Kein experimenteller Ansatz


„Mach es wie die Eieruhr: zähl die Eier nur.“ Auf der Suche nach der Kolumne von Josef Winkler.

Im Radio kommt grad ein Interview mit einem Burnout-Experten. Da schau her. Da können sie mich auch bald interviewen, wenn das so weitergeht. Aber wie ja Neil Young schon sagte: Es ist besser, einen Burnout zu kriegen, als dass es fad wird. Insofern tu ich jetzt einfach mal weiter. Ich achte mit einem halben Auge auf den Burnout, Sie müssen sagen, wenn’s Ihnen zu fad wird. Obwohl: Lassen Sie das vielleicht lieber, sonst ist es schlecht für meine Nerven, und das wäre momentan wiederum SEHR schlecht für meine Nerven.

Das Problem ist: Es wird eng. Ich befinde mich aktuell in einem so selten da gewesenen Kolumnennotstand. Einem Kolumnenloch. Saure Gurke. Der Redaktionsschluss dräut. Blöd blinkt der Cursor im blütenweißen Neuen Dokument, mit stummem Vorwurf tickt die Uhr im Bildschirmeck. Und mein Gehirn stellt sich tot. Es ist ein Skandal. Ich weiß nicht, wie Sie damit umgehen könnten, wenn hier auf dieser Seite statt eines irgendwie gearteten Gesülzes meinerseits zur Abwechslung einmal Raum zur Niederschrift eigener Ideen und Anliegen zur Verfügung stünde. Unter Umständen ja recht gut, am Ende kreativ? Vielleicht würden Sie gar selber loslegen – flink fliegt der Füller übers Papier – und hätten alsbald eine Kolumne ganz nach Ihrem Geschmack hier stehen. Wär das was? Ich bin gerade ernsthaft versucht, diesen Käse zum „experimentellen Ansatz“ auszurufen (Reclaim the media, irgendwie) und durchzuziehen, aber aus „blattmacherischer Sicht“, wie wir Blattmacher sagen, geht das natürlich nicht. Außerdem wissen Sie ja jetzt schon, woher der Wind weht. Mir fällt auch grad überhaupt keiner zum Drüberaufregen ein, bei dem man’s noch hören könnte. Der einzige, über den ich mich gerade originell aufregen könnte und wollte, den kennen Sie eh nicht, und er hat nicht mal was mit Musik zu tun. Ich gehe also in die Offensive und wähle den gnadenlos selbstreferenziellen Ansatz – und siehe da: Wir sind schon mittendrin!

Jetzt hab ich beim bearbeitenden Redakteur, dem Kollegen Götz, ein Notsignal abgesetzt. Er antwortet knapp, ihm gehe es gerade ähnlich zäh mit seiner offenbar noch im letzten zusammenklappenden Zeitwinkel zu verfassenden Rezension der neuen Platte der Wild Beasts. Und bietet, vielleicht im Jux, an, Texte zu tauschen. Sie könnten also an dieser Stelle eine spritzige Kolumne von Oliver Götz lesen, wenn’s dem im gleichen Moment nicht noch bang um seine Wild Beasts geworden wäre. Hatte ich den Kollegen Götz doch noch vor Wochenfrist – in der Annahme, es könnte ihn interessieren, weil wir hier, so vermutete ich, ja vielleicht ein Sentiment teilten – davon in Kenntnis gesetzt, der Gesangsstil resp. das Gejaule des einen der zwei (!) Sänger der Band Wild Beasts wecke in mir das Verlangen, in die Boxen hineinzufassen und dem Manne den Hals umzudrehen, um die Schmerzen zu lindern. „Sorry, aber ich liebe diese Band“, hatte Götz nur knapp geantwortet. Und drum lässt er mich nicht an die Wild Beasts ran, der Angsthase, und ich hänge weiterhin hier fest. Stuck in the middle with you.

Geht’s noch? Oder faden Sie schon dahin?

Etwas freilich nur recht subjektiv Aufregendes könnte ich Ihnen noch erzählen. Wobei es mich jetzt tatsächlich sehr interessieren würde, wie viele Leser das objektiv aufregend fänden bzw. wie vielen es etwas bedeuten oder auch nur sagen würde, wenn ich herginge und prahlte: Gestern hab ich bei Fredl Fesl daheim in seinem Wohnzimmer gesessen und beim Refrain von „Schnucki, fahr ma nach Kentucky“ mitgesungen. Ich hab zwar meinen Gesangsbeitrag mehr so dazugemogelt, also eigentlich vergleichbar mit einem Mitsänger im Publikum bei einem Konzert. Aber es hatte doch etwas hübsch Hausmusik-mäßiges, und wenn das mein rockigster Moment in diesem Monat war, dann soll es mir sehr recht sein.