Jim Morrison: this is not the end


Am 3. Juli jährt sich der Todestag des kultisch verehrten Doors-Sängers zum 25. Mal. Nie war der "Lizard King" populärer als heute. ME/Sounds-Autor Peter Felkel beschreibt Phänomen und Faszination des Idols.

Ein herrlicher Frühsommertag in Paris. Die Nachmittagssonne taucht den Friedhof Pere Lachaise in ein melancholisch-mildes Licht. Auf dem Grab der Chansongöttin Edith Piaf steht eine Vase mit einem Strauß roter Rosen, viele Ruhestätten gleichen kleinen Mausoleen. Chopin und Bizet, Balzac und Proust, Oscar Wilde und Emile Zola -— an Berühmtheiten herrscht kein Mangel in dieser Stadt der Toten, ehrfurchtgebietend, doch auf geheimnisvolle Weise Lebensfreude ausstrahlend. Die kleine Grabstelle wäre leicht zu übersehen, wiesen nicht unzählige Graffitis den Weg. Als käme sie sich zwischen den teils über 100 Jahre alten Gräbern ringsum wie ein Eindringling vor, als würde sie sich für die anhaltende Ruhestörung vor den ehrwürdigen Nachbarn schämen, duckt sie sich zwischen imposanten Gedenksteinen und Bauwerken, die aussehen wie klitzekleine Privatkapellen. Diese wenigen Quadratmeter sind in den vergangenen 25 Jahren zum Wallfahrtsort für Rockfans aus aller Welt geworden. Auch in diesem Moment sitzen -— von einem Wachmann mit ausdruckslosem Gesicht beäugt -— fünf junge Leute um das Grab, die noch gar nicht auf der Welt waren, als der Mann starb, der hier beigesetzt wurde, lassen die Weinflasche kreisen und hängen ihren Gedanken nach. „Sehr viele schauten nie noch ihr Idol“, heißt es in Charles Baudelaires Gedicht ‚Der Tod der Künstler‘ aus dem Zyklus ‚Die Blumen des Bösen‘. Baudelaire war eines der literarischen Vorbilder des prominenten Toten, der zeitlebens nach Anerkennung als Dichter strebte. Sein Name: James Douglas Morrison. Sein Beruf: Sänger der Doors. Sein Ziel: dem Rockrummel zu entfliehen und als Schriftsteller akzeptiert zu werden. Sein Schicksal: zu scheitern und posthum entweder vergöttert oder verdammt zu werden. Jim Morrison starb am 3. Juli 1971 in Paris.

„You know the day destroys the night, night divides the day. Tried to run, tried to hide, break on through to the other side.“ Die ersten Zeilen des ersten Songs auf dem ersten Album der Doors, das schlicht ‚The Doors‘ betitelt im Januar 1967 erschien, brachten den Lebensentwurf ihres charismatischen Leadsängers auf den Punkt. Jim Morrisons kurze Karriere war nichts anderes als der Versuch, zur anderen Seite durchzubrechen, wobei Morrison womöglich nicht die geringste Ahnung hatte, was ihn dort eigentlich erwarten würde. Von frühester Jugend an las der hochintelligente Junge wie ein Besessener —- Nietzsche, Rimbaud, Kerouac, Ginsberg, Joyce, die französischen Existentialisten—, – rebellierte gegen seine stockkonservativen Eltern (Morrisons Vater war Admiral in der US-Armee) und zimmerte sich daraus eine düstere Lebensphilosophie. „Mich interessiert alles über Rebellion, Unordnung und Chaos“, sagte er einmal. Sein Faible galt den „Schattenseiten des Lebens, dem Bösen, der dunklen Seite des Mondes, der Nacht“. Die Legende erzählt, daß sich Morrison und Ray Manzarek am Strand von Venice trafen und Jim seinem Kommilitonen ein Gedicht vorsang, das später der Song ‚Moonlight Drive‘ werden sollte. „Let’s swim to the moon, let’s climb through the tide. You reach a hand to hold me, but I can’t be your guide. Easy to love you as I watch you glide, falling through wet forests on our moonlight drive.“ Manzarek war fasziniert, die Doors waren geboren. Morrison, Manzarek, Robbie Krieger (Gitarre) und John Densmore (Schlagzeug) setzten fortan mit ihrer düsteren, keyboardlastigen Musik einen Kontrapunkt zur grassierenden „All You Need Is Love“-Haltung, die dem „Sommer der Liebe“ den Weg ebnete. Damit hatte das Quartett nun gar nichts am Hut. Ihre Variante des Rock’n’Roll war purer Sex, ihr Sänger hörte es gern, wenn man ihn einen „erotischen Politiker“ nannte.

