„Ich habe den Sound der US-Popmusik verändert“


David Guetta bedient in Europa den tanzenden Mainstream. In den USA hat er Techno gesellschaftsfähig gemacht. Ein Millionenmann voller Widersprüche.

David Guetta ist schuld. Wenn er nicht der ehemaligen Destiny’s-Child-Sängerin Kelly Rowland über den Weg gelaufen wäre, die ihre vorübergehende Orientierungslosigkeit mit einem kleinen Experiment zu bekämpfen gedachte, würden die amerikanischen Charts jetzt nicht an eine Songauswahl erinnern, mit der man 1996 die Clubs in Ibiza zur Peaktime bespielt hätte. Wer in den USA tagsüber das Radio anschaltet, meint, er befände sich nachts in einer Disco. Vielleicht ist aber auch Kelly Rowland schuld, die mit dem Guetta-Song „When Love Takes Over“ ihre R&B-Kollegen erst auf die Idee brachte, dass es noch einen anderen Sound gibt, als jenen, den Timbaland, die Neptunes und ihre ungezählten Nachahmer all den Rappern und Soulsängern routinemäßig unter die Stimme produzieren. Und sind Kelly Rowland und ihre Kollegen nicht erst bei ihren jährlichen Abstechern nach Ibiza zu der Erkenntnis gekommen, dass sich zu entschieden ballerndern Housebeats und Fanfaren viel passender über Partys, Dekadenz und Ausschweifung singen lässt? Jedenfalls haben mittlerweile die Black Eyed Peas, Kelis, Ne-Yo, Akon, Kid Cudi, Snoop Dogg, Ludacris und K’naan auf den Sound von Guetta umgeschwenkt. Usher, Pitbull und Timbaland werden in Kürze folgen. Wie es heißt, wird auch Madonna sich für ihr neues Album ein oder mehrere Stücke von Guetta produzieren lassen – Guetta (oder zumindest der Guetta-Sound) schickt sich an, die Weltherrschaft zu übernehmen.

Was allerdings auch einige günstige Nebenwirkungen hat. Die flächendeckende Beschallung mit wenig subtilem dafür aber höchst funktionalem House – im Volksmund auch Kirmestechno genannt – hatte immerhin zur Folge, dass auch die ausdifferenzierteren Spielarten von Dance jetzt in Amerika eine Chance haben. Moby wunderte sich kürzlich, dass er in den USA neuerdings für Open-Air-Raves gebucht wird, die von Zehntausenden besucht werden, was noch vor zwei Jahren absolut undenkbar war. Auch das Hamburger Produzenten- und DJ-Team Digitalism schrieb im Musik Express den plötzliche Boom in erster Linie David Guetta zu. Man verabscheut und verteufelt Guetta-Produktionen zwar reflexhaft. Andererseits muss man zugeben, dass Guettas Arbeiten irgendwie auch ganz angenehm knallen. Gut möglich, dass „Wet“ von Snoop Dogg, „Acapella“ von Kelis oder „When Love Takes Over“ mit Kelly Rowland prollig, simpel und geschmacklos sind. Gleichzeitig verbreiten sie bessere Laune als das bittere Beharren auf den guten Geschmack. David Guetta erweist sich jedenfalls als kluger, bodenständiger und bescheidener Gesprächspartner, wie es so oft bei Leuten der Fall ist, die ihren Unterhalt mit erfrischend bekloppter Musik verdienen. Ach, das Leben ist voller Widersprüche.

Herr Guetta, Sie haben geschafft, was bis vor Kurzem niemand für möglich gehalten hat: Sie haben House und Techno in den Vereinigten Staaten massentauglich gemacht.

Es ist verrückt. Und ich habe immer noch keine Ahnung, was da mit mir passiert und wie das alles passiert ist.

Aber bestimmt können Sie es mir trotzdem erklären.

Im Grunde geht ein alter Traum von mir in Erfüllung. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass unsere Musik unterschätzt wird, besonders in den USA. Mein Wunsch war es, dass House und Techno so groß und populär werden wie etwa HipHop und Pop und Rock. Andererseits war ich schon immer großer Fan von R&B, und irgendwie hat sich bei meinem letzten Album One Love plötzlich die Gelegenheit ergeben, mit verschiedenen R&B-Stars zusammenzuarbeiten.

