„Es war nicht zum Aushalten“


An den Aufnahmen zu ihrem neuen Album BLEED LIKE ME wären Garbage beinahe zerbrochen. Shirley Manson über aggressive Stimmungen im Studio, Prüderie in Amerika und das Geschlechtsteil von Marilyn Manson.

Diesmal war die Interviewvorbereitung nicht leicht, weil du auf eurer Website kein Studiotagebuch geführt hast.

SHIRLEY MANSON: Ich habe Tagebuch geführt, aber nur sporadisch. Weil alles so kompliziert geworden ist. Auf dem Höhepunkt der Krise waren wir nicht sicher, ob wir die Probleme lösen könnten, die zwischen uns bestanden.

Was war denn los?

Ich kann gar nicht wirklich sagen, was los war. In den vergangenen zehn Jahren hat sich etwas verändert. Die Atmosphäre im Studio wurde unerträglich. Zeitweise haben wir nicht miteinander geredet, es herrschte eine passive, bisweilen aggressive Atmosphäre. Ich habe immer gedacht, dass es bei einer Band um Freude und Freiheit geht und nicht darum, daß du dich unterdrückt fühlst, wenn du das Studio betrittst. Es war nicht zum Aushaken für mich.

Ihr wart kurzzeitig getrennt?

Mehr oder weniger. Irgendwann bin ich nicht mehr ins Studio gekommen. Jeder hat sich scheiße gefühlt. Butch hatte beschlossen, zurück nach L.A. zu gehen, und war sich nicht sicher, ob er zurückkehren würde. Um ehrlich zu sein: Ich habe genauso gedacht, und ich glaube, die anderen auch. Dann haben wir fünf Monate pausiert und ernsthaft darüber nachgedacht, ob wir wirklich bei Garbage sein wollten. Wir hatten ein paar unangenehme Diskussionen. In den fünf Monaten sind wir dann langsam zu der Erkenntnis gekommen, daß wir die Band nicht aufgeben wollen. Wir hatten das Gefühl, immer noch etwas zusammen machen zu können. Als erstes beschlossen wir, mit einem externen Produzenten zu arbeiten. Wir dachten, wenn wir einen Außenstehenden im Studio hätten, würden wir wieder zusammenfinden.

Das haben die Beatles bei ihrem letzten Album auch gedacht.

Ja. Sie haben einen Keyboarder dazugeholt, oder?

Ja, Billy Preston, und der externe Produzent war Phil Spector.

Wir haben John King von den Dust Brothers geholt. Er kam an, nachdem wir fünf Monate getrennt waren, und es war eine Katastrophe. Wir haben ihn an der kurzen Leine gehalten, so daß er seinen Job nicht richtig machen konnte. Wir hatten sehr unterschiedliche Auffassungen, und die haben nicht mit Johns Arbeitsweise zusammengepaßt, so daß wir es dann aufgegeben haben. Nichts dagegen, einen Außenstehenden hereinzubringen, um eine Band zusammenzubringen. Wir sagten uns aber, wenn wir eine gute Platte machen wollen, dann müssen wir das alleine tun.

Wenn ich mir als Europäer einen Song wie „Sex Is Not The Enemy“ anhöre, denke ich: hmm, das weiß ich doch schon. Aber in den USA ist Sex immer noch der Feind?

Ja, natürlich. Als wir das Album aufgenommen haben, habe ich in Amerika gelebt. Und mir wurde mehr und mehr bewußt, was die Bush-Regierung mit ihrer Politik bezwecken will hinsichtlich der Frauenrechte, mit der Keuschheit, die in der Schule gepredigt wird, anstatt die Kinder anständig auszubilden. Ich fand das alarmierend und bescheuert. Und der ganze Aufruhr, nachdem Janet Jacksons Brust beim Superbowl zu sehen war. Du hast gedacht, sie hat jemanden umgebracht. Das habe ich nicht verstehen können. Das hat nichts damit zu tun, daß ich Europäerin bin, jeder liberal eingestellte Mensch sollte das nicht verstehen können. Ich habe nicht verstanden, wieso es so erschreckend für die Amerikaner war, daß Janet die Brust rausgerutscht ist. Und kein Schwein hat sich dafür interessiert, daß das Land gerade dabei war, ein anderes Land anzugreifen. „Sex Is Not The Enemy“ handelt davon.

Warum reagieren die Amerikaner so stark auf so eine Lapalie?