‚The Doors‘, immer noch ein grandioses Rock-Album, machte Morrisons Dilemma deutlich: Seine dichterischen Ambitionen ließen die Songs zum ewigen Kampf zwischen Poesie und Pathos werden. Wie eine Bombe schlug damals das elfminütige ‚The End‘ ein, eine vertonte Version der Ödipus-Sage, das nachträglich zum Magnum Opus verklärt wurde, aber reichlich schlechte, schwerfällige und —- ein Markenzeichen Morrisons —- völlig humorlose Lyrik enthält. Jeder Zeile war anzumerken: Hier will einer ernst genommen werden. Immerhin: Als Jim bei einem Auftritt im legendären ‚Whiskey A Gogo‘ in Los Angeles völlig stoned das bis dato eher harmlose Liedchen zum Epos von Vatermord und Inzucht werden ließ, und die Doors danach in hohem Bogen vor die Tür gesetzt wurden, hatten sie ihren ersten Skandal. Viele sollten noch folgen, und stets war es ihr Sänger, der Feuer an die Lunte legte. Seine Eskapaden unter Alkohol- und Drogeneinfluß wurden sprichwörtlich, sein Leben wurde zur Gratwanderung. Manchmal sogar buchstäblich, wenn er zum Beispiel im 15. Stockwerk eines Hochhauskomplexes auf dem Balkongeländer balancierte und die Angstzustände seiner Begleiter locker-lässig konterte: „Also Mann, entweder du glaubst oder du fällst.“ Paul Rothchild, geplagter Produzent und Wegbegleiter der Doors, stöhnte einmal: „Man konnte nie wissen, ob Jim als belesener, politischer Gelehrte oder als sturzbesoffener Kamikaze auftauchte.“

Daß so jemand, der dazu noch wunderschön wie ein dunkler Racheengel aussah —- bis zu dem Zeitpunkt jedenfalls, ab dem ihn diverse Substanzen als verfetteten, vollbärtigen Schafhirten erscheinen ließen — und sich in knallenge schwarze Lederklamotten kleidete, der die „Live fast die young“-Rolle bis zum Exzeß verinnerlicht hatte, der mit seiner Band die aufregendste Musik dieser Zeit spielte, mit Texten voller Todessymbolik, Erotik und Phantasie, daß so jemand also unweigerlich zum Mythos und Sexsymbol aufsteigen mußte, nahm nicht wunder. Während die Beach Boys von Sonnenschein, Surfen und Strandmiezen sangen, Jefferson Airplane sich gesellschaftskritisch-politisch gerierten und die Grateful Dead Hippieseligkeit und Großfamilienflair paarten, stiegen Jim Morrison und die Doors hinab in die Tiefen (und Untiefen) der menschlichen Seele.

Und dann erst die Konzerte: Haß und Liebe brachte der „Lizard King“, wie Morrison nun genannt wurde, den Fans entgegen, schwankte im wahrsten Sinn des Wortes zwischen Ekstase und Lethargie, war Schamane und Scharlatan in einem, kontrollierte, obwohl phasenweise selbst völlig außer Kontrolle, das Publikum, beschimpfte die Staatsgewalt, die auf ihre Weise zurückschlug. So sprühte ihm ein durchgeknallter Ordnungshüter vor dem Auftritt in New Haven/Connecticut seinen Gummiknüppel ins Gesicht. Als Jim während des Gigs davon erzählte, bekam es der lange Arm des Gesetzes mit der Angst zu tun: Das Konzert wurde abgebrochen, der Sänger verhaftet. In solchen Zeiten — der Vietnamkrieg steuerte seinem Höhepunkt zu, die Studentenunruhen nahmen an Gewalt zu und wurden mit noch mehr Gewalt beantwortet, das Aufbrechen gesellschaftlicher Strukturen war überall zu spüren — genügten solche Ereignisse, um Morrison zur Gallionsfigur der „Gegenkultur“, zum Bannerträger der Revolution zu machen. Hatte er nicht auf ‚When The Music’s Over‘ vom zweiten Doors-Album ‚Strange Days‘ lauthals gefordert: „We want the world and we want it NOW“? Damals klang das klasse. Heute würde niemand mehr diese Welt haben wollen, nicht einmal geschenkt. Was vielfach überhört wurde, waren die leisen Zwischentöne. Im gleichen Song hieß es auch: „Before I sink into the big sleep, I want to hear the scream of the butterfly.“

