James Brown: Brown Power


Wie der kürzlich gestorbene James Brown 1968 Ärger mit seinen weißen Fans riskierte und der Bürgerrechtsbewegung eine Hymne schenkte. Eine Momentaufnahme.

Eigentlich gab es für James Brown keinen Grund, ins Ghetto zurückzukehren. Nein, er hatte es längst geschafft: Eine Flotte von Cadillacs, ein Learjet und seine Villa, der Nachbau eines viktorianischen Schlösschens samt Graben und Zugbrücken, zeugten davon, dass der Soulbrother Number One in einer Welt angekommen war, die der ehemalige Schuhputzjunge aus Georgia lange als Privileg reicher Weißer angesehen hatte. Warum sollte er das alles aufs Spiel setzen? Zu einer Revolution aufrufen, die möglicherweise nicht nur seine künstlich geglättete Conk-Frisur, sondern auch seine Schlosstürmchen in Schutt und Asche legen würde?

Während 1968 in Dutzenden von amerikanischen Großstädten die Ghettos brannten, 5000 bewaffnete Black Panther durch die schwarzen Viertel von New York, Detroit oder Oakland patroullierten und täglich tote afroamerikanische Soldaten in Zinksärgen aus Vietnam ankamen, spielte der Mann, dessen Musik den rebellischen Stolz der Bürgerrechtsbewegung in harte Funkrhythmen umsetzte, ausgerechnet eine Heimatschnulze ein: „America Is My Home“. Ein Song, der spätere Patriotismus-Geständnisse des Godfathers wie etwa seinen Auftritt bei der Amtseinsetzung von Nixon im Weißen Haus oder seine Pro-Reagan-Hymne „Living In America“ vorausnahm. Klar, dass James Brown bei den radikalen Intellektuellen unten durch war. Einen „Lügner“ nannte ihn der „Black Consciousness“-Schriftsteller Amiri Baraka (bürgerlich: Everett LeRoi Jones) und sprach dem Soulsänger jedes Rassen-Bewusstsein ab. „In meinem Herzen bin ich schwärzer als jeder andere“, konterte James Brown. Aber wer konnte da schon reinschauen? Und was bedeutete Schwarzsein überhaupt? Immerhin hatte James Brown die amerikanische Musik schwärzer gemacht, den Soul näher an Afrika gerückt als je zuvor.

Nicht dass die Erfindung des Funk allein aufsein Konto ginge. Aber mit Hilfe der begnadeten Schlagzeuger Jabo Starks und Clyde Stubblefield ließ Brown Melodie und Harmonie immer mehr hinter sich. Die Gitarre, die Bläser, das Piano: Alles hörte der Godfather nur noch als Rhythmusinstrument. Und wenn er dann noch seine Texte zu energischen Soul Shouts und stotternden Fragmenten verdichtete, war das ein Ausdruck schwarzen Stolzes.

Die politischen Führer des Bürgerrechtskampfes aber erwarteten mehr: Hätte James Brown bloß die Manifeste schwarzer Vordenker wie Frantz Fanon und Malcolm X gelesen, anstatt nur den Beat auf die Eins zu trimmen! Dann hätte man ihn zum Aushängeschild der Revolution machen können, einem wahren „Public Enemy Number One“! Schließlich hatte Brown genug Macht, Prestige und Einfluss bewiesen, als er allein durch seine Präsenz nach der Ermordung von Martin Luther King größere Unruhen in Atlanta und Boston unterband. Weil aber der Godfather of Funk lieber tanzte als predigte, musste man Druck ausüben. Dem „Schwarzsein“ einbisschen nachhelfen. So soll im Sommer 1968 eine bewaffnete Delegation schwarzer Panther den Soulsänger besucht und wegen seines mangelnden Engagements für die schwarze Sache zur Rede gestellt haben. Was auch immer an der Geschichte summen mag: Noch im selben August, wenige Monate nur nach „America Is My Home“, war der Soul sänger wie ausgewechselt. Nicht nur hatter er sich die einst glatt pomadierten Haare zu einem stolzen Afro wachsen lassen. Auch seine Stimme schien plötzlich einem anderen zu gehören. Einer mutigeren, radikaleren, kompromissloseren Version des alten James Brown: „Say it loud/I’m black and I’m proud!“

