Hurts


„Wir sind nicht mehr die ganze Zeit schlecht gelaunt“

Wie soll es aussehen, das Leben nach dem Superhit? Hurts bemühen sich auf ihrem Zweitling Exile um das scheinbar Unmögliche: die Sicherung der Charaktermerkmale des Debüts und eine behutsame Weiterentwicklung ihres Klangkosmos.

Hurts war eine der Pop-Überraschungen des Jahres 2010 – zwei Burschen, die sich gaben, als seien sie einer Benimmzeitschrift der 50er-Jahre entstiegen und dabei mit dem Wissen über all die 80er-Jahre-Hits ausgerüstet. Depeche Mode, Tears for Fears und die Pet Shop Boys wirkten in diesem Kosmos nach, der besonders den deutschen Hörern gefiel. Das Rezept von Theo Hutchcraft (26) und Adam Anderson (28): Sie jazzten Synthesizer-Balladen zu monumentalen Schmalzfetzen hoch. „Wonderful Life“ stieg zum Soundtrack aller Falschverstandenen und Verstoßenen auf, es war das Lied, zu dem es sich lohnte, wie ein Schlosshund zu heulen.

Es gibt Anekdoten über Hurts, die ihre englische Herkunft unterstreichen. Dass die gebürtigen Mancunians im Plattenvertrag festschreiben ließen, einen Kamm, einen Regenschirm und Manchester-United-Tickets zusätzlich zum Vorschuss zu erhalten. Dass Sänger Theo stets im Anzug aus dem Haus geht. Dass Keyboarder Adam die Windhundrennen im Belle-Vue-Stadion filmte. Dass sie sich vor einem Club in Manchester kennenlernten, als ihre Freunde sich prügelten. Dass sie dann lieber über Prince und Michael Jackson diskutierten, als die Fäuste zu schwingen.

Im März kommt nun das schwierige zweite Album Exile. In Berlin reden sie zum ersten Mal darüber. Beide tragen ihre Lieblingsuniform: schwarz zu schwarz. Ihr Haar ist akkurat geschniegelt, Theo Hutchcraft trägt weiterhin einen Ohrring links, Adam Anderson wühlt sich durch die Teebeutel der Minibar und bestellt aus der Küche einen English Breakfast Tea. „Es ist gut, wieder hier zu sein“, sagt er. In Berlin begann schließlich die seltsame Liebesbeziehung zwischen Hurts und Deutschland.

Erinnern Sie sich noch an den 22. Januar 2010?

Theo Hutchcraft: Oh ja, ein wichtiges Datum für Hurts. Wir haben zum ersten Mal live gespielt, auf der Michalsky Style Nite in Berlin. Großartig war es!

Sie haben drei Lieder nach der Modenschau auf einem Balkon im Foyer des Friedrichstadtpalastes gespielt – eine Klangtapete für all die Menschen, die mit Wodkagläsern anstießen. War das nicht eher undankbar?

Theo: Gut, es war nicht der Gig, den man sich als ersten für seine Band ausmalt. Aber wir wussten vorher, dass es schwer sein wird, auf einer Modeveranstaltung zu spielen. Das Publikum ist dafür berüchtigt, sich nicht beeindrucken zu lassen. Trotzdem war es gut, weil uns viele Menschen gesehen haben. Wir wurden ins kalte Wasser gestoßen und haben überlebt. Im Nachhinein sagt das doch viel über unsere Laufbahn aus, dass unser erster Auftritt als Hurts in Deutschland und nicht in Großbritannien stattfand.

Ein gutes Omen war es. Mit dem Debüt Happiness blieben Sie 64 Wochen lang in den deutschen Charts, die Single „Wonderful Life“ stand wochenlang auf dem zweiten Platz.

Theo: Dabei hatten wir davor überhaupt keine Ahnung, was Deutschland ausmacht. Wir waren nur einmal kurz vorher in Berlin.

Welches Image hatten Sie von Berlin?

