Interview

Haftbefehl und Xatar: „Wer das nicht fühlt, der soll sich in den Arsch ficken!“


Seit Jahren wollten die Rapper Haftbefehl und Xatar ein gemeinsames Album aufnehmen. Doch Solo-Projekte und ein paar Jahre Knast kamen dazwischen. Am 12. August erscheint nun DER HOLLAND JOB, was von den Rappern selbst zur Krönungsmesse inszeniert wird.

Ein Hotelzimmer in Westberlin ist der Ort, an dem wir mit zwei der größten deutschen Gangster-Rappern verabredet sind. An der Wand hängt unheimlich hässliche zeitgenössische Kunst, auf der Couch hängen Aykut Anhan und Giwar Hajabi alias Haftbefehl und Xatar ab. Promotage können lang sein und so liegt Xatar am frühen Abend ohne Schuhe da, während Haftbefehl im FC Bayern-Trainingsanzug auf der anderen Seite des Sofas sitzt und raucht. Zeit, um zu klären, was die beiden Deutschrap-Giganten zur Zusammenarbeit an ihrem ersten gemeinsamen Album DER HOLLAND JOB bewogen hat.

Musikexpress: Als Collabo nennt ihr euch Coup. Wie entstand die Idee, euch für ein Album zusammenzutun?

Xatar: Kennengelernt haben wir uns 2008. Ich hab ihn damals schon hart gefeiert. Er hatte gerade ein paar seiner ersten Sachen draußen, noch bevor er 2010 sein Debüt AZZLACK STEREOTYP brachte. Ich hatte mein eigenes erstes Album veröffentlicht (ALLES ODER NIX, 2008), und auch er mochte meine Sachen. Wir haben dann direkt ein paar Sessions zusammen gemacht. Dadurch entstand die Idee, zusammen ein Album zu machen.

Haftbefehl: Dann wollten wir 2009 eigentlich angehen, unsere Musik zusammen zu bringen auf einem Album.

Aber bei dir, Xatar, kam der Knast dazwischen.

Xatar: Exakt. Ich war dadurch zwangsläufig erst einmal raus und Aykut hatte seine eigenen Kopfschmerzen. Aber für uns beide stand fest, dass, wenn überhaupt, nur wir beide eine Collabo machen würden. 2012 sah es kurz danach aus, dass ich vorzeitig aus der Haft entlassen würde. Da hatten wir schon direkt geplant, unsere Idee wieder in Angriff zu nehmen. Aber das Verfahren platzte, so verzögerte sich alles. Als ich 2014 dann raus kam, haben wir sofort wieder an Songs gearbeitet, mit Labels gesprochen, das Projekt vorangetrieben.

„Wenn zwei Künstler wie wir zusammen kommen, die hauptsächlich Knaller machen, dann liegt es nahe, dass wir über Geld rappen.“ – Haftbefehl

Auf dem Album rappt ihr über Kohle, Batzen, Cash, Fuffies, lila Scheine. Wieso ist euch Materielles immer noch so verdammt wichtig, dass ihr dem Thema quasi ein ganzes Album widmet?

Haftbefehl: Wenn zwei Künstler wie wir zusammen kommen, die hauptsächlich Knaller machen, dann liegt es nahe, dass wir über Geld rappen. Darüber, der Beste im Game zu sein, was wiederum immer auch mit Kohle zusammenhängt.

Ihr scheint bei Features sehr wählerisch zu sein. Man hört beim HOLLAND JOB nur zwei andere Künstlerinnen: die Rap-Neuentdeckung Haiyti aka Robbery und Joy Denalane. Wie kam es zu dieser Auswahl?

Haftbefehl: Ein Collabo-Album an sich ist ja immer schon ein Feature-Album. Auf jedem Song sind ja standardmäßig immer zwei Leute drauf zu hören, wen willst du also noch dazu holen? Wir hätten sicher jeden haben können, aber wir haben geguckt, wer für Hooks und Bridges gut passt.

Xatar: Deshalb stutzt man vielleicht kurz, wenn man diese Namen liest, weil das ja schon außergewöhnliche Frauenstimmen sind. Aber das war das Einzige, das gepasst hat.

