht unbedingt auf Zustimmung, wird aber irgendwann belohnt – sei es, mit einem feindseligen Zweiseiter im „Melody Maker“. Die Stone Roses waren seinerzeit nicht nett. Sie lieferten einen Gegenentwurf zum Stock-Aitken-Waterman-Pop und dem Simple-Minds-Stadionrock, der den englischen Mainstream prägte. Die Songs klangen nicht nur großartig, sie hatten doppelte Böden, die die so oft geäußerten Mutmaßungen über den angeblich limitierten Horizont eines „King Monkey“ Ian Brown Lügen straften und die oft falsch rezipiert wurden. Nein, Brown wollte nie „adored“ werden und er hielt sich keinesfalls für den Erlöser. Er war so selbstbewusst, wie es der Sänger einer Rockband sein musste, die laut ihres Managers, dem leicht verrückten Impressario Gareth Evans, zur größten des Königreichs werden sollte. Aber Brown wusste genau um die Ambivalenzen, die diese Position mit sich bringen würde. Ihn interessierte die Doppeldeutigkeit des Konstrukts Stardom, des Begriffs Größe, was ihn von vielen, die nach ihm kamen, unterschied. Er war eben kein Vollidiot, er benahm sich nur wie einer.

Ach, diese Manieren. Die wichtigste Promotion-Aktion der Stone Roses in ihren Anfangsjahren: Sie schmierten ihren Bandnamen auf Wände in ganz Manchester. Und als Paul Birch, Chef ihres Kurzzeit-Labels FM Revolver, erwähntes „Sally Cinnamon“ 1989 ein zweites Mal veröffentlichte, um wenigstens ein bisschen vom neuen Ruhm seiner ehemaligen Hoffnungsträger abzuschöpfen und auch noch ein Video dazu drehen ließ, schlug die Band in seinem Büro auf. Mit Farbeimern, die sie nicht nur in den Räumlichkeiten, sondern auch auf Birch und seiner Frau verteilten. Die Scheiben einiger Autos, die im Innenhof parkten, mussten ebenfalls daran glauben. Am nächsten Tag wurden die Stone Roses vorgeladen und einige Monate später zu einer Geldstrafe verurteilt. „Ich wusste nicht, dass abstrakter Expressionismus ein Strafbestand ist“, war Squires Reaktion. Ihr zweiter Plattenvertrag mit dem Zomba-Sublabel Silvertone und die Kündigung Gareth Evans‘ endeten ebenfalls in einem hässlichen Rechtsstreit. „Wir verbrachten mehr Zeit in irgendwelchen Gerichtssälen als in Tonstudios“, erinnert sich Ian Brown heute. Für ihn blieb es indes nicht bei dieser einen Begegnung mit der Staatsgewalt. Gute zehn Jahre später musste er ins Gefängnis, nachdem er auf einem Flug von Paris nach Manchester zunächst eine Stewardess bedrohte und dann versuchte, ins Cockpit vorzudringen.