Adam Anderson: Ich war davor kaum aus Manchester rausgekommen. In der Beziehung war jede neue Stadt ein kleiner Schock. Nur Berlin nicht, es war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Größe der Stadt, die breiten Straßen, die manchmal dunklen Häuser. Ich fühlte mich kein bisschen fremd.

Theo: Es hat meine Ahnung bestätigt: Berliner sind die coolsten Menschen der Welt. Jedes Mal, wenn ich hier ausgehe, habe ich den Eindruck, dass die jungen Leute sich um nichts anderes scheren, als wie viel Spaß sie aus ihrem Leben herausholen können. Was in London oder Paris unmöglich wäre, das ließe die Stadt nicht zu.

Wo sind Sie denn ausgegangen?

Theo: Kann ich nicht genau sagen. Wir werden ja laufend mitgenommen. Was ich allerdings mit Bestimmtheit sagen kann, dass wir noch nie von Berlin-Tegel zurückgeflogen sind, ohne einen Kater zu haben. In den gesamten drei Jahren nicht einmal, und wir waren oft hier. Das ist doch ein respektables Ergebnis.

Adam: Wie in allen großartigen Städten beginnt alles erst ab zwei Uhr morgens loszugehen. Und wenn du dann um sechs Uhr am Flughafen sein musst, na ja, da kann man ja gar nicht nüchtern abfliegen.

Theo: Wir haben vor zwei Jahren sogar Neujahr hier verbracht. Getrennt voneinander hat sich jeder von uns entschieden, dass er für ein paar Tage nach Berlin fahren würde. Und erst, als wir alles gebucht hatten, fanden wir heraus, dass wir zur gleichen Zeit hier sein würden. Das waren vier Tage voller Spaß, obwohl draußen minus 15 Grad herrschten.

Sie standen hoffentlich nicht am Brandenburger Tor um Mitternacht?

Theo: Natürlich. Ich stand ganz nah am Tor und habe mir das Feuerwerk angeschaut. Eine der besten Silvesterpartys, die ich je hatte.

Wundert es Sie, dass Sie Songs in einem Kellerstudio in Manchester schreiben, die anschließend Hymnen auf deutschen Konzertbühnen werden?

Adam: Als wir vor drei Jahren in unserem kleinen Kerker saßen, konnten wir uns nicht vorstellen, eines dieser Lieder überhaupt außerhalb von Manchester zu spielen. Und dann berührt „Wonderful Life“ Menschen in Deutschland, Finnland oder Russland.

Was ist persönlich wichtiger für Sie: mit „Wonderful Life“ eine Nummer 1 in der Ukraine oder eine Nummer 21 in England gelandet zu haben?

Adam: Definitiv ist mir die Platzierung in der Ukraine wichtiger. Ich kann mich noch erinnern, als wir erfuhren, dass „Wonderful Life“ wie verrückt im dänischen Radio gespielt wurde. Ich fühlte mich wie ein König.

Theo: Die düstere Stimmung des Albums hat die Menschen in Deutschland und östlich davon mehr angesprochen als anderswo. Da funktioniert etwas, das ich nicht erklären kann.

Das neue Album Exile klingt nun positiver …

Theo: Moment, es ist weniger introspektiv, weil es nicht wie das erste aus einer Art erzwungener Isolation entstand.

Adam: Trotzdem möchte ich nicht so weit gehen und behaupten, die neue Platte klingt, als seien wir glücklich.

Wir wollten Sie nicht beleidigen …

Adam: … wir klingen nur lebendiger. Wir leben nicht mehr von der Stütze, wir sind nicht mehr die ganze Zeit schlecht gelaunt, das reflektiert natürlich unsere Musik. Aber Glück ist nicht das Gefühl, das ich hier höre, sondern eine gewisse Aufregung über das Leben da draußen.

Für die Produktion der Platte sind Sie nicht gerade in die weite Welt gezogen.