Wie kamt ihr auf Haiyti aka Robbery?

Haftbefehl: Ich hatte sie gar nicht so auf dem Schirm, bis Farhot (Anm. d. Red.: Haftbefehls Produzent, Kabul Fire) uns im Studio in Hamburg Musik von ihr gezeigt hat.

Haftbefehl: „Ich würde den Song wahrscheinlich anders aufbauen, wenn ich den alleine gemacht hätte. Nicht böse sein, Bruder!“
Haftbefehl: „Ich würde den Song wahrscheinlich anders aufbauen, wenn ich den alleine gemacht hätte. Nicht böse sein, Bruder!“

Xatar: Wir wussten, dass wir für „Gib Geld“ eine Frau auf der Hook haben wollten. Ich habe aber erst gar nicht gerafft, wie sie zu unserem Sound passen könnte. Dann hat Farhot ihre Nummer besorgt, sie angerufen und dann kam sie dazu. Im Studio hat sie dann direkt auf den Beat losgerappt, das war richtig gut und wir wussten direkt, dass wir die besten Parts von ihr nehmen würden.

Haftbefehl: Ich feiere sie extrem! Das ist etwas ganz Neues, dass es so in Deutschland noch nicht gibt und wir finden das richtig spannend, sie hat Eier (lacht).

Hört ihr denn allgemein Musik aus dieser Deutsch-Trap/Cloud-Rap-Ecke? Es gibt ja zum Beispiel das Live-From-Earth-Kollektiv mit Yung Hurn. Feiert ihr das auch?



Haftbefehl: Ja, man, Yung Hurn ist der Hammer! Wir haben auch einen Song von ihm als einzigen externen Song auf unserem Film (Anm. d. Red.: Coup haben zu ihrem Album einen Begleitfilm gedreht) drauf. Da sieht man uns, wie wir seinen Song „Bianco“ hören. Der Regisseur hat einfach draufgehalten, als wir seine Mucke angehört haben und wir haben die Szene drin gelassen.

Was inspiriert euch denn an Einflüssen?

Xatar: Heutzutage gibt es eine derart große Vielfalt an Rap-Musik, die man dank Internet und soziale Medien ja quasi komplett mitbekommen kann. Aber um rauszustechen braucht es eine gewisse Attitude, die mich dann auch am meisten fasziniert. Techniken rücken dabei mehr in den Hintergrund, aber die Art eines Künstlers bleibt bei mir zumindest hängen. Seit ich aus dem Knast draußen bin, bekomme ich so etwas ja auch viel bewusster mit. Dort war nicht viel mit neuer Mucke auschecken.

Hast du eigentlich jemals vor anderen Insassen im Knast gerappt, als du die Songs für dein Album NR. 415 geschrieben hast?


Xatar: Nein, das ergab sich nie und auf dem Hofgang fängst du nicht einfach so an zu rappen, das wäre sicher falsch verstanden worden (lacht dreckig).

Wie lief das genau ab, als ihr im Studio wart? Wo ergänzt ihr euch perfekt und wo habt ihr am längsten drüber diskutieren müssen?

Xatar: Wir hatten beispielsweise Songs, bei denen wir uns wegen der Beats nicht einig waren. Die sind am Ende nicht auf das Album gekommen. Genau so gab es Parts von ihm, die ich gefeiert hab, aber er fand sie scheiße. Und umgekehrt. Da wurde dann diskutiert.

Haftbefehl: Aber egal wie viel wir uns auch bei manchen Themen gestritten haben, uns war letztlich die Roughness des Albums am Wichtigsten. Wenn die Leute Parts von Xatar auf diesem Album hören, werden sie an seine alten Sachen denken. Und genau so werden sie bei mir an mein erstes Album denken.

Als ersten Song habt ihr den Themensong „AFD“ rausgebracht. Darin geht es um das allgegenwärtige Thema Flüchtlinge. Ihr habt selbst Wurzeln in anderen Ländern, wie wichtig ist euch das Thema?