Was für eine plötzliche Gelegenheit war das?

Na ja, ich habe zum Beispiel Kelly Rowland von Destiny’s Child in einem Club kennengelernt, und sie hat mir vorgeschlagen zu dem Stück zu singen, das ich gerade aufgelegt hatte. Daraus entstand „When Love Takes Over“, der Song mit dem eigentlich alles anfing. Noch in der gleichen Woche schickt mir Will.I.Am, den ich schon eine ganze Weile kannte, eine SMS und fragt mich, ob ich die Black Eyed Peas produzieren möchte – das Ergebnis war „I Gotta Feeling“. Drei Monate später bin ich dann Akon begegnet, und er erzählt mir, wie sehr er „When Love Takes Over“ und meine alte Single „Love Is Gone“ mag. Und dann haben wir noch in derselben Nacht „Sexy Bitch“ aufgenommen.

Es war also eine glückliche Aneinanderreihung von Zufällen.

Exakt. Und dass diese Songs Erfolg haben würden, damit hatte zunächst niemand gerechnet.

Niemand?

Niemand, auch Kelly Rowland, Will.I.Am und Akon nicht, und die zuständigen Plattenfirmen erst recht nicht. Sie waren der festen Überzeugung, dass die Songs auf dem amerikanischen Markt keine Chance hätten. Sie haben bloß mit mir gearbeitet, weil sie meine Musik mögen, weil sie zwischendurch mal etwas anderes machen wollten. Das One Love-Album war ein Experiment, an dem alle Beteiligten Spaß hatten.

Aber das Experiment wurde ein Hit.

Ja. Die US-Radiostationen waren zunächst zwar überaus skeptisch, andererseits spielen sie Songs von den Black Eyed Peas und Akon schon deshalb, weil sie von den Black Eyed Peas und Akon sind. Plötzlich hieß es: Wow, das ist der neue Sound.

Und die vermeintlich unüberwindbare Hürde, die Dance all die Jahre im Wege stand, war plötzlich fort?

Wissen Sie, Amerika funktioniert in dieser Hinsicht sehr simpel. Wenn etwas ein Erfolg wird, will jeder daran teilhaben. „I Gotta Feeling“ und „Sexy Bitch“ haben so gesehen den Sound von amerikanischer Popmusik komplett verändert, sie wurden über Nacht zum neuen Standard. Und in dem Moment, als der Erfolg sich abzeichnete, stand mein Telefon nicht mehr still. Alle wollten sich von mir produzieren lassen.

Sie haben die Rolle eingenommen, die vor wenigen Jahren noch die Neptunes und Timbaland innehatten.

Verrückt, oder? Und jetzt singt Timbaland auf meinem neuen Album nicht nur den Titel „I Just Wanna F“, sondern er hat sich auch noch die erste Single seines neuen Albums von mir produzieren lassen.

Wie fühlen Sie sich dabei?

Ich fühle mich geehrt, was soll ich sagen? Ich meine, Timbaland ist ein Genie, er ist ein Alien, er ist jedenfalls nicht von diesem Planeten. Dass er mir zu verstehen gegeben hat, dass er meine Musik mag, war das größte Geschenk, das man mir in diesem Jahr gemacht hat.

Waren Sie aufgeregt, als Sie mit ihm im Studio waren?

Absolut, absolut. Sie müssen wissen, dass er nicht der typische Amerikaner ist, der sich unkompliziert gibt und immer gute Laune hat. Im Gegenteil, Timbaland ist ein ziemlich mürrischer Kerl. Anfangs ging es also ziemlich frostig zu. Aber je mehr Musik ich ihm vorgespielt habe, desto offener wurde er. Seine Körpersprache änderte sich allmählich und plötzlich rief er: „Das ist crazy! Gib mir ein Mikrofon!“ Dann haben wir improvisiert, es war toll.

Mittlerweile sind Sie ein Popstar.

Aber ich fühle mich nicht wie einer. Ich habe vielleicht Pophits, aber eigentlich verstehe ich mich als DJ.

Können Sie das erklären?