Theo: Für ein Jahr sind wir abgetaucht, haben uns in dieselbe Straße verkrochen, in der wir uns damals in Manchester getroffen haben, nahmen dort eine Wohnung und arbeiteten darin sechs Monate ohne Unterbrechung.

Adam: In dieser Wohnung fühlte man sich definitiv nicht wie eine Berühmtheit. Wenn wir gewollt hätten, dann hätten wir uns eine Villa auf Barbados mieten können. Aber so arbeiten wir nicht. Das neue Hurts-Album musste in Manchester zum Leben erweckt werden.

Weil es da leichter ist, traurig zu sein, als unter der Sonne der Karibik?

Theo: Weil es in Manchester leichter fällt, mal über traurige Dinge nachzudenken, ganz klar.

Adam: Unsere Musik besitzt nun einmal eine melancholische Seite. Wir tragen die Traurigkeit wie eine Bürde auf unseren Rücken herum. Das fühlt sich für uns natürlich an.

Bei aller Liebe zur Melancholie, Ihr Leben hat sich zum Positiven verändert. Sie können jetzt Ihren Eltern Häuser kaufen!

Theo: Ach, die haben ihre eigenen Wohnungen.

Umso besser: Sie können Häuser für sich kaufen!

Theo: Das möchte ich noch nicht. Ich will ein Leben auf Achse führen. Die Vorstellung von Sicherheit behagt mir nicht. Keine Sorge, wir bringen unser Geld schon unter die Leute – zum Beispiel wenn wir ausgehen.

Adam: Ich gebe, ehrlich gesagt, kaum Geld aus.

Sie sind ein Sparfuchs?

Adam: Nein, ich weiß einfach nicht, wofür ich es ausgeben soll.

Theo: Ich schon: um Mädchen auszuführen oder für einen Urlaub.

Adam: Stimmt. Ich war auf Island für drei Tage, das war ganz wunderbar.

Theo: Ich bin lieber nach New York geflogen, das ist eine meiner Lieblingsstädte.

Weit im Westen haben Sie Ruhe vor aufdringlichen Fans. Sie haben mal erzählt, je weiter man in den Osten geht, umso verrückter werden diese.

Theo: Sie werden anhänglicher. Sie schreiben seitenlange Briefe, die sehr persönlich und teils heftig sind. Darin erzählen sie, wie depressiv sie lange waren, wie unsere Musik ihnen durch einen bestimmten Teil des Lebens geholfen hat. Solche Sachen passieren in Westeuropa kaum. Und das ist doch gut, wenn es Musik gibt, die einem durch harte Zeiten hilft.

Was hilft Ihnen durch schwierige Zeiten?

Theo: Johnny Cash oder Sade – Songs, bei denen ich höre, dass es anderen mal genauso beschissen ging wie mir in diesem Moment.

Theo, Sie haben in Ihrer Schulzeit etwas Verrücktes getan: Sie haben Deutsch gelernt.

Theo: Stimmt, vom zwölften bis zum 16. Lebensjahr. Es war nur ein anderer Junge in der Klasse, der Rest waren Mädchen – das war Grund genug. Aber ist das verrückt?

Wenn man das Image von Deutschland in britischen Medien zugrunde legt, ein wenig. Einige Zeitungen schreiben gern über Deutsche als Hunnen oder verkappte Nazis.

Theo: Alles Idioten. Das sagen Leute, die glauben, Engländer hätten eine vererbte Anspruchsberechtigung, besser als der Rest zu sein – als wären wir das Zentrum der Welt.

Adam: Das erleben wir Briten in den USA. Amerikaner behandeln uns, als würde unsere Entwicklung auf einer Stufe liegen, die der amerikanischen vor einem Jahrhundert entspräche. Ich glaube, Engländer tun dasselbe mit den übrigen Europäern.

Sie wollten mit Ihrer Entscheidung also nicht Ihre Umwelt vor den Kopf stoßen?

