FOLK AUS DER MASCHINE


FOUR TET

ROUNDS

Domino/Good To Go

Elegante Grenzüberschreitungen aus dem Geist des Sampling: Kieran Hebden gehört zu den Taufpaten der Folktronica.

Dass Kieran Hebden einmal Mitglied einer Postrockband (namens Fridge) war, ist ein paar Sequenzen des Tracks „She Moves She“ auf diesem Album aus dem Jahr 2003 anzumerken, dann fallen Gitarrenfetzen ziemlich unsanft in ein friedliches Gebimmel von Song. Das darf man als letzte Referenz an eine Ära der Destruktion verstehen, das Gros der Musik auf ROUNDS ist einem anderen Grundgedanken geschuldet: die digitale Verschränkung von einander weit entfernten Klängen aus dem Geist des Sampling. Dem HipHop entlehnte Beats, Schraffuren des Folk und Rückstände aus der Kammermusik fanden in den Stücken des Briten wunderbar organisch zusammen. Das reichte von der Piano-Etüde mit hinterherschleifenden Beats (großartig: „My Angel Rocks Back And Forth“) bis hin zum tranceartigen Hochgeschwindigkeitsgeschrammel auf der Violine, das den Track „Spirit Fingers“ bestimmt. „Folktronica“ nannte man das dann bald.

Später streckte Four Tet seine Fühler bis in Dubstep und Indie-Pop aus, arbeitete mit Burial, Thom Yorke und der Chanteuse Beth Orton (für die er den inkommensurablen Elf-Minuten-Remix von „Carmella“ anfertigte, der auf dem REMIXES-Album von 2006 zu hören ist und den man, wenn er einem auf irgendeiner Börse oder im WWW über den Weg läuft, ungehört kaufen muss). Zwischenzeitlich kam Hebden, busy as usual, auch noch den Anforderungen des Club-Betriebs mit ausformulierten Dance-Tracks nach. Aber nur für eine von ihm selbst bestimme Zeitstrecke, Four Tet ist letztendlich keiner Zeitschreibung verpflichtet, er sortiert Patterns und Samples in seiner eigenen Logik, die dann doch so ganz und gar nicht mathematische Ergebnisse zutage bringt. Manchmal eiert die Elektronik auch nur wunderschön aus. Heute, zehn Jahre weiter, hat das, was Hebden auf seinem dritten Album ROUNDS formulierte, längst einen festen Platz in der Sprache der elektronischen Begehung populärer Territorien gefunden.

„Hebdens Musik hört sich wie Folk aus der Maschine an“, urteilte ein britischer Kritiker – oder wie Maschinenmusik, hinter der ein kluger Folk-Kopf steckt, sollte man hinzufügen. Die Tracks scheinen zwischen den Texturen zu schweben, Hebdens Klangskulpturen gaben in ihrer schillernden Vielfalt einen ziemlich guten Soundtrack für ein Jahrzehnt ab, das gar nicht wusste, wohin es wollte. In den Zwischenräumen und Unwägbarkeiten, den Grauzonen und Unsicherheiten hat der Londoner Laptop-Musiker ein weites Spielfeld eröffnet, auf dem die Musik sich ständig neue Wege bahnte, sie zog uns durch Jazz-Landschaften, in die ambienten Areale von Flughäfen und gab am Rande einen kurzen Blick auf die losen Enden frei, die der alte Affe Rock offenbarte. Am besten alles in einem Track. Einen talentierteren Grenzgänger als Four Tet haben die Nullerjahre nicht gesehen.

Wie weit eine Melodie den Laptop-Pop des noch frühen Jahrzehnts tragen konnte, demonstriert Hebden in dem neunminütigen hypnotischen Track „Unspoken“. Four Tet entwickelt über temporeduzierten Big Beats eine Ode an die Melancholie, die keine Worte braucht, weil sie schon tausend Mal gesagt wurden. „Unspoken“ ist eine im Grunde ganz einfach gebaute Pianorock-Ballade, die von der Elektronik und ein paar kurz eingesampelten Free-Jazz-Bläsern nach ein paar Minuten in die bodenlose Welt der digitalen Klangerzeugung geschoben wird, nur um zum Schluss wieder zum großen, überwältigenden Grundthema zurückzukehren. So nach dem Motto: Kinder, es ist alles gut, der Blues ist noch mit uns. Er hat nur ein paar Knackser bekommen.

Aus den Aufnahmen Hebdens ist auch der Record Collector herauszuhören, der uns von den Sounds erzählen möchte, die sein Leben verändert haben, die er zum Beispiel auf dem Album JOURNEY IN SACHITANANDA von Alice Coltrane entdeckte. Die Neugierde ist so groß, dass er unverhältnismäßig viel und schnell Platten kauft, erzählt Hebden in Interviews. „Wenn ich ein Album in Händen halte, das ich nie vorher gesehen habe, ist das Grund genug, es besitzen zu wollen.“ Wenn uns ein Track von Hebden im Internet unterkommt, den wir nicht kennen, sollte das für einen Klick reichen. Es könnte immerhin der Track des Jahres sein.

Mit dieser Wiederveröffentlichung (ergänzt um ein Live-Set aus Kopenhagen) würdigt das Domino-Label einen Pionier der Überschreitungen. Die Eleganz, mit der Four Tet hier zwischen den Stilen und Szenen vermittelt, macht ROUNDS zu einem Klassiker weit über Genregrenzen hinaus.

*****1/2 Frank Sawatzki

Four Tet

Kieran Hebden (geb. 1977 in Putney/London). Mit 15 gründet er die Band Fridge. 1999 erste Veröffentlichung als Four Tet (die 36-Minuten-Single „Thirtysixtwentyfive“). Das Gros seiner frühen Tracks entsteht am Computer in seiner Wohnung in Camden.

Beeinflusst von: Sun Ra, Pharoah Sanders, Alice Coltrane, Can, Sonic Youth, DJ Shadow, Tortoise, Aphex Twin, Madlib, Oldschool Techno, Psych Folk, Minimalism.

Beeinflusste: Thom Yorke, Bonobo, Pole, Steve Reid, Prefuse 73, Battles, The xx und eine Reihe von Musikern in den Grenzbereichen von Folk und Elektronik.