Wenn ich zum Beispiel zu einer dieser großen Awardshows geladen bin, merke ich, dass das nicht mein Leben ist. Ich bin lieber im Studio oder in Clubs.

Aber wer Sie jemals hat auflegen sehen, weiß auch, dass Sie die Bühne mögen.

Oh ja, ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, keine Frage. Aber der Pop-Lifestyle …, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, weil es mir selbst nicht so ganz klar ist …, aber wenn ich bei einer Gala über den roten Teppich gehen muss und anschließend nur von Popstars und Prominenten umgeben bin, dann fühle ich mich wie ein Zaungast, so als gehörte ich eigentlich nicht dorthin.

In dem Zusammenhang ist es eigentlich ziemlich lustig, dass Ihre berühmte Partyreihe auf Ibiza ausgerechnet den Titel „Fuck Me I’m Famous“ trägt.

Ja, es ist wirklich absurd. Denn als ich mir das Konzept für die Party vor über zehn Jahren ausgedacht habe, war der Titel natürlich ein Witz, eine kleine Boshaftigkeit. Ich hab damals über berühmte Leute gelacht, und jetzt, was soll ich sagen? Jetzt bin ich selber berühmt. Man könnte denken, der Titel wäre ernst gemeint.

Wie wichtig war Ibiza für Ihre Karriere?

Extrem wichtig. Zum einen, weil ich die Insel liebe. Und zum anderen, weil ich in Ibiza meine einzige Residency in einem Club habe. Dorthin während der Saison Woche für Woche zurückkehren zu können, ist wirklich großartig. Denn ansonsten lege ich ja kaum noch in Clubs auf. Der Ruhm verlangt es, dass ich heute eher Konzerte gebe und in Konzerthallen auf der Bühne stehe, vor zehntausend Leuten und mehr. Und weil die Leute im Publikum diese Shows auch eher als Konzerte verstehen, muss ich vor allem meine eigenen Songs spielen.

Die wöchentliche „Fuck Me I’m Famous“-Party im Pacha in Ibiza ist also die bescheidene Möglichkeit, wieder zu ihren Wurzeln zurückzukehren.

Genau. Ich kann da vier Stunden am Stück auflegen, ich kann komplett neue Stücke spielen, die noch keiner kennt, und vor allem Stücke, die nicht von mir sind. Ich kann Risiken eingehen, zu denen ich sonst nicht in der Lage wäre. Ich möchte das nicht missen. Denn alles, was ich tue, meine gesamte Inspiration, meine Kreativität hängt letztendlich mit dem Clubleben zusammen. Deswegen ist mein neues Album auch eine Doppel-CD, die thematisch zweigeteilt ist. Es gibt die Pop-CD mit Gastsängern und eine rein instrumentale Dance-CD.

Das Doppelalbum ist sozusagen die Entsprechung Ihrer zweigeteilten Karriere: David Guetta, Popstar und DJ.

Ja. Die Idee dabei war, meinen derzeitigen Ruhm dafür zu nutzen, die elektronische Musik auch unter den Leuten populärer zu machen, die nur meine Popsongs kennen. Meine DJ-Freunde wissen zwar, dass mein Schwerpunkt eigentlich House und Techno ist, aber die Masse der Radiohörer weiß das möglicherweise nicht. Die Dance-CD des Albums ist mir daher sehr wichtig.

Sie hätten natürlich auch Ihre Gastsänger über besonders knarzige und kantige Tracks singen lassen können, um Ihre eher knarzige und kantigere Clubseite zum Ausdruck zu bringen. Stattdessen klingen die Tracks für die Gastsänger aber wieder ganz unverschämt eingängig.

Was die Songs so eingängig macht, ist nicht die Produktion, das ist der Gesang. Ohne den Gesang wären die Songs überhaupt nicht eingängig. Nehmen Sie zum Beispiel das Stück „Little Bad Girl“ – ohne die Stimmen von Taio Cruz und Ludacris wäre der Song ein Clubhit und kein Radiohit.

Es sind nur die Stimmen?

Exakt.

Sie haben kürzlich gesagt, dass die Kings Of Leon und Coldplay Sie inspirieren. Ist das eine Sache, die ich auf dem Album hätte hören sollen? Wenn ja, bin ich mir nicht ganz sicher, ob es mir gelungen ist.

