Jung, sensibel, bebrillt sucht …


Seit mittlerweile 13 Jahren bieten Death Cab eine emotionale Anlaufstelle für Menschen, die oft zu viel denken und zu wenig machen, die ihre eigenen Gefühle am liebsten zu einem wohl gewählten Soundtrack erkunden, die Death-Cab-Musik brauchen, um die dunklen Nächte der Seele auszuhalten.

Historie

Es gibt viele Leute, die Death Cab For Cutie nicht mögen. Manche schreckt der seltsame, etwas (Gott bewahre) mädchenhafte Name ab, andere hören sich die Musik an und verziehen das Gesicht ob der näselnden Stimme oder der langatmigen Texte, die entweder unverständlich oder prätentiös oder beides sind und vor Melancholie nur so strotzen. Andere verehren diese Band mit Hingabe und Inbrunst. Diese Fans haben oft das Gefühl, ihre Lieblingsband verteidigen zu müssen gegen coole Freunde, die lautere oder kompliziertere Musik hören. Angriffsflächen bieten Death Cab For Cutie – vier unverschämt freundliche, wohlerzogene, weiße, liberale junge Männer – genug.

Aber sie bieten seit mittlerweile 13 Jahren eben auch emotionale Anlaufstellen für Menschen, die oft zu viel denken und zu wenig machen, die ihre eigenen Gefühle am liebsten zu einem wohl gewählten Soundtrack erkunden, die ihre Musik brauchen, um die dunklen Nächte der Seele auszuhalten. Das klingt sehr ernst – vielleicht zu ernst für einen Text, der von einer Band handelt, die ihren Durchbruch zumindest teilweise einer Teenie-Fernsehserie zu verdanken hat, aber um Death Cab For Cuties Bedeutung gerecht zu werden, muss man sich vielleicht kurz den Sarkasmus verkneifen.

Ernsthaftigkeit ist einer der Charakterzüge des jungen Benjamin Gibbard aus Bremerton, Washington, der Mitte der Neunziger in der Powerpop-Band Pinwheel singt und Gitarre spielt. Gibbard studiert zu diesem Zeitpunkt an der Western Washington University Ingenieurwissenschaften und hat die Grunge-Welle im nahegelegenen Seattle mitverfolgt. Ähnlich wie dessen Gallionsfigur Kurt Cobain hat Gibbard ein Faible für in Nordamerika gänzlich unbekannte britische Bands. Für Cobain waren es The Vaselines und Gang of Four, für Gibbard sind es The Stone Roses und Teenage Fanclub. Bei einem lokalen Konzert wird der aufstrebende Produzent Chris Walla auf Gibbards Teenage-Fanclub-Shirt aufmerksam. Eine enge Freundschaft und eine fruchtbare kreative Beziehung zwischen den beiden beginnt.

Das erste gemeinsame Projekt ist Gibbards „You Can Play These Songs With Chords“-Demotape. Die Zusammenarbeit läuft so gut, dass Walla der Gitarrist in Gibbards Live-Band wird. Noch ist Death Cab For Cutie (benannt nach einem Song der 60s-Psychedelic-Gruppe Bonzo Dog Band) offiziell ein Soloprojekt, aber im darauffolgenden Jahr, 1998, ziehen Gibbard und Walla in eine gemeinsame Wohnung in Bellingham, Washington, und nehmen dort mit Gibbards Ex-Mitbewohner Nick Harmer (Bass) und Schlagzeuger Nathan Good Something About Airplanes auf: Die zukünftige Lieblingsband Tausender einfühlsamer Indiekids ist geboren.

Die Anfangszeiten der Band im Nordwesten Amerikas sind nicht unbedingt von unvergesslichen Erfolgserlebnissen geprägt – Gibbard bleiben vor allem Senf-Sandwiches in Texas („Es gab nirgendwo was Vegetarisches – nicht, dass wir Geld für vernünftiges Essen gehabt hätten“) und die Hoffnung, dass beim nächsten Konzert die Zuschauerzahl zweistellig sein würde, in Erinnerung. Walla arbeitet damals noch als Barista bei Starbucks und verkauft seine Aktien, um das Mikrofon zu kaufen, mit dem Something … aufgenommen wird. Gibbard jobbt bei einer Raffinerie und träumt während seiner Zigarettenpausen von Tourneen außerhalb Washingtons – seine Hauptambition ist damals, möglichst wenig arbeiten zu müssen.