Nein, die Stone Roses waren nicht unbedingt Punks, aber eher von Rustikalität als von Feingeistigkeit durchdrungen. Trotzdem: Sie spielten Popsongs, schöne, zum Teil herzzerreißende Popsongs, die von der Liebe handelten, aber auch von der Droge und vom Hadern mit dem, was sie waren und was sie sein wollten. Es waren Songs, an denen alles stimmte, und das lag vor allem an den beiden Frontmännern der Band. John Squire und Ian Brown. Sandkastenfreunde im wortwörtlichen Sinne, später dann in einer Schulklasse. Squire, der Beatles- und Beach-Boys-Fan, Brown eher an den Adverts und den Sex Pistols interessiert. Musikalische Kollaborateure seit 1984. Der introvertierte Musiker und Kreativkopf – er malte seit den frühen 80er-Jahren und zeichnete später auch für das Artwork der Band verantwortlich – auf der einen Seite. Der sportliche Charismatiker, der schon mit 14 Jahren als Lehrer an einer Karateschule arbeitete, aber stets zugab, weder an Bildung noch an Lohnarbeit übermäßig interessiert zu sein, auf der anderen. Im Jugendzimmer schrieben sie gemeinsam an ihren ersten Songs. Im Rückblick erscheint das frühe Material nicht unbedingt zwingend. Aber das wussten sie. Immer wieder löschten sie das Gewesene, entwickelten neue Sets. Wenn’s nicht lief, logen sie. „Etwa 50 Songs“, so sagten sie 1988 ihrem Produktmanager bei Silvertone, hätten sie geschrieben. In Wahrheit waren es nur acht, die sie für albumtauglich hielten. Und als das Debüt ein Jahr später in den Läden stand, waren sie schon viel weiter. Die Westcoast- und Merseybeat-Einflüsse waren zumindest aus Squires Referenzfeld verschwunden. Kein halbes Jahr später erschien mit „Fools Gold“ eine unverschämt groovende Single, die weniger die Idee Song als die Idee Track vertrat und zum bis dato größten Hit der Band werden sollte. Am Nachhall, den „Fools Gold“ bis heute hat, ist sicher einer der Zufälle schuld, die im britischen Pop so häufig vorkommen: Als sie den Song bei „Top Of The Pops“ vorstellten, spielten auch die Happy Mondays ihr „Hallelujah“: Das so schwer zu greifende Genre Manchester Rave hatte seine Repräsentanten gefunden. Gitarrenbands, die mit dem, was Bands früher darstellten, mit diesem formatierten Rock-Unsinn nichts zu tun hatten. Verblüffend war die Hinwendung zu tanzbaren Sounds nicht: Schon während der Sessions zum Debütalbum hörten die Stone Roses viel HipHop und Acid House.

Und danach? Nun, das was danach passierte, ist auch heute nur noch schwer zu greifen. Wo begann das Scheitern? Wer war schuld daran? Der Manager? Die Band? Die Drogen, vor allem das Kokain, das John Squire angeblich in großzügigen Dosen zu sich nahm? Der Tag um Tag fressende Gerichtsprozess mit Silvertone Records? Es wird sich im Nachhinein nicht mehr genau klären lassen. Second Coming, dieser Koloss, der sich müht, Funk mit Led Zeppelin mit Psychedelic zu kreuzen, der jede Menge toller Songs bevorratet, aber als Ganzes knarzt und klemmt und krächzt und das Prinzip Pop meidet wie der Teufel das Weihwasser, kam viel zu spät. 347 Studiotage brauchten die Stone Roses dafür, viele davon bestanden daraus, dass ein Loop lief und keiner so recht wusste, was er damit nun anzufangen hatte. Bis die Platte 1994 tatsächlich veröffentlicht wurde, gingen fünf Jahre ins Land. Besonders das Verhältnis zwischen Squire und Reni galt als zerrüttet: Am liebsten hätte Squire wohl auf einen Drummer verzichtet – wofür gibt’s denn Maschinen? Und auch Brown kam mit seinem Gitarristen, seinem früheren besten Freund, nicht mehr klar. „Wir waren keine Band mehr. Wir waren The John Squire Experience“, sagt er heute. Der eigentlich erneut als gesetzt geltende John Leckie warf irgendwann entnervt das Handtuch – wie diese Platte wohl geklungen hätte, wenn dieser routinierte Hitmaker sich ihrer angenommen hätte? So wurde Second Coming als Abgesang gesehen, als Manifest der eigenen Ratlosigkeit und als Anfang eines Endes, das eher unschön war: Im folgenden März verließ Reni die Band. John Squire musste zunächst einige Konzerte absagen (gute Rockstarverletzung: Schlüsselbeinbruch vom Mountain-Bike-Fahren) und verließ die Band ein Jahr später. Er wurde durch Aziz Ibrahim ersetzt, vorher Session-Gitarrist bei Simply Red. Ein ordentlicher Mann mit einer eigenen Klangsprache, wie sich zeigen sollte. Aber natürlich auch einer, der mit den Stone Roses nichts zu tun hat. Der Zauber war weg. So, wie der Zauber weg wäre, wenn Keith Richards die Rolling Stones verlassen würde oder so, wie der Zauber weg war, als aus Oasis Beady Eye wurden. Die Konzertkritiken waren verheerend. „Die Stone Roses klingen wie eine Rockband aus den Mittsiebzigern. Und wenn Rockmusik etwas braucht, dann ist es einen guten Sänger“, schrieb der „NME“ im Dezember 1995. Dass Ian Brown das nie war und wohl auch nie sein wird, ist klar. Im Oktober 1996 löste sich die Band endgültig auf. Reunion-Gerüchte flammten fortan im Jahrestakt auf, ebenso regelmäßig wurden sie mit harschen Worten dementiert.

