Heldentaten


Judith Holofernes und ihre Jungs sagen, was sie sind: "Wir sind Helden" nennen sie ihre Band und machen sich nun daran, mit fröhlichem "Synthie-PunkPop" die Republik zu erobern. Ortstermin auf einer Ameisenstraße.

Normalerweise sagt man, die Zeit heile alle Wunden. Normalerweise wünscht man sich, dieser Kelch möge an einem vorübergehen. Judith Holofernes singt Sachen wie „Die Zeit heilt alle Wunder“ und sagt über Männer Sachen wie „Lass diesen Knilch an mir vorübergehen“. Judith Holofernes hat sympathisch-schmutzige Fingernägel und ist ein Weib, kein Girlie. Judith Holofernes ist eine Heldin. „Wir sind Helden“ nämlich nennt sich eine Gruppe, die in der Szene herumgereicht wird wie Virginia Jetzt!, Mia, Britta oder 2raumwohnung. In der hauptstädtischen Szene heißt es nicht „Ey, haste ‚Wir sind Helden‘ schon gehört?“, sondern „Ey, haste die Helden schon gehört?“. Ein gutes Zeichen.

Wir wollen die Helden in einer Kneipe mit dem kryptischen Namen „San Remo Upflamör“ treffen, direkt an der Spree. Aber erstmal kann man den Helden beim Einparken ihres schmutzigweißen VW-Kombi-Heldenmobils zuschauen. Oder war’s ein Opel? „Wir sind viel unterwegs, weil wir fast alle noch in verschiedenen Städten leben“, sagt Bassist Mark Tavassol, als endlich ein Parkplatz gefunden ist. Jahrelang habe man, wie es sich für gute Beziehungskisten gehört, eine Fernbeziehung geführt. Hannover, Hamburg, Berlin: „Die Fahrten zahlen wir aus der Bandkasse.“

Die scheint sich stetig zu füllen: „Guten Tag“ war eine beachtete Single, „Müssen nur wollen“ sogar eine beachtliche, und alle Dämme werden brechen, wenn erst die komplette „Reklamation“ in den Läden liegt – denn das Album hält, was die Auskopplungen versprechen. Gegenwärtig diskutieren Judith, Pola Roy, Jean-Michel Tourette und Mark Tavassol noch angeregt darüber, was die nächste Single werden soll: „Vielleicht ‚Rüssel an Schwanz'“, sagt Judith und meint, das sei aber vom Text her vielleicht nicht so ideal. Man wird sich wohl auf „Denkmal“ einigen, sagt Roy: „Eigentlich mein Lieblingstrack“. „Ja“, seufzt Judith, „eigentlich der Lieblingstrack von so ziemlich allen.“

Außerdem ist es auch vom Text her ideal, wie überhaupt die Helden ihre Musik von den Texten her definieren. Kostprobe gefällig? „Hol den Vorschlaghammer/Sie haben uns ein Denkmal gebaut/ Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut“, singt Frau Holofernes mit entschlossener Zerstörungswut in der Stimme: „Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagier’n/Sie sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmier’n“. Andererseits sind Holofernes‘ Texte von einem metaphorischen Reichtum, der manche Hörer offenbar überfordert: „Kürzlich wollte jemand wissen, ob wir von Obi gesponsort sind“, erzählt Judith: „Weil so viele Heimwerkergeräte auf der Platte vorkommen – Schlagbohrer, Vorschlaghammer, Presslufthammer. Die Liebe und der Zorn in unseren Texten sind schon ziemlich ernsthaft. Es gibt aber auch Leute, die finden uns zu albern“ Und zu deutsch? „Quatsch“, meint Judith: „Beim Songwriting ist mein Anspruch, präzise möglichst genau das zu sagen, was ich sagen will. Also ist es nahe liegend, das in der eigenen Sprache zu machen.“ Mark Tavassol kichert in sich hinein und fügt hinzu: „Sag doch mal auf Englisch: ‚Man unkt‘!“ Um dann, im allgemeinen Gegacker, doch noch klarzustellen: „Wir wollen Probleme des Alltags nehmen und in unseren Texten transzendieren.“ Transzendenz ist ein gutes Stichwort, denn trotz der schwierigen Themen sind die Helden frei von jeder weinerlichen Larmoyanz, an denen Gruppen wie Kettcar oder Tocotronic bisweilen kranken. Nein, die Helden klingen ein bisschen so, als würde dir die Frau, die du liebst, lachend eine Ohrfeige verpassen.