Das hat mit dem Machtgewinn der religiösen Rechten zu tun. Die Amerikaner leben zur Zeit in einem Klima des totalen Terrors. Und da beginnen die Leute ihre Werte und ihre Moralvorstellungen zu hinterfragen. Sie werden indoktriniertzu einem Schwarzweißdenken, es gibt gute Menschen und böse Menschen und nichts dazwischen. Und wenn du ein sexueller Mensch bist, wenn du Sehnsüchte hast, wenn du der Meinung bist, daß junge Menschen sexuell aufgeklärt werden sollten, um sie zu schützen- dann bist du ein schlechter Mensch.

Magst du Amerika?

Ich liebe das Land. Aber ich kann mein Bild von Amerika nicht mit der Bush-Regierung und ihrer Politik, besonders der Außenpolitik, vereinbaren. Ich habe Angst davor, wie jeder, den ich in Amerika kenne.

Aber sie haben Bush trotzdem wiedergewählt.

Okay, er hat die Wahl gewonnen, aber trotzdem gab es Millionen von Amerikanern, die ihr Bestes getan haben, um ihn abzuwählen. Leider hat das aber nicht gereicht. Wir Europäer sind nicht in der Lage, Amerika hundertprozentig zu verstehen. Es gibt keinen freien Informationsfluß in Amerika. Wir haben eine freie Presse, die versucht, der Wächter der Kultur zu sein. Das gibt es in Amerika nicht. Die Presse tut ihren Job nicht. Den Amerikanern wird nicht die Wahrheit gesagt. Wenn du nach Amerika gehst und siehst, was da abgeht, dann verstehst du, warum die Leute nicht auf die Straße gegangen sind gegen den Krieg. Nicht deshalb, weil sie sich einen Scheiß für andere Länder interessieren, sondern weil sie nicht wissen, was los ist.

Ich war in San Francisco an dem Tag, an dem der Irak-Krieg begann. Da haben tausende von Menschen auf den Straßen protestiert, und in den Nachrichten war nichts davon zu sehen, kein einziges kritisches Wort zu hören. Stattdessen haben sie über den Krieg berichtet, als wäre er ein Funballspiel.

Und jeder Journalist, der es gewagt hat, die Wahrheit zu sagen, hat seinen Job verloren. Die Presse tut ihren Job nicht. Es ist interessant, daß eine Band wie Green Day den Job der Presse übernimmt. Es müssen Künstler ran, die die Eier haben, ihre Meinung zu sagen …

… und ihr Album AMERICAN IDIOT nennen…

… das ist wirklich mutig, wenn man sich das allgemeine Klima und die Kultur, die in Amerika zur Zeit herrschen, vor Augen hält.

Wenn ich ausgehe und sehe die 18-jährigen Mädchen, die halbnackt herumlaufen, dann denke ich mir, das hat die Emanzipation der Frau gebracht: Frauen haben jetzt die Freiheit, sich selber zum Sexobjekt zu degradieren. Vielen Dank.

Das ist ein cleverer Schachzug unserer patriarchalischen Gesellschaft. Diese Gesellschaft hat es fertiggebracht, die Frauen gehirnzuwaschen. Es wird ihnen erzählt, daß es einen Zusammenhang zwischen weiblicher Macht und Nacktsein gibt. Du hast recht, das ist der gTößte Widerspruch aller Zeiten. So wenige Frauen sind bereit, das zu hinterfragen, weil Sexyness zum ultimativen Wert stilisiert wird. Und wenn du nicht als sexy giltst, dann bist du nichts wert. Es jagen so viele diesem Traum hinterher, die attraktivste, sexieste Frauzusein. Und natürlich können sie nicht gewinnen bei diesem Spiel. Weil es immer eine schnellere, jüngere, hübschere…

… dünnere…

… dünnere Frau gibt. Es ist unmöglich, dieses Spiel zu gewinnen, und das ist auch die Idee dahinter. Ich glaube, es ist kein Zufall, daß jetzt, wo sich die Rolle der Frau im Arbeitsleben zu verändern beginnt, die Medien damit anfangen, die Frauen ihrer Machtzuberauben. Dieser Zuwachs bei Schönheitsoperationen, bei Botox und Collagen ist Wasser auf die Mühlen der Frauen, die Angst vor dem Alter haben. Aber sie können dieses Spiel nicht gewinnen, weil keiner jung bleibt. Wer dem Gedanken nachhängt, wertet sich selber ab.

Versteh mich nicht falsch, ich seh mir gerne 18jährige, halbnackte Chicks an…

…klar…

… aber ich frage mich: Warum, zum Teufel, tut ihr das?