Schnitt. Bisher haben wir die Vergangenheitsform verwendet. Wie in einem Nachruf. Das ist nicht ganz richtig, denn die Stone Roses gibt es wieder. Dass es so weit gekommen ist, mag man als Prinzipienlosigkeit rezipieren. Aber die Musikwelt hat sich verändert. Die Reunion ist im kontemporären Pop das Geschäftsmodell, das unter finanziellen Gesichtspunkten alle anderen sticht. Die alten Fans wollen ihre alten Helden sehen und sind bereit, dafür gutes Geld zu bezahlen. Eine Million Pfund überwies Geffen der Band seinerzeit als Vorschuss für Second Coming. Heute munkelt man, dass allein die Manchester-Konzerte diese Summe auf das Konto der Stone Roses spülen würden – pro Bandmitglied. Und: Man zelebrierte das Comeback im vergangenen Oktober mit einer wunderbar ironischen Pressekonferenz, die von der Website des „NME“ im Live-Ticker übertragen wurde. Eine Pressekonferenz! Im Live-Ticker, jenem Medium, das ansonsten Naturkatastrophen, Wahlabenden und Fußballspielen vorbehalten ist!

Auch einen Plattenvertrag unterzeichneten die Stone Roses – beim Universal-Sublabel Geffen, wo schon Second Coming erschien. Was beim dritten Album herumkommen wird? Ob da etwas bei herumkommen wird? Vier Nummern, so heißt es aus dem Umfeld der Band, habe man bereits geschrieben. Die ersten Konzerte der Comeback-Tour kamen zwar ohne neue Songs aus, ernteten aber durchaus erfreute Resonanz, auch weil alles weniger durchinszeniert, weniger cash machine wirkte als befürchtet. So rappte Ian Brown in Barcelona zu „Love Spreads“, das erste Konzert der Tour war ein Umsonst-Gig. Die Band scheint Spaß zu haben. Und der Ton stimmte auch. Die kleine Auseinandersetzung, zu der es am Ende eines Gigs in Amsterdam kam – Brown rumpelte ein wenig gegen Drummer Reni, der die Zugabe entweder nicht spielen wollte oder aus technischen Gründen nicht spiele konnte -, ist nicht der Rede wert.

Was ist denn nun geblieben von den Stone Roses? Natürlich die Songs. „I Am The Resurrection“, „Fools Gold“ und „Sally Cinnamon“ haben nichts von ihrer Prägnanz verloren. Mit schöner Regelmäßigkeit bedienen sich andere bei ihnen. Die gesamte Britpop-Posse der Mittneunziger, allen voran Oasis, deren Liam Gallagher sich einige Aktivposten seines Bewegungshaushalts bei Brown abschaute und, was Brown immens geärgert haben dürfte, John Squires Seahorses mit auf die „Be Here Now“-Tour nahm. Auch viele Big-Beat-Acts haben die Manchesteraner auf ihrem Referenzzettel. Später dann MGMT, deren „Time To Pretend“ arg an die Roses erinnert und Klaxons, Shitdisco und all die anderen, die 2006 von der britischen Musikpresse unter dem Begriff New Rave katalogisiert wurden. Aber auch Pete Doherty schätzt die Stone Roses sehr. Mindestens ebenso wichtig wie diese unmittelbaren Einflüsse sind ein paar andere Dinge, die Bands von den Stone Roses lernen können. Geht eigene Wege! Vertraut Euren Stärken! Sowie: Verzettelt Euch nicht. Vielleicht auch: Dreht nicht vor Fernsehshows an den Reglern Eurer Verstärker. Andererseits: Wie gesagt, wir wissen nicht, ob die kleine Technikpanne den großen Moment nun schuf oder verhinderte.