Nein, das können Sie nicht hören. Als ich von den Kings of Leon und Coldplay sprach, ging es mir um Akkordfolgen. Die beiden Bands haben mich zu bestimmten Akkordfolgen inspiriert, was aber durch die Art der Produktion nicht mehr ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Denn ich habe die Stücke ja für den Club und nicht als Rocksongs produziert. Der Sound verändert in dem Zusammenhang alles. Wenn ich die Stücke allerdings auf der Akustikgitarre spielen würde, könnten Sie vielleicht sagen: „Erinnert mich irgendwie an Coldplay.“

Es wird Ihnen wahrscheinlich aufgefallen sein, dass mit dem wachsenden Erfolg auch die Missgunst zunimmt. Bei Ihrer Musik beklagt man vor allem den angeblichen Mangel an Feinheiten und Raffinesse.

Wovon reden Sie? Davon hab ich noch nie gehört.

Sie machen Witze.

Nein. Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen.

Das können Sie mir nicht weismachen.

Wahrscheinlich liegt es daran, dass diese Kritik nicht aus meinem Umfeld kommt. Wissen Sie, mein Umfeld sind Leute, denen es um die Musik geht. Aber die Kritik, von der Sie sprechen, kommt wahrscheinlich von Leuten, denen es um Lifestyle geht. Diese Leute denken vielleicht, dass es ihnen um Musik geht, aber das tut es nicht. Diese Leute sind in ihrer Wahrnehmung beschränkt.

Wie meinen Sie das?

Leute, denen es um Musik geht, mögen jede Art von Musik und sie hören jede Art von Musik: HipHop, Reggae, Klassik, Pop, Soul – zumindest sind sie theoretisch dafür offen. Wer als Musiker arbeitet, muss sich zwar auf die eine oder andere Sache spezialisieren, aber der Umstand, dass jemand als Techno-DJ arbeitet, heißt nicht, dass er automatisch Balladen verabscheut. Auch die Unterscheidung zwischen Underground und Kommerz ist doch Unfug. Schon früher, als ich noch in Underground-Clubs gespielt habe, war mir diese Unterteilung völlig zuwider. Ich erinnere mich noch, wie man sich damals entweder für House oder Techno entscheiden musste.

Eine Zumutung?

Und wie. Ich dachte nur: „Soll das ein Witz sein?“ Ein DJ sagte einmal zu mir, er könne diese eine Platte leider nicht spielen, weil es sich um eine Techno-Platte handele, er aber ein House-DJ sei. Und meinte nur: „Bist du dumm? Wenn es eine gute Platte ist, dann ist es eine gute Platte.“

Sind Sie im Alter von 43 Jahren eigentlich froh darüber, dass der ganz große Erfolg so lange auf sich warten ließ?

Unbedingt. Es ist ein Segen, dass der internationale Chartserfolg erst jetzt kommt. Mit 18 oder 20 hätte ich wahrscheinlich den Verstand verloren. Heute weiß ich, dass Erfolg keine Normalität ist, sondern harte Arbeit und auch Glück dahintersteckt. Alles kann auch wieder verschwinden. Deshalb kann ich alles besser genießen und wertschätzen.

Wenn David Guetta auf den Mega-Raves dieser Welt spielt, leuchten die Handykameras. Der 1967 in Paris geborene Star wurde 2009 als weltbester DJ geehrt und tritt auch schon mal vor 40 000 Menschen auf. Bereits als Schüler produzierte er Musik, mit 17 fing er an aufzulegen. Mit seinen Fuck Me I’m Famous-Compilations wurde er bekannt. Vier Studioalben hat der Familienvater bisher veröffentlicht, dessen letztes 2009 in seinem Heimatland auf Platz eins landete. Durch Kooperationen mit Akon, Kelly Rowland, Rihanna, Black Eyed Peas oder Estelle erschloss er sich den US-Markt. Tracks wie „Sexy Bitch“ oder „Getting Over You“ sind von den Tanzflächen nicht mehr wegzudenken, auch wenn sich das mancher anders wünschen würde. Aktuelles Album: Nothing But The Beat.