Joan Baez live in Düsseldorf


Um viertel nach acht betrat Joan Baez die Düsseldorfer Bühne, von drei vorwitzigen Fernsehkameras verfolgt: Der Westdeutsche Rundfunk hatte sich die Exklusiv-Rechte besorgt. Gleich zu Anfang kam „Blowin‘ In The Wind“ – wie leicht ein bestimmter Song einen doch um zwölf Jahre zurückversetzen kann. Eigentlich gibt’s ja kaum eine Persönlichkeit in der Folk-Pop-Rock-Szene, die so ehrlich und aufopfernd agiert hat wie Joan Baez. Vor vier Jahren ist Joan ein ganzes Jahr lang ohne Gewinn in den Staaten aufgetreten, um Amnesty International bekannt zu machen (was ihr auch gelungen ist). In den sechziger Jahren weigerte sie sich, Steuern zu bezahlen, weil dieses Geld doch nur teilweise für Panzer und Bomben ausgegeben würde. Sie setzte sich an die Spitze von Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg, gegen Diskriminierung von Minderheiten, gegen Atomrüstung. In Kalifornien gründete sie ein Institut zum Studium der Gewaltlosigkeit.

1977, in Düsseldorf, fand dieses Engagement seine entsprechende Parallele: Joan überreichte einem Vertreter einer ähnlich gelagerten Bewegung DM 4500,-. Woher das Geld kam, war nicht ganz klar, die Ziele genannter Bewegung ebensowenig, obwohl der Empfanger des Geldes vorher irgendetwas von „konfliktfreier Austragung aktueller Probleme“ erzählte und seiner Hoffnung auf eine bessere Welt Ausdruck gab. Naja, Hoffnung ist grün, die aktuelle Lage schaut jedoch in mancher Hinsicht eher braun bis schwarz aus.‘ Womit wir bei Chile wären. jenem nach Franz Josef Strauß offenbar vorbildlichen Staat, in dem nach Meinung glaubwürdiger Ich hatte mich schon Tage vorher auf Joan Baez Konzert in Düsseldorf gefreut und mit Genugtuung vernommen, daß die Sängerin vier Tage vorher in München von zehntausend Zuschauern enthusiastisch gefeiert worden war. Auch Düsseldorf machte dann keine Ausnahme, denn hier standen rund sechstausend auf den Stühlen — ausge-, nommen jene, denen schließlich doch einiges im Hals steckenblib. Unverbesserliche Besserwisser, überhebliche Kritiker? Ich glaube nicht!

Leute aber seit 1973 über 20 000 Allende-Anhanger ermordert, zahllose gefoltert und viele vertrieben worden sind. Genau hier ist Joan Baez selbstverständlich aktuell, ebenso, wenn sie einen ihrer Songs dem ägyptischen Staatspräsidenten Sadat widmet und dessen Bemühungen um eine friedliche Lösung im Nahen Osten lobt. „Kürzlich bei einem Konzert in Algier“, berichtet Joan bewegt, „haben achttausend Araber mit mir ein israelisches Lied gesungen. Das war ,Donna, Donna'“. Und auch wenn Joan sich im Song „Alter Boy And The Thief“ von ihrer letzten LP „Blowin‘ Away“ mit Schwulen und Lesben solidarisiert, auch dann ist sie aktuell.

Auch in neueren Liedern stellt sich Joan auf die Seite von Außenseitern

Leider aber bleiben solche Zeitbezüge in Joan’s Konzert Rarität, feiert stattdessen schwärmerische Nostalgie Triumphe. Das obligate Absingen von „We Shall Overcome“ mag noch hinhauen; ansonsten aber wirkt der Rest des altbekannten Repertoires schlichtweg anachronistisch. Nun könnte man sich ja einfach entspannen und zurücklehnen, die Worte der Songs überhören und sich rein an Joan’s Musik sowie ihrer phänomenalen Stimme ergötzen. Dies allerdings würde sie als eine Sängerin unter vielen degradieren und die Überlegung nahelegen, sie doch in der „Disco“ auftreten zu lassen.

Nein, die Texte sind hier wichtiger als alles andere, vor allem dann, wenn Joan Baez selbst den hohen Anspruch des politischen Liedes setzt. Okay, „Plaisir D’Amour“ oder „Love Is Just A Four-Letter-Word“, letzteres mit amüsanter Dylan-Parodie, sind ewige Klassiker in puncto Liebeslied; zu vieles aber in Joan’s Repertoire haucht den Atem der sechziger Jahre, in denen man noch Rechtens an eine neue,bessere Welt glauben durfte. Das jetzige Jahrzehnt hingegen ist von anderem geprägt: Terror, Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, Unterdrückung, Vermassung und… und… und…

Mag sein, daß die alten Lieder für Joan Baez selbst eben bloß noch Songs sind; das Gros der Baez-Fans aber scheint glücklich, sich mit Hilfe dieser Songs von den aktuellen Problemen ablenken zu können. Da werden V-Zeichen mit der rechten Hand angezeigt, klatscht man Beifall, wenn Joan eines ihrer Lieder Amnesty International widmet. Nur: Joan hat einiges für Amnesty unternommen, die weite Mehrzahl des Publikums jedoch nicht. Wie sonst nämlich könnte diese Organisation unter Finanzund Helfermangel leiden? Erleichtert das Publikum gar das eigene Gewissen, wenn es die Aktivitäten der Joan Baez huldvoll beklatscht, sonst aber nichts weiter tut?

Das Publikum singt „We Shall Overcome“:

Alle sind sich so überaus einig, fühlen gemeinsam, soweit die Halle reicht.

Aber wo bleibt diese Solidarität draußen im Alltag, im Büro, in der Schule, am Fließband?

Ob darüberhinaus Joan Baez an Intensität und Überzeugungskraft verloren hat, mag ich nicht beurteilen. Das Publikum jedenfalls war absolut nicht dieser Meinung. Doch die trügerische Einigkeit im Baez-Konzert wurde spätestens dann klar, als die Leute auf vorhersagbare Zugaben bestanden: Besagtes „We Shall Overcome“ sowie als Krönung „Amazing Grace“. Alle waren sich so überaus einig, sangen und fühlten gemeinsam, jedenfalls soweit die Philipshalle reichte. Schade, daß solche Solidarität im Alltag nur selten anzutreffen ist. Schön, wenn man auch ohne Joan Baez‘ Anleitung so einig wäre, im Büro, in der Schule, am Fließband, in der Uni. Und Joan wäre dann endlich von ihrer Rolle als Putzfrau des Gewissens entbunden.