Du brauchst Tiefe


Scott Matthew sang seine Torch-Songs in den australischen Busch hinein, bis es aus ihm heraus sang. Heute sitzt er mit Ukulele in New York.

Scott Matthew darf man sich als einen vergnügten Menschen vorstellen. Glauben dürfte das kaum einer, der jemals einen Ton oder eine Textzeile von ihm gehört hat. Eigentlich genügt schon ein Albumtitel, um zu wissen, womit man es hier zu tun hat: There Is An Ocean That Divides and With My Longing I Can Charge It With a Voltage Thats So Violent to Cross It Could Mean Death. Auch das vierte Album, Gallantry’s Favorite Son, des gebürtigen Australiers mit dem länglichen Zottelbart und der Haartolle, die bis zur Nasenspitze reicht, ist wieder von herzlicher Traurigkeit. „Tja, so muss Musik doch sein, oder?“, sagt er kichernd in seinem Berliner Hotelzimmer. „Ohne eine gewisse Melancholie keine Tiefe.“

Tatsächlich erinnert Matthews Kunst frappierend an die von Nick Cave zuzeiten der The Boatman’s Call-Ära. An den ganz frühen Bowie. Oder an Antony Hegarty, den Matthew als eine lebende Ikone verehrt: „Antony ist kein Mensch, glaube ich. Er ist etwas Anderes, Besseres.“ Beide, Antony wie Scott, bewegen sich in einem durchaus klassischen Genre. Sie schreiben „Torch-Songs“ – Lieder von tief empfundenem Liebesleid und trügerischer Hoffnung, wie sie zu Hochzeiten des Jazz-Gesangs besonders populär waren.

Dazu braucht es Sängerinnen oder Sänger, die die Flamme der Liebe im Herzen und dieses Herz auf der Zunge tragen. Ohne Entäußerung und die Bereitschaft, mit nackter Seele vor das Publikum zu treten, kann kein Torch-Song funktionieren. „Das stimmt“, sagt der Bariton Matthew, „und genau das ist das Problem bei Live-Auftritten. Auch wenn das jetzt esoterisch klingt: Ich muss immer versuchen, in einen höheren Zustand zu geraten, diesen Punkt abzupassen, wo ich eigentlich nicht mehr selber singe, sondern etwas aus mir singt.“

Seine Jugend im Busch von Queensland war ihm dabei Fluch und Segen zugleich. Segen, weil „ich dort in der Wildnis stundenlang herumspazieren und aus Leibeskräften singen konnte, ohne dass das jemanden gestört hätte“. Fluch, weil „es nicht eben einfach ist, sich im konservativen Umfeld dieser Wildnis als Homosexueller zu outen“. Weshalb Matthew, nach einer kurzen Phase als Sänger einer Punkband, seinen Koffer packte und in seine Traumstadt auswanderte, nach New York. „Ich gehe aber kaum mehr aus, muss ich sagen. Inzwischen bedrückt mich das kulturelle Angebot dieser Stadt eher, als dass es mich reizt. Ich könnte das alles sowieso nicht aufnehmen, also bleibe ich lieber zu Hause und spiele auf meiner Ukulele.“

In New York lernte er auch Spencer Cobrin kennen, den ehemaligen Schlagzeuger von Morrissey, seines Zeichens ehemaliger Sänger der Smiths, denen Matthew in abgöttischer Bewunderung verbunden ist: „Die Smiths haben mir die Augen geöffnet. Ohne die Smiths wäre ich nichts.“ Mit Cobrin tritt Matthew heute noch manchmal unter dem Namen Elva Snow auf. „Aber das ist flotteres, poppigeres Material als meine eigentliche Soloarbeiten“, sagt Matthew verlegen und streicht sich wieder die Tolle ins Gesicht.

Albumkritik S. 104