Kip Hanrahan: Jazz Jongleur


Er macht Musik, ohne Musiker zu sein. Der Konzeptkünstler aus New York jongliert derart ungeniert mit Menschen und Materialien, daß ihn Jazz-Puristen als Ausbeuter und Schmarotzer beschimpfen. Was er von den Vorwürfen hält, erklärte er ME/Sounds-Mitarbeiter Teddy Hoersch

Der erste Eindruck: Kip Hanrahan ist total crazy. Man hat noch keine Frage gestellt, da hält er schon Volksreden. In der Gischt seines verbalen Sturzbaches purzeln die Gedanken durcheinander. Er kommt – in einem einzigen Satz – von seiner Jugend in der „Latin Bronx“ zu Hendrix, von Mingus und Monk zu „Bill Asshole“ alias Bill Laswell, von seiner dreijährigen Tochter zur aktuellen LP TENDERNESS.

Dies war auch der Anlaß für Hanrahans Besuch in Köln: Der New Yorker Jazzartist, Produzent und Labelbesitzer will nichts mehr schlurren lassen in punkto Marketing und Promotion. Er will, daß sein Werk – es gibt sechs Hanrahan-LPs und zahlreiche Produktionsprojekte mit und von ihm – gehört wird.

Und das ist wohl auch notwendig, zählt Hanrahan doch zu den Innovativsten seines Faches. Von der puristischen Jazzkritik als Stil-Pirat angefeindet, vereinbart er das scheinbar Unvereinbare: die Intellektualität des Jazz mit der Erotik des R&B, die perkussive Aufgeregtheit von Latin Music mit der Einfachheit der Folklore, die Tristesse des Blues mit der Raffinesse des Art-Rock.

Hanrahan, selbst ein „halbwegs versierter Perkussionist“, arbeitet wie ein Filmregisseur, der mit dem Talent seiner Akteure spielt. Das hat ihm den Vorwurf eingebracht, er sei ein Ausbeuter, der sich mit fremden Federn schmücke. Tatsache ist, daß sich auf den Um- ¿ rahan-Alben viel Prominenz tummelt. Auf TENDERNESS kann man im Hintergrund Stimme und Baß von Stine hören. Jack Bruce war maßgeblich an VERTICAL’S CURRENCY beteiligt. „Meistens“, wiegelt er ab, „spielen diese Musiker für kleines Geld bei mir mit, denn fast jede Produktion bringt mich an den Rand des Bankrotts. Es geht mir nicht um namedropping. sondern um Künstler, die – ebenso wie ich – kämpfen, die nachts schweißgebadet aufwachen, weil sie ein musikalisches Problem quält. „

Hanrahan, irisch-russisch-jüdischer Abstammung, ist ein Besessener. Mit Vordergründigem gibt er sich nicht zufrieden. Auf seinen Kollegen Jerry Gonzales schimpft er wie ein Rohrspatz, weil der „anstatt der beste Perkussionist von New York zu sein, sich damit begnügt, Miles Davis zu kopieren“. Kip, aufgewachsen in der Latin Bronx, hat die Entwicklung der Rockmusik verpaßt. „Sicher, ich kannte Elvis und die Beatles, aber Cream und Hendrix gingen an mir vorbei. Rock warför mich der Soundtrack des Alltags, Jazz hingegen war der Ton der Rebellion, war eine Haltung. Es ist für mich völlig unverständlich, daß Musiker den Stil anderer Musiker imitieren. Coltrane hatte einen besonderen Sound, weil Motive wie Leidenschaft und Zorn dahinter steckten. Wer hingeht und nur diesen Sound imitiert, macht sich lächerlich. Wenn ich einen Tisch bewege, habe ich einen Grund dafür. Wenn der nächste den Tisch nur bewegt, weil das so cool aussah, ist er ein Depp.“

Zwei Begriffe tauchen in Hanrahans Wortschwall immer wieder auf: Leidenschaft und Zorn, egal ob sexuell oder politisch. Das sind nicht nur die Triebfedern seines Schaffens, sondern auch die Themen von TENDERNESS: In einem Dialog zwischen Mann und Frau werden die komplexen Gefühle einer Beziehung reflektiert. „Manchmal beneide ich die Musiker, die einen einfachen Rocksong schreiben können, aber ich kann das einfach nicht.“

Hanrahan ist ein intellektueller Rabauke, ein emotionales Urviech! Spannend wie seine Musik ist auch seine bisherige Biografie. Mit 15 erhielt er ein Kunststipendium und beschäftigte sich mit Bildhauerei und Film. Zwei Jahre später ging er nach Indien, um vor Ort indische Architektur zu studieren. 1972 besuchte er Westafrika und lernte die Musik und Kultur von Algerien, Mali und Mauretanien kennen. Zurück in New York, gründete er 1979 das Label „American Clave“. Der bärtige Bohemien kann aber auch ganz normal und durchschnittlich sein. Seine Wünsche etwa sind ganz irdischer Natur: „Mehr Erfolg, mehr finanzielle Freiheit. Ich bin’s leid, ständig zu kämpfen. Ich möchte meine Telefonrechnung pünktlich bezahlen können.“