Kommentar

Grönemeyer und die Gang Of Four: Tut es lieber Mark Hollis nach!


Abbestellt und nicht Bescheid gesagt: Wie eine Postpunk-Ikone in einem nostalgischen Hotelzimmer zu Bruch geht – oder: Warum nimmt sich denn keiner an Mark Hollis ein Beispiel? Ein Kommentar zum neuen Video der Gang of Four und Herbert Grönemeyer.

Eigentlich hatte unser Autor Frank Sawatzki in seiner Besprechung zu WHAT HAPPENS NEXT?, dem neunten Album der englischen Band Gang Of Four, schon alles gesagt. Sein Fazit lautete, stark vereinfacht: Inhalt agitpunkig hui, musikalisch pfui. Doch nachdem Gang Of Four jetzt auch noch ihren Song „Staubkorn“ mit dem Gastgesang von Herbert Grönemeyer ausgekoppelt und dazu ein Video ins Netz gestellt haben, das für viel mehr Aufmerksamkeit sorgen wird als der Release ihres Albums im Februar, müssen wir doch mal noch ein paar Zeilen nachschieben. Und ja, es wird das alte Gemecker sein über Musiker, die ihren Biss verloren haben und besser früher schon aufgehört hätten, und was sie stattdessen hätten machen sollen ist uns doch egal, wir sind ja schließlich Musikjournalisten und arbeiten nicht im Jobcenter hier.

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Gang Of Four jedenfalls waren vor zehn Jahren noch das große Vorbild – für einen Großteil der „England brennt!“-Bands wie Franz Ferdinand oder The Futureheads und für zahlreiche Discopunk-Kapellen vor allem aus den USA obendrein. Manche der jungen Wilden kopierten sie fast eins zu eins. Gang Of Four nutzten damals den Moment, kamen in alter Besetzung wieder zusammen, spielten sogar ihre Klassiker aus der zweiten Hälfte der Siebziger neu ein und gaben sie aktuellen Acts wie Yeah Yeah Yeahs oder Ladytron zum Remixen (RETURN THE GIFT, 2005). Und selbst das überstanden Band und Songs weitgehend unbeschadet. Wie streitbar die Band außerdem geblieben war, zeigte sich in Interviews wie mit dem Musikexpress im November 2005, in dem Gang-Leader Andy Gill feststellte: „Viele neue, junge Bands, die sagen, sie seien von uns beeinflusst, gefallen mir ausgezeichnet. Aber ich kann mich nicht des Gefühls erwehren, dass das alles erst richtig spannend würde, wenn sich die Bands auch textlich etwas mehr abverlangen würden.“

 Zehn Jahre später sind wir jedoch an einem Punkt angelangt, an dem Andy Gill mit wieder umbesetzter Gang dunkel pluckernde, warm-weiche Nachtportier-Musik aufnimmt, zu der Gills alter Kumpel Herbi bedeutungsvoll ein paar Vokale eines holprigen Metapherntextes über Vergangenes und Versäumtes dehnt. Im Video sitzen und stehen die Männer in einem rötlich unterbeleuchteten Nostalgie-Hotelzimmer herum. Bestellt und nicht abgeholt. Oder vielleicht schlimmer noch: abbestellt und nicht Bescheid gesagt. Zu müde, sich mehr abzuverlangen als Musik aufzunehmen, die nichts als müde macht? Warum nur tut es kaum einer der angezählten Rocker dem großen Mark Hollis nach? Wenn er Musik machen möchte, macht er Musik. Und wenn er müde ist, legt er sich hin. Aber beides geschieht hinter irgendeiner verschlossenen Tür irgendwo in England.

(Schauen Sie gerne auch nächste Woche wieder herein, wenn wir uns die Frage stellen: Und für Musikjournalisten im mittleren Alter gilt das alles nicht, oder was?)