Xatar: Für uns war das Thema zeitlebens schon allgegenwärtig. Wir wussten auch, dass die Leute den Song als ersten Song des Albums vielleicht nicht erwarten würden. Aber die ganzen „Auf die Fresse“-Songs gibt’s später noch. Also haben wir den einfach rausgehauen, ohne richtiges Video, ohne große Ankündigung. Und wer das nicht fühlt, der soll sich in den Arsch ficken!

Haftbefehl: Am Ende ist es aber auch schlichtweg das Outro des Albums. Das darf man auch nicht vergessen. Und die letzten Songs des Albums sind zum Runterkommen gedacht. Am Anfang gibt’s nur auf die Fresse, danach geht es ein bisschen ruhiger zu. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Von allen Songs auf dem Album ist „AFD“ der, den ich am meisten hasse.

Weswegen denn genau?

Haftbefehl: Mir geht es jetzt nicht um das Thema, als Themensong und Outro ist der Song gut. Aber ich würde den Song wahrscheinlich anders aufbauen, wenn ich den alleine gemacht hätte. Nicht böse sein, Bruder!

Xatar: Das ist doch dein Song, du hast den ja quasi alleine gemacht! Es war dein Konzept, ich habe nur meinen Part dazu beigetragen.

Haftbefehl: Wie gesagt, als Outro finde ich den geil. Aber es ist irgendwie trotzdem nicht ganz mein Song.

„Deutschland ist ein Dritte-Welt-Land in Sachen Film“ – Xatar

Ihr habt zusätzlich zum Album selbst ja auch einen Film gemacht. Wieso?

Xatar: Wir haben uns an den großartigen Filmen „Zwei außer Rand und Band“, „Vier Fäuste für ein Halleluja“ und „Bad Boys“ orientiert. Gangstermäßig, richtig krass! Es gibt im Genre HipHop schon sehr geile Videos. SSIOs Videos sind der Hammer, Haftbefehl selbst hat schon einige krasse Dinger rausgehauen. Aber wenn du in der Champions League spielen willst, ist ein echter Film wohl das beste Mittel, um alles Vorherige zu zermalmen. Und Deutschland ist ein Dritte-Welt-Land in Sachen Film. Wir haben mit so vielen Produktionsfirmen geredet, denen wir unsere Ideen erklärt haben. Aber am Ende haben wir eine Connection zu einem Hollywood-Regisseur genutzt und Sony hat sich auch krass aus dem Fenster gelehnt in Sachen Budget. Das Ergebnis gibt uns Recht. Das was wir da jetzt gemacht haben, hat es qualitativ so hierzulande noch nicht gegeben.

Wie lange geht der Film?

Xatar: Insgesamt dauert er 30 Minuten, ist aber in drei Teile aufgeteilt, die jeweils zehn Minuten lang gehen und Songs enthalten.

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Wie ordnet ihr den Stellenwert dieser Platte für Deutschrap und euch selbst ein?

Xatar: Ich sage es dir ganz ehrlich, ich finde das ist das Beste, das wir bisher gemacht haben.

Haftbefehl: Wenn man sieht, wo ich vor einem halben Jahr mit meinem UNZENSIERT-Mixtape noch war, ist der Sound dieser Platte umso krasser. UNZENSIERT war blanker Psychoterror, der Soundtrack wie zu einem Horrorfilm. Deepe Parts, krasse Aussagen, aber Kopfgeficke.

Xatar: Bruder, das war deine geilste Platte, die du bisher gemacht hast, im Ernst!

Haftbefehl: Vielleicht war sie zu geil, die Leute verstehen so etwas nicht zwangsläufig, es deprimiert sie vielleicht zu sehr.

Xatar: Ach, die Leute wollen McDonald’s und Yeezys tragen, und kein Kopfgeficke bei der Musik. Aber nicht mit uns, Bruder!

Haftbefehl: Um deine Frage noch zu beantworten: Ich glaube auch, dass uns die Platte gelungen ist. Wir haben sie relativ schnell in acht Monaten gemacht. Farhot und Benny haben uns als Produzenten extrem voran gebracht. Am Anfang hatten wir echt Probleme bei der Beatfindung, aber sie haben unsere Idee vom richtigen Sound dieser Platte perfekt verstanden und umgesetzt. Ihr werdet sehen: Das Album killt alles!

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