Ernst ist es ihnen auch mit dem Namen, der ironisch daherkommt – und dann doch Widerhaken und Stacheln ausfährt: „Natürlich ist es Ironie, aber auch Unverschämtheit und Romantik“, erklärt Judith: „Helden haben wir uns immer anders vorgestellt als die Helden, die immer damit hausieren gehen. Auch keine Leute, die irgendjemanden wegen irgendwas totmachen“, sagt sie – und hält plötzlich inne, weil eine Ameise über den Tisch läuft, direkt neben ihrer Teetasse. Natürlich denkt sie nicht daran, das Tierchen totzumachen. Kollege Roy will die Frage „nicht überbeantworten“, aber doch präzisieren: „Held ist ein sehr amerikanischer Begriff, den ich zumindest fragwürdig finde. Und es macht Spaß, ihn zu korrumpieren“. Das leuchtet ein, schließlich wollen die Helden mit ihrem „SynthiePunkPop“ (Eigendefinition) alles andere als nur gut unterhalten. Dazu sind sie zu schlau. Frau Holofernes ist es sichtlich peinlich, darüber zu sprechen, aber sie hat mal „alibimäßig studiert. Ich habe mich für Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation eingeschrieben, weil ich dachte, es läuft auf Journalismus raus. Ist aber nur Werbung. Kein seelenförderliches Umfeld.“ Also tauschte sie allmählich den Campus gegen Kleinkunstbühnen, nur Judith mit ihrer Gitarre. Die Texte? Lagen auf der Hand, hat sie doch eine Abschlussarbeit über Werbekritik und Konsumsatire geschrieben. Wieder spaziert eine einsame Ameise unbehelligt über die Tischplatte, langsam, von rechts nach links, als ob nix war. Worum ging’s nochmal? Ach ja, Konsumkritik. Wie heißt es doch in „Guten Tag“? „Meine Stimme gegen euer Mobiltelefon/Meine Fäuste gegen eure Nagelpflegelotion /Meine Zähne gegen die von Doktor Best und sei’m Sohn.“ Genau. Nicht Rüssel an Schwanz mitlaufen in der Elefantenherde, sondern abweichen, opponieren, aufbegehren. Das ist also der Punk im „SynthiePunkPop“. Die Stimme kann es jedenfalls nicht sein: Holofernes singt so dicht, so präzise, herzvoll und differenziert an ihren Texten entlang, wie es nur jemand kann, der das Gesungene nicht nur geschrieben, sondern auch gefühlt hat. Die Musik jedenfalls kann es auch nicht sein, denn die beschränkt sich keineswegs auf drei stumpfe Akkorde und effektvolle Schlichtheit. Stattdessen zirpt und groovt es allerliebst. Warum?

Darüber hat sich vor allem Mark schon so seine Gedanken gemacht: „Wir sind Autodidakten und haben uns selbst schon gefragt, warum unsere Musik so klingt, wie sie klingt. Es ist wohl eine Verschraubung von Indie- und Rockbasis, zusammen mit Jean-Michels komischen Keyboardklängen. Da kommen ganz merkwürdige Sachen raus.“ Pola Roy sagt: „Ideal ist ’ne tolle Band, weil die so anarchisch waren. Wo ich aber keine Lust hätte, mir das die ganze Zeit zuhause anzuhören.“ Mark Tavassol widerspricht milde: „Im Auto habe ich das schon gemacht. Ich hatte da eine Kassette von Ideal, auf der anderen Seite war Ziggy Stardust. Vielleicht war das die Initialzündung … – Moment mal!“ Er fixiert die Tischplatte, wo drei Ameisen Rüssel an Schwanz Richtung Aschenbecher trotten: „Leute, wir haben hier ’ne Ameisenstraße!“, sagt er und wischt die Insekten mit einer raschen Bewegung zu Boden. Judith schweigt. Wahrscheinlich schreibt sie demnächst einen Song über Geisterfahrer auf der Ameisenstraße. Und wir werden ihn lieben.

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