Something About Airplanes hat trotz seines etwas blechernen Klangs genug spannende Momente, um die Indieszene in und um Seattle und Portland, Oregon herum für Death Cab (wie die Band von Fans genannt wird) zu interessieren. Das Mitte der Neunziger gegründete Barsuk-Label ist die ideale Plattform für die damals willkürlich sperrige, aber eben doch auch extrem talentierte Band, die von den neugeknüpften Kontakten mit damals aufstrebenden (und heute schwer vermissten) Gruppen wie Pedro The Lion und The Dismemberment Plan profitiert. Durch Shows mit diesen Bands gewinnen Death Cab langsam aber sicher neue Fans und können sich 2000 ihren ersten echten Rock’n’Roll-Traum erfüllen: sie gehen auf US-Tour.

Ihr zweites Album, das verhältnismäßig aufpolierte und stringente We Have The Facts And We’re Voting Yes (2000), wird zwar nicht gerade ein Verkaufsschlager, festigt aber Death Cabs Ruf als bemerkenswerte Band. 2000 ist aus zwei weiteren Gründen bedeutend für Gibbard & Co – Drummer Nathan Good verlässt die Band wegen mangelnder finanzieller Sicherheit, und wie um diese Besorgnis zu unterstreichen, bekommen Death Cab For Cutie am Ende des Jahres ihren ersten Gehaltsscheck von Barsuk: ganze 5.000 Dollar pro Kopf. Für ein Jahr. Nicht viele Umweltchemie-Absolventen würden sich damit zufriedengeben, aber Ben Gibbard ist entzückt: „Solange wir im Frühling wieder auf Tour sind, kann aus der Sache was werden.“

Und langsam wird aus der Sache tatsächlich etwas. Obwohl Death Cab weiterhin limitierte Ambitionen haben („Wir versuchen nicht, das Rad neu zu erfinden“, erklärt Gibbard im Jahr 2001, „wir sind einfach nur eine Indie-Pop-Band“), haben Kritiker die Band für sich entdeckt, und Konzerte in weit entfernten Städten wie New York City sind plötzlich ausverkauft. Um nach diesen ersten Erfolgserlebnissen möglichst schnell wieder auf Tour gehen zu können (es ist kein Wunder, dass Kerouacs Klassiker „On The Road“ Gibbards Lieblingsbuch ist), schreiben, produzieren und veröffentlichen Death Cab ihr drittes Album in drei Jahren – The Photo Album erscheint im Oktober 2001. Die Platte ist voller großartiger Melodien und Textzeilen („Just ‚cause he’s gone/ doesn’t change the fact he was a bastard in life/ that’s a bastard in death“ aus „Styrofoam Plates“), trotzdem ist Gibbard mit dem Album nicht zufrieden. „Photo Album ist unsere schwächste Platte“, sagt er 2009, „weil unsere Ziele damals zum ersten Mal finanzieller Natur waren. Das war unsere schwierigste Zeit als Band – wir kapierten langsam, dass es ernst wurde.“

Richtig „ernst“ wurde es für Death Cab ironischerweise dank einer seichten Hochglanz-TV-Serie: „The O.C., California“. Die Verwendung ihrer Musik in der Sendung (sie sind die Lieblingsband des Charakters Seth Cohen, gespielt von Adam Brody) bringt sie schlagartig einer neuen Zielgruppe näher. Am 16. September 2003 erklingt „A Movie Script Ending“ in einer O.C.-Folge – drei Wochen vor der Veröffentlichung ihres vierten Albums Transatlanticism. Ein Jahr zuvor hatte Gibbard noch Bedenken gegenüber dieser Art von Promotion geäußert („Wenn The Shins einen Song an McDonald’s verkaufen und sich mit dem Geld ein Haus leisten, hat niemand das Recht, ihnen das zu verbieten. Ich weiß nicht, ob ich so etwas machen würde, aber wenn Musiker davon profitieren, werde ich das bestimmt nicht kritisieren.“), aber als die O.C.-Produzenten ihre Anfrage einreichen, entscheidet sich die Band, mitzumachen – sie treten sogar in einer Folge im fiktiven Club The Bait Shop auf. Weil Seth Cohen der Quoten-„Emo“-Charakter der Serie ist, wird Death Cab in einen Topf mit Bands wie den Pop-Punks von Fall Out Boy geworfen – für ihre Indie-Glaubwürdigkeit eher schädigend, für ihren Bekanntheitsgrad durchaus vorteilhaft.