Kaufempfehlungen

In jedem Fall

The Stone Roses (1989)

Wie oft muss man es noch lesen, wie oft muss man es noch schreiben? Das ist ein vollkommenes Album. Eine Naturgewalt. Wie wenn man sich nach langer Zeit wieder verliebt, ein vertrauter, aber überwältigender, ein idealer Rausch. Der entscheidende Moment kommt anderthalb Minuten nach dem Beginn des ersten Stücks, „I Wanna Be Adored“: das Vorspiel ist vorbei, John Squire entfacht mit einer Gitarrenspur einen Orgasmus, der sich bis in die letzten Jamsekunden von „I Am The Resurrection“ zieht. Key tracks: alle.

Turns Into Stone (1992)

Als diese Zusammenstellung von B-Seiten und Singles aus den Prä- und Post-Debüt-Phasen erschien, war die Band tatsächlich wie versteinert. Ein Rechtsstreit mit ihrer Plattenfirma Silvertone hinderte sie daran, neues Material zu veröffentlichen. Silvertone hingegen durften den Ausverkauf fortsetzen, sehr zum Ärger der Band – in diesem Fall aber zumindest sehr zur Freude der Fans: Turns Into Stone fühlt sich aufgrund seines sensiblen Sequencings wie ein richtiges Album an. Dank der Vollversionen von „Fools Gold“ und „One Love“ und einer der besten B-Seiten der Geschichte, „Mersey Paradise“, steht diese Compilation, man traut es sich kaum zu sagen, seinem perfekten Vorgänger in kaum etwas nach.

Als Einstieg

The Very Best Of The Stone Roses (2002)

Absolut gelungene Zusammenstellung, umrahmt vom Opener und Closer des Debüts. Insgesamt haben es sechs Stücke daraus auf die Tracklist geschafft, vier von der zweiten Platte. Dazu One-off-Singles wie „Sally Cinnamon“ und „Elephant Stone“. Mit Ausnahme von „One Love“ (hier als 7“-Version) allesamt in ihren Originallängen – „Breaking Into Heaven“ muss allerdings ohne seine Intro-Soundcollage auskommen, was verständlich ist, hätte es sonst nur den Fluss des Albums aufgehalten.

Nur für Fans

Second Coming (1994)

Wer sich eine Fortsetzung des Debüts erwartete – und das taten alle -, wurde enttäuscht. Doch wer auf die Songs achtete und kein Feind von Led Zeppelin war, der bekam eine der besten Bluesrock-Platten der 90er-Jahre. Herausragend: das Trostpflaster „Ten Storey Love Song“, das Gitarrenmonster „Love Spreads“ und der Britpop-Schunkler „Your Star Will Shine“. Bizarr hingegen: das völlig schiefe Instrumental „The Foz“ als versteckter Song nach 86 je viersekündigen Tracks Stille.

Garage Flower (1996)

Das eigentliche Debütalbum: im Frühling 1985 unter der Regie von Martin Hannett entsetzlich unterproduziert aufgenommen, verworfen, 1996 dann ohne Rücksprache mit der Band von Silvertone veröffentlicht. 14 Songs ambitionierter, aber noch etwas richtungsloser Riffrock. Mit Ausnahme der historisch interessanten Frühversionen von „This Is The One“ und „I Wanna Be Adored“, sowie dem wenige Sekunden dauernden, rückwärts gespielten „Song“ „Haddock“ nur Alleshabenmüssern zu empfehlen. All Songs übrigens written by Ian Brown, John Squire („Squires“, wie er hier schlampigerweise im Booklet steht) und Andy Couzens – dem Rhythmusgitarristen der Band von 1983 bis 1986.