Derweil erlebten die Doors eine musikalische Talsohle. ‚Waiting For The Sun‘, ihr drittes Album, wurde nicht mehr euphorisch, sondern eher beiläufig aufgenommen. Noch mehr Angriffsfläche bot das folgende ‚The Und wieder waren die Songs ein Spiegelbild des Innenlebens ihres Sängers. „Well, IVe Soft Parade‘, dessen Streicher- und Bläserarrangements von dem Willen der Band zeugten, sich weiterzuentwickeln, die aber recht halbgar ausfiel. Zudem häuften sich die Ausfälle des Leadsängers im Studio wie auch auf der Bühne, hagelte es Auftrittsund Hausverbote. Morrison fuhr Autos zu Schrott, flegelte in Flugzeugen, stand mehrfach vor Gericht, die Band war einige Male dem Auseinanderbrechen nahe. Der Höhepunkt war erreicht, als sich Jim bei einem Konzert in Miami als Exhibitionist betätigte. Vor allem Drummer John Densmore hatte die Nase voll von den Eskapaden Morrisons: „Was hatte es mit dieser dunklen Morrison-Wolke auf sich, die über Deinem Kopf schwebte? Jeder, der mit Dir in engen Kontakt geriet, fand sich bald am Saum der Dunkelheit wieder… Irgendwann überrannte uns der Mythos, den wir aufbauten, und begann ein Eigenleben.“ Diese Zeilen schrieb Densmore in einem posthumen Brief an Morrison, nachdem er 1975 das Grab des toten Freundes besucht hatte.

Die Band raufte sich jedoch noch einmal zusammen und produzierte 1970 mit ‚Morrison Hotel‘ ein Album, auf dem sie erneut zu Höchstform auflief. Mit ‚LA Woman‘, einer reifen, weisen Bluesplatte, setzten Morrison & Co. noch einen drauf.

„Well, I´ve been down so goddam long, that it looks like up to me“, sang er auf ‚Been Down So Long‘, und in ‚Riders On The Storm‘ hieß es: „Into this world we’re thrown like a dog without a bone.“ Für ‚L.A. Woman‘ ernteten die Doors euphorische Kritiken zuhauf. Mit Recht. Doch ihr Sänger hatte mit diesem Kapitel abgeschlossen. Er ging mit seiner Freundin Pamela Courson nach Paris, um auszuspannen und als Schriftsteller zu arbeiten. In einem seiner letzten Interviews sagte er: „Ich habe alles so satt. Die Leute sehen in mir einen Rockstar, und ich möchte damit überhaupt nichts mehr zu tun haben.“ Am 3. Juli 1971 starb Jim Morrison. Er hat in vielem geirrt, doch mit einem Vers aus ‚Five To One‘ sollte er recht behalten: „Five to one, baby, one in five, no one here get’s out alive.“

Die Rest-Doors blieben noch für zwei belanglose Alben (‚Other Voices‘, ‚Full Circle‘) zusammen, trennten sich, trafen sich aber Mitte der Siebziger noch einmal, um zu Bändern, auf die Jim Morrison an seinem letzten Geburtstag einige seiner Gedichte gesprochen hatte, die Musik einzuspielen. So entstand die Platte ‚An American Prayer‘, die 1978 veröffentlicht wurde. Zur Legendenbildung trug auch der nicht unumstrittene Film ‚The Doors‘ bei, den der Spezialist für neuzeitliche amerikanische Mythen, Oliver Stone, 1991 drehte. Von zahllosen, meist höchst spekulativen Buchveröffentlichungen ganz zu schweigen. Der Name „Jim Morrison“ verspricht eben auch heute noch Gewinn. Ansonsten sollte man es mit John Ford halten, der eine Nebenfigur in seinem Western „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“ sagen ließ: „Unsere Legenden wollen wir uns erhalten, weil sie wahr geworden sind.“ Ob Morrison im Sterben noch den „scream of the butterfly“, den Schrei des Schmetterlings, gehört hat? Jim Morrison ist seit 25 Jahren tot. Was zählt, ist seine Musik. This is the end, beautiful friend, the end.