Theo: Oh Gott, nein. Die andere Wahl wäre Französisch gewesen. Ich war mit meinen Eltern zuvor in Frankreich, das Land sagte mir nicht so zu. Und ich fand Deutsch als Sprache ziemlich leicht.

Da sind Sie der erste Brite, der das behauptet.

Theo: Ich finde, es ähnelt mehr dem Englischen, als Französisch es tut. Ich verstehe nach wie vor ziemlich viel, traue mich aber selten, es zu sprechen – außer zu Taxifahrern oder zu Mädchen, wenn ich betrunken bin.

Ihr Lieblingswort auf Deutsch?

Theo: Übel. Kurz und prägnant – mag ich.

Haben Sie eines, Adam?

Adam: Sorry, ich verstehe kein Wort in einer anderen Sprache. Dafür habe ich kein Talent, Theo macht das schon ganz gut für uns beide.

Und was ist Ihr Talent?

Adam: Ich habe eines für Bombast, Dichte, Intensität, Stücke wie Soundtracks aufzublasen.

Kein Wunder, Sie lieben die Musik aus dem Whitney-Houston-Film „Bodyguard“.

Adam: Ich hatte damals sogar die Single „I Will Always Love You“. Kommen Sie, ich war neun oder zehn, die kaufte damals jeder meiner Freunde. Später habe ich mich mit der gleichen Begeisterung auf Radiohead gestürzt. Ich finde nach wie vor, dass ihr Album Ok Computer sehr filmische Qualitäten hat.

Hand aufs Herz, haben Sie am Ende von „Bodyguard“ geweint?

Adam: Ich war zu jung, als er ins Kino kam, um ihn zu sehen. Daher, nein, hab ich nicht.

Theo: Mir fällt gerade auf, dass ich den Film nie gesehen habe.

Adam: Kevin Costner hatte damals eine goldene Zeit, er hat wirklich gute Filme gemacht.

Zum Schluß noch ein Spiel. Was fällt Ihnen als Erstes zu den White Stripes ein?

Theo: Legende.

Zu Roxette?

Adam: Schweden.

Zu den Pet Shop Boys?

Adam: Lads.

Lads? Das waren doch Oasis?

Adam: Das ist das Bild, das ich von ihnen im Kopf habe. Coole Jungs.

Und welchem dieser Musikduos stehen Sie am nächsten?

Theo: Wir sind eine Mischung aus den White Stripes und den Pet Shop Boys. Was sie tun, unterscheidet sich vom Mainstream um sie herum. Sie stellen mehr als nur ihre Musik dar.

Und einer vervollständigt den anderen in diesen Duos.

Adam: Ich weiß nicht, das sind schon zwei recht unterschiedliche Beispiele. Was Sie behaupten, trifft womöglich auf die Pet Shop Boys zu. Bei den White Stripes habe ich das Gefühl, da gab’s ein Genie und das zweite Mitglied läuft einfach mit.

Und wie ist das bei Ihnen?

Adam: Wir bringen unterschiedliche Sachen ein, aus denen erst die Musik von Hurts entstehen kann. Wie gesagt, ich das Bombastische …

Theo: … und ich das Soulige. Ich möchte singen wie Roy Orbison, bei dem immer eine gewisse Melancholie nachklingt, aber trotzdem die ganze Bandbreite seines Könnens durchscheint.

Was Sie mit den Pet Shop Boys zu Beginn ihrer Karriere gemeinsam haben: Hurts tanzen nicht.

Theo: Hören Sie mal, das würde zu unserer Musik auch schwerfallen. Soll ich bei einer Ballade wie „Stay“ lustige Bewegungen mit den Händen machen?

Adam: Ich möchte hinzufügen, dass es mehr als eine Kunstform gibt, sich auszudrücken. Wir sind natürlich nicht abgeneigt, eine größere Show als bisher auf die Beine zu stellen.

Denken Sie in Richtung Las Vegas?

Theo: Nein, mehr wie Rammstein. Da gibt es mehr Feuer auf der Bühne.