The Remixes (2000)

Mint Royale ersetzen die Bass- und Drumspuren von „Elephant Stone“ mit ganz, ganz vielen Streichern, Soul Hooligan rauchen einen dicken Joint zu „Shoot You Down“ und die Elektro-Rocker Utah Saints liefern eine vorhersehbare Elektro-Rock-Version von „One Love“. Ganz nett, aber wie die meisten Remix-Sammlungen von Rock-Künstlern eben: komplett unnötig. Relativ brauchbar immerhin: der düstere Elektro-Pop, zu dem 808 State „Made Of Stone“ machen und der selbstständige Clubhit, Grooveriders Drum’n’Bass-Remix von „Fools Gold“.

Auf keinen Fall

The Complete Stone Roses (1995)

Von Silvertone ohne Input der Stone Roses zusammengeschusterte Compilation mit irreführendem Namen: Die Second Coming-Phase wird hier nicht berücksichtigt. Viele Songs wurden – ebenfalls ohne Einverständnis ihrer Urheber – neu abgemischt und damit verschlimmbessert. Gröbste Schnitzer aber: die Edits. Epische Songs wie „I Am The Resurrection“, „One Love“ und „Fools Gold“ werden je um etwa die Hälfte gekürzt und dadurch ihrer Natur beraubt.

inspiriert von

The Beatles

The Byrds

Isaac Hayes

Led Zeppelin

Sex Pistols

The Jesus And Mary Chain

haben inspiriert

Oasis

The Charlatans

The Chemical Brothers

The Libertines

MGMT

Paul Oakenfold

Die Solokarrieren nach dem Split der Band

Ian Brown: „King Monkey“ lancierte 1998 eine erfolgreiche Solokarriere, die bis heute sechs Studio-Alben (fünf davon erreichten die UK-Top-Ten), ein Remix- und ein Greatest-Hits-Album abwarf. Brown arbeitete u. a. mit UNKLE und Sinéad O’Connor zusammen. 2004 hatte er eine Rolle im Film „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“. 2006 überreichte ihm der „NME“ seinen „Godlike Genius Award“.

John Squire: Kurz nach seinem Ausstieg bei den Roses gründete der Gitarrist The Seahorses (dass der Bandname ein Anagramm für „He Hates Roses“ darstellt, ist reiner Zufall). Nach drei Jahren und dem Platindebüt Do It Yourself trennte sich die Band 1999. 2002 veröffentlichte er sein mit Stone-Roses-Anspielungen gespicktes, erstes Solo-Album Times Changes Everything – gleichzeitig Squires gewöhnungsbedürftiger Einstand als Sänger. Nach dem kommerziellen Flop seines zweiten Albums, Marshall’s House (2004), konzentrierte sich Squire auf seine Karriere als bildender Künstler.

Alan „Reni“ Wren: Der Schlag-zeuger zog sich erst mal aus der Öffentlichkeit zurück. 1997 pöbelte er während einer Gerichtsverhandlung und wurde zu sieben Tagen Gefängnis verurteilt – von denen er nur drei absitzen musste. Zwei Jahre darauf gründete er die kurzlebige Band The Rub, deren Gitarrist, Bassist und Sänger er war. Reni wurde von vielen Kollegen als bester Schlagzeuger seiner Generation bezeichnet. Fischerhütchen, wie er sie während seiner Zeit bei den Stone Roses oft trug, werden heute noch liebevoll „Reni Hats“ genannt.

Gary „Mani“ Mounfield: Der Bassist schloss sich 1996 Primal Scream an, deren Mitglied er für fünf Alben blieb. Bobby Gillespie nannte ihn „überlebenswichtig“ für die Band. Für die Reunion der Stone Roses verließ er die Experimentalrocker zwar wieder – aber in aller Freundschaft: Primal Scream kündigten an, die Roses bei einer ihrer Homecoming-Shows in Manchester als Vorgruppe zu unterstützen.

The Stone Roses für Kenner

Das Cover des Debütalbums ist ein Kunstwerk von John Squire namens „Bye Bye Badman“. Die darauf festgenagelten Zitronenscheiben sind eine Anspielung auf die studentischen Unruhen in Paris 1968. Ian Brown war beim Trampen durch Europa auf einen Teilnehmer dieser Riots gestoßen, der ihm erzählte, dass die Straßenkämpfer damals auf Zitronen bissen, um die Wirkung des Tränengases der Polizei abzuschwächen.