Außerdem kommt Death Cab ein Medium zu Hilfe, das von der Musikindustrie damals noch weniger verstanden wird als heute: das Internet. Viele Jugendliche legen sich in den frühen 2000er-Jahren Livejournal-Konten zu und bloggen über ihre Gefühle, Klamotten und ihre Lieblingsbands, zu denen u.a. Brand New oder eben Death Cab For Cutie gehören. In gewisser Weise nehmen Death Cab das Beste zweier verschiedener Welten mit: die Möglichkeit, sich bei einem Indie-Label über mehrere Alben zu entwickeln, und die Reichweite, die ihnen indieaffine US-TV-Serien (damals noch ein neues Phänomen), P2P-Netzwerke und eine wachsende Blogosphäre bieten. Ihren Absprung zu Atlantic Records hätte die Band nicht besser planen können: Mit einer soliden Fanbase im Rücken verkauft sich Plans in der ersten Woche nach Veröffentlichung 90.000 Mal im August 2005. Death Cabs Musik ist mittlerweile ein berauschender Mix aus Post-Rock-Klavierwänden und Pop-Refrains, und Ben Gibbard entwickelt sich zum Posterboy für bebrillte, sensible junge Männer.

Seine Verlobung mit der Traumfrau ebenjener bebrillten Jünglinge, der Schauspielerin Zooey Deschanel („Almost Famous“) Ende 2008 überrascht nur noch wenige, und liefert, zusammen mit Chris Wallas Auftritt beim Nachrichtenkanal CNN während der Präsidentschaftswahlen im selben Jahr, den Beweis, dass Death Cab im kollektiven Bewusstsein angekommen sind. So klingt auch Narrow Stairs, ihre sechste Platte – selbstbewusst, straight, und doch kantiger als frühere Songs. Sie können sich erste kritische Rückblicke auf ihre Indie-Jahre erlauben – Walla gesteht dem ME damals, dass er Plans „überproduziert“ habe. Noch mal drei Jahre später ist es Zeit für ein neues Album von Death Cab For Cutie. Und dieses Mal werden die Zweifler und Gesicht-Verzieher in der Unterzahl sein.

Barsuk

Wie bei vielen anderen großen Bands (Nirvana und Sub Pop, Bright Eyes und Saddle Creek) ist auch die Geschichte Death Cab For Cuties eng mit der ihres Plattenlabels verbunden. Barsuk hatte das Vertrauen und die Geduld, über sechs Jahre an einer hart arbeitenden, aber letztendlich nur begrenzt erfolgreichen Band festzuhalten – und wurde schließlich mit einer goldenen Schallplatte für Transatlanticism (Death Cabs letztes Album bei Barsuk) belohnt. Das Label wird 1994 von zwei Musikern aus Seattle, Josh Rosenfeld und Christopher Possanza, gegründet – primär, um deren erster 7inch-Single ein professionelleres Aussehen zu geben. Barsuk (vom russischen Wort für „Dachs“) ist der Name eines Labradors, den Josh und Christoph in einem Tierheim gefunden hatten. Nach vier 7inch-Singles in vier Jahren veröffentlicht Barsuk 1998 Death Cabs Debütalbum. Die Platte verschafft der Band und ihrem Label etwas mehr Aufmerksamkeit, und 2001 kommen Rilo Kiley und The Long Winters an Bord. 2003 hat Barsuk seinen bisherigen Höhepunkt: die Meisterwerke Transatlanticism und Nada Surfs Let Go erscheinen. Barsuks Enthusiasmus für intelligenten US-Gitarrenrock ist ungedämpft geblieben: Anfang 2011 wird das grandiose Emergency & I von The Dismemberment Plan auf Vinyl wiederveröffentlicht, und seit März sind die Neo-Slacker Cymbals Eat Guitars bei Barsuk unter Vertrag.

Chris Walla als Produzent

„Der Grund, warum wir so gut zusammenarbeiten“, sagt Gibbard, „ist, dass wir klar verteilte Rollen innerhalb der Band haben. Ich bin der Songwriter, und Chris ist der Produzent.“ Walla hat nicht nur sämtliche Alben seiner eigenen Band produziert, sondern auch Platten von u.a. The Thermals, Tegan and Sara, US-Comedian David Cross („Arrested Development“) – sein eigenes Soloalbum Field Manual lässt er von Warne Livesey (Midnight Oil, Julian Cope) co-produzieren. Walla betreibt sogar sein eigenes Aufnahme-Hauptquartier – das „Hall of Justice“-Studio in Seattle, das Ende der 80er Schauplatz für die Sessions zu Nirvanas Bleach war. Dem ME erzählte er 2008 in einem Interview, dass Steve Albini eines seiner großen Produzenten-Vorbilder sei: „Ich wünschte, ich könnte Dinge so roh klingen lassen wie er.“ Walla selbst bevorzugt eine entspannte Heransgehensweise und eine „Live“-Atmosphäre. In einem anderen ME-Gespräch erklärte er den Job eines Produzenten so: „Zu beurteilen, wo die Stärken und Schwächen der einzelnen Musiker liegen, und darauf einzugehen. Wenn ich gemeinsam mit meiner Freundin Abendessen mache, dann, produziere‘ ich eben Essen. Und solange ich weiß, was da genau meine Rolle ist, lasse ich mir auch gern Dinge sagen.“