Wenn du 18 Jahre alt bist, dann hast du von nichts eine Ahnung. Mädchen spüren den Hauch der Macht, wenn sie sich ausziehen. Sie mögen dieses Gefühl der Macht, und deshalb jagen sie ihm nach und merken nicht, daß sie am Ende ihren eigenen Käfig bauen. Versteh mich nicht falsch, ich finde, Frauen haben wunderschöne Körper, und es ist nichts falsch an einer 18jährigen, die sich zur Schau stellt. Das ist cool, das ist ihre Wahl. Was mich erschreckt ist, daß die Medien keinen Gegenentwurf dazu liefern. Aber ich glaube, daß sich das langsam ändert. Wenn ein Mann wie du soetwas bemerkt, dann zeigt das, wie extrem Sich diese Dinge entwickelt haben.

In „Bad Boyfriend“ geht’s um was ähnliches.

Ja, weil immer diese Stereotypen verbreitet werden, daß Männer sagen, wo’s langgeht, und die Frauen sich ihnen unterwerfen. Ich mag die Rolle umdrehen. Aber die Frau bei mir sagt keinem Schwächling, wo’s langgeht, sondern jemanden, der sehr stark ist. Ich mag den Gedanken einer gleichberechtigten Beziehung zwischen Mann und Frau.

Beziehungen können nur so funktionieren.

Zumindest für mich. Ich kann mit Arschlöchern umgehen, aber das Arschloch muß sich im klaren darüber sein, daß ich auch ein ziemliches Arschloch sein kann.

Du hast mit Marilyn Manson ein Cover von Human Leagues „Don’t You Want Me“ aufgenommen.

(lacht) Wir haben uns zum Abendessen getroffen und auf Anhieb gut verstanden. Er hat mich zum Lachen gebracht, er ist smart, er ist unglaublich kreativ und inspirierend. Er hat mich gefragt, ob ich was zusammen mit ihm machen will, und ich war begeistert von der Idee. So haben wir „Don’t You Want Me“ aufgenommen. Wir haben den Song aber nicht fertiggestellt, weil ich mit den Aufnahmen des Garbage-Albums beschäftigt war.

Hat er bei den Aufnahmen sein Make-up getragen?

Ja, er hat wie Daddy ausgesehen.

Wie Daddy?

Daddy Manson.

Dein Daddy?

So ähnlich. Er sah so aus, wie du es erwartest. Er ist riesig. Er ist ziemlich hübsch. Er ist sexy. Anscheinend hat er auch einen großen Schwanz.

Hast du ihn gesehen?

Nein, Jenna Jameson (amerikanische Pornodarstellerin -Anm. d. Red.) hat darüber geredet. Ich fand das interessant, (lacht) Für die Akten: Ich hab‘ seinen Schwanz nie gesehen.

Wenn du ihn darum bittest, zeigt er ihn dir bestimmt.

Ich bin mir sicher, er würde das sehr gerne tun.

Irgendwo hast du mal gesagt, daß du Paris Hilton bewunderst. Könntest du das mal erklären?

Ich würde das Wort „bewundern‘ nicht benutzen. Aber ich kann die Tatsache akzeptieren, daß sie etwas repräsentiert, das – zumindest – ehrlich ist in seiner Obszönität. Es gibt heutzutage sehr wenige Menschen, die ehrlich sein wollen darin, wer sie sind und was sie wollen, ganz besonders, wenn sie verzogene kleine Millionärstöchter sind. Paris versucht nicht, ihren Reichtum zu verheimlichen. Sie benutzt ihn, um sich die Träume eines amerikanischen Teenagers zu erfüllen. Sie ist einfach eine opportunistische Schlampe, aber wenigstens sagt sie die Wahrheit.

Kann man diese Ehrlichkeit auch Dummheit nennen?

Ich hab sie nie getroffen, ich weiß das nicht.

Hast du ihr Porno- Video gesehen?

Nein, und ich will es auch nicht sehen. Ich würde mir viel lieber Pamela Anderson ansehen, (lacht)

Okay, vielen Dank für das Gesprach.

(zögert) Hast du Paris Hiltons Porno gesehen?

Ja.

Und?

Aus Recherchezwecken.

Natürlich. Dafür habe ich volles Verständnis. Jemand hat mir erzählt, daß sie ständig in die Kamera schaut.

Es gibt nichts in dem Video, was du nicht kennst.

Das ist doch auch wunderbar an Paris Hilton, daß sie in ihrem Heimporno in die Kamera schaut.

Sie ist ein Star, sie muß in die Kamera sehen.

Ich lach mich tot.

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