Nachdem Slash 1996 bei Guns N‘ Roses ausgestiegen war und sich John Squire von den Stone Roses getrennt hatte, bot Slash an, die Lücke bei den Madchester-Rockern zu füllen. Die Stone Roses lehnten ab. Zehn Jahre später sagte Mani in einem Interview: „Hätte es funktioniert? Keine Ahnung. Es hätte großartig werden können – oder total beschissen. Ich für meinen Teil spiele gerne mit jedem, der was zur Party beisteuert und Slash ist cool, Mann.“

Anfang 2012 gestand US-Wrestling-Ikone Hulk Hogan seine Liebe für die Stone Roses. „Ich habe früher gerne zu ihren Songs trainiert“, sagte der 58-Jährige in einem Gespräch mit der britischen Tageszeitung „The Sun“.

Im November 1989 traten die Stone Roses und die Happy Mondays bei „Top Of The Pops“ auf. Was die Kameras natürlich nicht festhielten, war die Drogenhölle backstage. Mani erinnert sich: „Wir waren voll auf Pille und knutschten wild herum. Wir donnerten gegen die Tür der Umkleidekabine der Fine Young Cannibals, wir wollten die mit Ecstasy abfüllen. Jedem, den wir trafen, schaufelten wir das Koks rein.“

Als Mark Potter noch Gitarrist bei Soft war, aus denen später Elbow hervorgehen sollten, verdiente er sich ein Zubrot als Pizzalieferant. Und so brachte er einmal auch den Stone Roses ihre Pizzen, als diese gerade in den Square One Studios in Bury, Großraum Manchester, an ihrem Album Second Coming arbeiteten.

Songzitate für die Ewigkeit

„I don’t need to sell my soul

He’s already in me“

„I Wanna Be Adored“, 1985

„I can feel the earth begin to move

I hear my needle hit the groove“

„She Bangs The Drums“, 1989

„Tear me apart and boil my bones

I’ll not rest till she’s lost her throne

My aim is true, my message is clear

It’s curtains for you, Elizabeth my dear“

„Elizabeth My Dear“, 1989

„I am the resurrection and I am the light

I couldn’t ever bring myself

To hate you as I’d like“

„I Am The Resurrection“, 1989

„These boots were made for walking

The Marquis De Sade

never made no boots like these“

„Fools Gold“, 1990

Die 5 besten Coverversionen

1. Death Cab For Cutie „I Wanna Be Adored“ (live, 2000)

2. Pete Doherty „Sally Cinnamon“ (Bootleg)

3. The Raveonettes „I Wanna Be Adored“

(2010, im Rahmen eines Videoprojekts zu Ehren des 50. Geburtstags der Doc-Martens-Stiefel)

4. Cerebral Ballzy „I Wanna Be Adored“

(2011 für BBC Radio 1)

5. Badly Drawn Boy „I Wanna Be Adored“

(2012 für BBC Radio 5 Live)

Was die anderen sagen

„Die Stone Roses sind teuflisch gut.

Sie sind melodischer als wir, aber wir sind auch eine Top-Band. Für mich sind sie Freunde:

Ian! Der verfluchte Mani! Remi [sic]!

Freunde, kapierst du das? Und erst der verfickte Cressa [Tänzer der Stone Roses; Anm.

Shaun Ryder (Happy Mondays)

„,Love Spreads‘ ist die großartigste Comeback-Single aller Zeiten.“

Bobby Gillespie (Primal Scream)

„Dieser Typ (Liam Gallagher; Anm.) hatte keinen Plan im Leben, bis er die Stone Roses hörte. Er konnte sich absolut mit Ian Brown identifizieren.“

Noel Gallagher

„Ihr zweites Album ist zwar besser als alles, was momentan sonst auf den Markt kommt – abgesehen von unserer Platte. Aber fünf Jahre sind eben eine lange Zeit. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Roses heute noch Songs schreiben. Und das ist eine Schande, denn darin waren sie wirklich gut. Ich liebte sie bei ihrem Debüt, ich war ein Riesenfan. Aber wir sind jetzt besser als sie. als Songwriter pisst Noel auf John Squire.“

Liam Gallagher, 1995