Kino


Film des Monats

Modern Family

The Kids Are All Right

Von Lisa Cholodenko, USA 2010

*****1/2*

mit Annette Bening, Julianne Moore, Mark Ruffalo

What you see is what you get: Familienliebe ist nur ein anderes Wort dafür, alles verlieren zu können.

Nur nicht irritieren lassen. Ja, der Film heißt THE KIDS ARE ALL RIGHT. Aber nein, es marschieren darin keine blondgelockten Herren durch wabernde Laserfelder. Es sind keine Who drin, Rock’n’Roll ist Lisa Cholodenkos erster Spielfilm seit acht Jahren trotzdem. Schon in ihrem letzten Film, dem Geniestreich LAUREL CANYON, hatte die 46-Jährige perfekt den zurückgelehnten, libertären Groove des West Coast Rock eingefangen. Auch jetzt ist Joni Mitchell wieder eine feste Größe, ob nun Kraft ihres Namens – die älteste Tochter der Hauptfiguren Nic und Jules heißt Joni – oder mit ihrem unverkennbaren Sound. Hier stehen Mitchell oder David Bowie aber auch für eine ganz bestimmte Generation, deren Kinder wiederum CSS oder Deerhoof hören – ihre zeitgemäße Version von Musik, die nach einem neuen Ansatz für Sex und Kunst strebt. Die Kinder haben alle recht. Und ein Anrecht darauf zu wissen, wer ihr leiblicher Vater ist. Denn ihre Eltern Nic und Jules sind – der Name verrät es nicht, und es würde keine Rolle spielen, wenn die Handlung sonst nicht in Bewegung gesetzt werden könnte – ein lesbisches Paar, das sich damals künstlich befruchten ließ, mit dem Sperma von ein und demselben Mann. Im Grunde geht es also um einen Eindringling in eine vermeintliche Familienidylle. Das ist die Prämisse für zahllose Thriller in der Preisklasse von DIE HAND AN DER WIEGE. Und auch wenn der leibliche Vater von Joni und ihrem Bruder Laser das Matriarchat kräftig durcheinander wirbelt, ist THE KIDS ARE ALL RIGHT doch vor allem eine Sittenkomödie, die sich nicht schämt, ihre Geschichte über Familiendynamik und erwachende Sexualität mit einer unaufgeregten erwachsenen Offenheit zu erzählen, die aus dem amerikanischen Kino fast völlig verschwunden ist: Wie Cholodenko in der Schlüsselszene das komplette Szenario zu Joni Mitchells „All I Want“ auf den Kopf stellt und auf verblüffende Weise ganz grundlegende Dinge über das Wesen von (Mutter-)Liebe erzählt, ganz natürlich und unverstellt, als könne nur ein dokumentarischer Ansatz die Wahrheit durchdringen, gehört zum Besten und Herausforderndsten, was das liberale Kino in den Zeiten von „Modern Family“ zu bieten hat.

Start: 18. November, http://filminfocus.com/the_kids_are_all_right

Machete

Von Robert Rodriguez, USA 2010

**

mit Robert De Niro, Lindsay Lohan

Bringt mir den Kopf von Robert Rodriguez.

Robert Rodriguez ist ein Genie. Welche Verhökertalente muss jemand besitzen, Menschen davon zu überzeugen, einen Film zu finanzieren, der auf einem vorangegangenen Fake-Trailer basiert, den man vor einem weltweit gefloppt Film sehen konnte? Der vorangegangene Satz ist allemal komplizierter als die Handlung von MACHETE, die Mär vom mexikanischen Rächer, der erstmals sein aknevernarbtes Gesicht in einem Vorfilm von PLANET TERROR in die Kamera reckte und sein titelgebendes Arbeitsgerät jetzt fulltime über die Leinwand schwingt. You fucked with the wrong Mexican? Mitnichten. You fucked with the wrong Filmkritiker: Die aufgewärmte Blutsuppe, die Rodriguez zum mindestens vierten Mal mit allen erdenklichen Texmex-Klischees zubereitet, als hätten Sam Peckinpahs Hämorriden einen Werbeclip für die Mexiko-Wochen bei McDonald’s inszeniert, schmeckt schal.

Start: 4. November, www.vivamachete.com

Nowhere Boy

Von Sam Taylor-Wood, Großbritannien 2009

***1/2*

mit Aaron Johnson, Kristin Scott Thomas

Mama don’t go: John Lennon zwischen Mama und Tante

„Mother, you had me but I never had you/ I wanted you but you didn’t want me/ So I got to tell you/ Goodbye, goodbye“, singt John Lennon im herzergreifenden „Mother“ und beschreibt die Beziehung zu seiner Mutter Julia in 25 Wörtern besser, als es Sam Taylor-Woods Film über die Kindheit des künftig wichtigsten Musikers der Welt in 100 Minuten gelingen könnte. Nicht, dass Aaron Johnson (aus KICK-ASS) seine Sache als Lennon nicht gut machen würde. Nicht, dass das muffige Liverpool der Fünfziger nicht treffend eingefangen wäre. Aber man erfährt einfach zuviel über die zwei Frauen im Leben des „Nowhere Boy“ und zu wenig darüber, was John Lennons Kreativität so nachhaltig geprägt haben könnte.

Start: 8. Dezember, www.nowhereboy.co.uk

Monsters

Von Gareth Edwards, Großbritannien 2010

****1/2*

mit ScootMcNairy, Whitney Able

Los Johnny, du musst ihm voll in die Eier hauen!

MONSTERS hat viele außerordentliche Qualitäten. Er ist unter abenteuerlichen Umständen entstanden, sozusagen en passant in Zentralamerika, wo sich der Regisseur und seine beiden Hauptdarsteller vor Ort inspirieren ließen. Er ist ein beachtlicher Monsterfilm, der mit allen Konventionen bricht und seine Handlung erst einsetzen lässt, nachdem die Anwesenheit der Kreaturen längst Alltag geworden ist. Er ist als Roadmovie und Lovestory ebenso effektiv wie als Parabel auf Terror und Irak. Aber vor allem ist MONSTERS in der zweiten Hälfte der vielleicht beste Dschungelfilm seit Werner Herzogs AGUIRRE, der zorn gottes (1972) oder William Friedkins unterschätztem SORCERER, (1977) mit einem eigentümlichen Rhythmus, den der undurchdringliche Regenwald selbst zu bestimmen scheint. Wenn jetzt noch die Musik von Popol Vuh wäre!

Start: 9.12., www.monstersthemovie.com

Fair Game

Von Doug Liman, USA 2010

****1/2*

mit Naomi Watts, Sean Penn

Die Plame-Identität: Naomi Watts und Sean Penn als Freiwild unter Bush

Liman begibt sich nach DIE BOURNE IDENTITÄT und MR. & MRS. SMITH wieder in die Welt der Geheimdienste und Spionage: Weil der ehemalige Botschafter Joe Wilson im Frühjahr 2003 öffentlich anzweifelte, die Regierung Bush sei mit lauteren Argumenten in den Krieg gegen den Irak gezogen, wurde seine Frau Valerie Plame von einem mit Infos aus der Administration gespickten Journalisten als verdeckt arbeitende CIA-Agentin enttarnt. Liman erzählt den Spießrutenlauf der Plame/Wilsons als SZENEN EINER EHE: Es geht um den Preis, der im Reich der Neocons für Zivilcourage zu zahlen ist, mit einem Film, der zum Schluss etwas zu selbstgerecht den Brustton der Überzeugung anschlägt und sich damit unter Wert verkauft.

Start: 25. November, www.tobis.de/film