Der Mann mag in seinem Herzen immer noch ein gottverdammter Kapitalist gewesen sein. Aber er hatte ein Gespür für das richtige Timing. Konnte sich spontan in Szene setzen. Und selbst fremde Bühnen aus dem Stand übernehmen. „Wo ein Scheinwerfer ist, ist auch ein Weg“ – diesem Prinzip war er von Anfang an gefolgt: Der 1928 in Barnwell, South Carolina, geborene Sänger war als Sechzehnjähriger wegen Autodiebstahls zu drei Jahren hinter Gittern verdonnert worden und hatte dort einen Gospelchor auf die Beine gestellt. 1952 nahm Bobby Byrd den Ex-Knacki in seine Doowop-Gospel-Gruppe auf. Mit seinen blitzgewandten Splits, Slides und Camel Walks fand sich James Brown bald in der Mitte der Bühne wieder. Die Band benannte er schlicht um: James Brown And His Famous Flames. Und Flammen wusste er zu schlagen: Egal ob der Sänger seine Band per Fingerzeig dirigierte, die Beine verknotete oder eingehüllt in einen Boxer-Kapuzenmantel zu Boden ging. Während einer Showpause der schwarzen Rock’n’Roll-Sensation Little Richard sprang Brown mit seinen Flames uneingeladen auf die Bühne und verursachte dort einen solchen Wirbel, dass Little Richards Manager ihn unter Vertrag nahm und Brown für einige Wochen unter dem Namen Little Richard dessen Doppelbuchungen ausfüllen ließ.

Das war das letzte Mal, dass James Brown sich vor einem anderen verneigte. Nach seinem ersten Hit „Please, Please, Please“ hatte der „hardest working man in showbusiness “ das nicht mehr nötig. James Brown verhängte gegen seine Bandmitglieder schon mal Geldzeitlupe strafen für Verspätungen, unprazise Tanzbewegungen und falsche Noten. Er delegierte seine Backgroundsängerinnen vor einer Anstellung routinemäßig ins Bett. Ließ Konkurrenten bei gemeinsamen Shows erst gar nicht auf die Bühne. Und dieser „kleine Mann mit dem überdimensionierten Ego“ sollte sich eine Black-Power-Message aufoktroyieren lassen? Tatsächlich hatte „Say lt Loud“ durchaus autobiografischen Charakter:

„Now wedemanda chance to do thingsfor ourself We’re tired ofbeatin‘ our head against the wall And workin ‚for someone ehe We’repeople, we’re just like the birds and the bees We’d rather die on our feet than be livin‘ on our knees.“

Brown, der als Junge wegen ärmlicher Kleidung einmal aus der Schule nach Hause geschickt worden war und später im Puff und an den Straßenecken in Augusta für ein paar Münzen tanzte, kannte alle Facetten des Rassismus. Er wusste, dass er seinen Erfolg hauptsächlich einem schwarzen Publikum zu verdanken hatte. Den Ghettobewohnern, die ihn schon auf Händen trugen, als die meisten Weißen den Soulsänger mit seiner verschwitzten Bühnenshow und den vor Anstrengung hervortretenden Halsadern bestenfalls für einen begnadeten Schreihals hielten. Black Power und James Brown: Das waren zeitweise Synonyme. Nur dass Black Power Browns eigenen Worten nach „nicht durch den Laufeines Gewehrs, sondern durch Erziehung und ökonomische Selbsthilfe erreicht wird“.

Zumindest wirtschaftlich mussteder Godfather für seinen vorlauten Song büßen: Nach den als Kampfansage verstandenen Zeilen „We’d rather die on our feet, than be living on our knees“ verlor er einen Großteil seines weißen Publikums. James Brown aber hatte bewiesen, dass ein Learjet und ein Schloss nicht alles waren: Noch im selben Jahr stellte er eine Organisation namens „Operation Black Pride“ auf die Beine. Außerdem verkleidete er sich als Weihnachtsmann und verteilte höchstpersönlich Einladungen für ein kostenloses Weihnachtsessen an 3000 New Yorker Ghettobewohner. Und auch wenn manche das als Werbung für seine neue Single „Santa Go Straight To The Ghetto“ abtaten: Mit seiner Absage einer mit 175 000 Dollar dotierten Tournee, um Benefizkonzerte für die Bürgerrechtsbewegung zu geben, überraschte Brown selbst die Kritiker.

„Ich schulde es der schwarzen Gemeinschaft, für bessere Schulen, mehr Spielplätze undFreizeitzentren zu sorgen, um die Jugendlichen von der Straße zu holen.“

Auch wenn James Brown bald wieder zur aalglatten Conk-Frisur und zu rechten Politirrungen zurückkehrte, er in den letzten drei Jahrzehnten bis zu seinem Tod im Dezember 2006 vor allem durch Drogenexzesse, Steuerschulden, Gewalt gegen seine Ehefrau, Haftstrafen und eine spektakuläre Verfolgungsjagd mit der Polizei in die Schlagzeilen geriet: Es ist der Afro-gekrönte Soulmann, auf den sich Chuck D stellvertretend für Generationen von HipHoppern bezieht: James Brown“, so der Public-Enemy-Frontmann, „bereitete mich auf die Grundschule vor – und den Rest meines Lebens. Say it loud, I’m black and I’m proud“.

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