Interview

„Hardcore“-Regisseur Naishuller: „Ich liebe Gewalt in Spielen, Büchern, Filmen“


Im Interview mit ME.Movies erklärt „Hardcore“-Regisseur Ilya Naishuller, warum sein Film zwar blutig, aber nicht bösartig ist.

Am Donnerstag startet „Hardcore“, eine amerikanisch-russische Koproduktion, in den deutschen Kinos. Unser Filmkritiker Chris Weiß bezeichnet den Film als „Smack My Bitch Up“ auf Crystal Meth. Die 90 Minuten, in denen Protagonist Henry ausschließlich in der Ego-Perspektive durch Moskau hetzt, sind rasant, spannend und teilweise sogar komisch. Primär sind sie aber unfassbar brutal und blutig.

Abgerissene Köpfe, aufgeschnittene Oberkörper und Opening Credits an der absoluten Schmerzgrenze überdecken fast die technische Brillanz, mit der Ilya Naishuller nun seinen internationalen Durchbruch feiert. Im Interview spricht der junge Russe über den Zusammenhang von realer und fiktiver Gewalt und erklärt, wie ein Moskauer Polizist den Filmdreh versauen wollte.

ME.Movies: Gratulation zu diesem besonderen Film. Wir sind jetzt aber auch leicht verstört…

Ilya Naishuller: Das ist gut. Sehr gut sogar.

Es ist schon irgendwie ein Gewaltporno geworden, oder?

Durchbruch mit Ego-Perspektive und Gewalt: Ilya Naishuller
Durchbruch mit Ego-Perspektive und Gewalt: Ilya Naishuller

Ich würde es eher als Actionporno bezeichnen. Der Film ist niemals düster, er soll zu jeder Zeit Spaß machen und versucht erst gar nicht real zu wirken. Er ist nicht böse und auch nicht voller Hass. Klar, es fließt viel Blut, aber eher so wie in Comics. Niemand soll nach dem Abspann das Gefühl haben, dass er jetzt eine Dusche braucht.

Naja. Nach den Opening Credits wollte ich schon ganz gern unter die Dusche. Das Messer, das in Superzeitlupe in den Hals gerammt wird…

Wenn du das so empfunden hast, dann ist das eben so.

Was war denn der erste Ansatz für „Hardcore“? Sollte es ein Film aus der Ego-Perspektive sein oder einfach nur ein besonders gewalttätiger Film?

Alles begann mit der Ego-Perspektive. Ich wollte einen Film machen, den es so zuvor noch nie gegeben hat. Zwar gibt es einen Film aus dem Jahr 1947, aber eben noch keinen richtigen Ego-Actionfilm. Der dazu noch eine nachvollziehbare Geschichte erzählt, auch wenn sie relativ simpel ist. Und bei der sich der Zuschauer im besten Fall wie unser Held Henry fühlt.

Hinter dem Dreh in der Ego-Perspektive steckt viel Aufwand, geschickte Schnitte teleportieren Henry beziehungsweise den Zuschauer quasi in Sekundenschnelle durch ganz Moskau. Wäre es nicht schade, wenn diese Feinheiten überhaupt keine Beachtung mehr finden, weil fast nur die brutalen Bilder hängenbleiben?

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Es ist egal, ob die Leute die Arbeit wertschätzen, die hinter dem Film steht. Es geht nicht darum, meine technischen Fähigkeiten zu zeigen. Wir haben den Film nur gedreht, damit die Leute für 90 Minuten eine gute Zeit haben. Und unser Film weiß selbst, was er ist – eine Action-Comedy mit einer sehr simplen Geschichte: Ein Junge rettet ein Mädchen und tötet dabei viele Menschen.

Stehst du im wahren Leben auch auf Gewalt?

Ich liebe Gewalt in Spielen, Büchern, Filmen – als Unterhaltung eben. Im wahren Leben kann ich sie nicht ausstehen. Ich hatte in meinem Leben zum Glück nur zwei Schlägereien, von denen ich keine angefangen, eine aber immerhin bis zum Ende durchgestanden habe. Leute, die ihre Probleme durch Schläge klären wollen, sind ziemlich dumm.

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Ich kann übrigens auch kein Blut sehen. Für eine Szene in „Hardcore“ musste ich ein passendes Messer für den Bösewicht Akan auswählen. Die Requisite brachte mir 20 verschiedene Messer zum Auswählen. Als begann also mit ihnen rumzuspielen und jagte mit ein Schnappmesser in meine eigene Hand. Das Set war zwar schon voller Kunstblut, aber beim Anblick des echten wurde mir dann tatsächlich übel.

Ein Pazifist dreht also einen der brutalsten Filme des Jahres.

Ohne GoPro-Kameras wäre der „Hardcore“-Dreh unmöglich gewesen.
Ohne GoPro-Kameras wäre der „Hardcore“-Dreh unmöglich gewesen.

Beim Dreh bin ich tatsächlich einmal ausgeflippt. In einer Szene auf einer großen Straße kam ein Polizist und wollte etwas Bestechungsgeld von uns haben. Dafür, dass er die Straße sperrt. Wir hatten alle Genehmigungen und notwendigen Dokumente von offizieller Seite dabei – wir haben zwar nicht mit Fördergeld von der russischen Regierung gedreht, hatten aber trotzdem alle Unterlagen. Der Polizist hat aber einfach weiter nach Geld gefragt und damit gedroht, die Straße wieder zu öffnen. Da bin ich dann ausgeflippt, habe einen Teil von unserer Absperrung gegen sein Polizeiauto gekickt. Ich habe ihn angeschrien ‘Dann nimm mich jetzt sofort fest oder verpiss dich. Du verschwendest hier nur unsere Zeit‘. Er ist dann zum Glück abgehauen und kam nicht mehr wieder.

Der Film fühlt sich ja wie ein Videospiel an. Wäre er vor zehn Jahren überhaupt denkbar gewesen? In Deutschland hatten wir da eine Debatte über sogenannte Killerspiele. 

Verstehe. Aber es gab schon immer gewalttätige Filme, man muss nur an „The Wild Bunch“ zurückdenken. Ich glaube nicht, dass es eine Verbindung zwischen Videospielen und echter Gewalt gibt. Erinnerst du dich an den Typen der John Lennon erschossen hat? Er sagte, dass J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ ihm gesagt habe, dass er es tun sollte. Leute machen dummen Scheiß, was auch immer sie dazu bringen mag. Das könnte ein Spiel, ein Buch oder ein Glas Wasser sein.

Den 16-jährigen Jungen, der sich von Gewalt in der Popkultur zu ISIS-Enthauptungsvideos durchklickt, kannst du dir nicht vorstellen?

Ich denke nicht, dass das so passiert. Weißt du, ich mag fiktive Gewalt. Aber als das erste ISIS-Video mit einer Enthauptung herauskam, sah ich nur die Machete am Hals und dachte mir ‚Scheiße, ich bin raus!‘. Weil echte Gewalt ein Zeichen von Dummheit ist. Ich denke die Leute, auch die jungen, können immer noch den Unterschied zwischen realer und fiktiver Gewalt unterscheiden. Am Ende mit dem Finger auf Videospiele oder Filme zu zeigen ist einfach nur Bullshit. Die meisten Leute haben einen korrekten moralischen Kompass und bei einigen spielt er leider einfach verrückt.

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