Ding, dong! Ein Hausbesuch bei den eigenen Nachbarn


Einfach mal so bei den Nachbarn klingeln, mal „Hallo“ sagen, auch bei denen, die man nicht kennt.

Irgendjemand muss die Diskussion moderieren. Und irgendjemand muss das Protokoll führen. Es ist Montagabend kurz nach 20 Uhr, an der Wand leuchtet eine Präsentation, ein kleiner Vortrag über Wohn- und Vertragsrecht. Große Oleander in Vintage-Terracotta-Kübeln stehen neben Bierbänken. Darauf etwa 20 Menschen. Nachbarn. Einer sieht aus wie Bruce Willis, eine trägt eine neongelbe Strumpfhose, der Nachbar von gegenüber reicht ein Bier herüber. Danke. Ein paar melden sich. Der Architekt sagt gerade: „Eine solidarische Nachbarschaft wird auch von ihrer Rechtsform geleitet.“ Hä, was?

Die Geschichte dieser Nachbarschaft ist so: Vor sieben Jahren haben sich 14 Menschen zusammengetan und als GmbH ein Baugrundstück gekauft. Berlin, beste Lage, Innenstadt. Investoren scheuten aber das Risiko der Erschließung und das kam der Gruppe zugute. Sie überlegten, planten und dann wandelten sie die GmbH in eine Genossenschaft um und bauten drei Häuser. Anders als andere Baugruppen, die meist die GbR als Rechtsform wählen. Den Leuten, die heute hier sitzen, weil sie hier wohnen, gehören diese Wohnungen also nicht wirklich. Sie haben einen Nutzungsvertrag, zahlen Miete an die Genossenschaft, aber es fühlt sich so an, als gehöre einem der Wohnraum. Es fühlt sich an, wie das eigene Stück Land, die eigene Stadt. So wie damals, als man als Kind das erste Mal Zelten war. Man fühlt sich verantwortlich für den Lebensraum um sich herum, hat nicht nur einen Bezug zu der Wohnung, sondern auch zu den Treppenhäusern, den Zuwegen, der Müllabfuhr.

Man muss sich das mal vorstellen, normalerweise ist es ja so in der Stadt: kleine Kästchen, nebeneinander gestapelt, getrennt durch dünne Wände, an denen Menschen nebeneinander herleben, ohne sich dabei zu sehen, wie sie sich am Abend ein Müffelchen schmieren, die Zehennägel schneiden. Ohne sich zu kennen. Aber sie hören manchmal, wie der nebenan weint oder liebt oder empörend schlechte Musik hört. Eigentlich ein merkwürdiges Konzept von Zusammenleben. Es gibt sie wirklich, Nachbarn wie Geister, die man noch nie gesehen hat. Die gibt es auch hier. Vielleicht bringen sie einfach nur nach 24 Uhr den Müll runter? Man weiß es nicht. Und es gibt Nachbarn, die sieht man jeden Tag. Sie tragen Dinge von links nach rechts, spielen Fußball im Hof, kommen und gehen ständig.

 

Foto: Christoph Neumann
Foto: Christoph Neumann

„Wir kennen hier alle Nachbarn“ sagt Bettina, Haus 2, 6. Stock. Alle Nachbarn, das sind über 80. Verhältnismäßig viele Svens sind darunter. Und viele Besitzer von Ortlieb-Fahrradtaschen. Viele um die 40. Die Post-Prenzlauer-Berg-Mitte-Generation vielleicht. Irgendwann sollen die Häuser mit Hängebrücken verbunden werden. Aber dafür ist gerade kein Geld da und zuerst muss die Sache mit der Heizung geregelt werden, die funktioniert nämlich nicht ganz einwandfrei und wer dafür verantwortlich gemacht werden muss, fragen sich die Nachbarn derzeit, wenn sie sich treffen.

Die Häuser stehen so nah zusammen, dass unklar ist, ob die Nachbarn sehen können, wie man morgens nackt zum Kühlschrank geht. Innen drin in diesen Häusern gibt es zum Beispiel eine WG, in der 20 Menschen wohnen. Dort leben Familien sowie Singles, in der Küche stehen zwei Kühlschränke nebeneinander, sie kochen und essen oft gemeinsam an einem großen Tisch. Und wenn es Kartoffelgratin geben soll, müssen sie die Kartoffeln nicht mit der Hand in Scheiben schneiden, sondern haben eine Küchenmaschine dafür. Es gibt auch eine WG, in der die Menschen zusammen alt werden wollen. Und es gibt eine WG, in der fünf individuelle Wohnungen mit einer gemeinschaftlich genutzten Wohnung verbunden sind und so zu einer Art WG werden. Das ist meine. Andere wohnen in normalen Wohnungen.

Christoph Neumann