„Klar bin ich ein Hipster!“


Er ist der unwahrscheinlichste Popstar unserer Tage. John Maus, 32-jähriger Doktor der Philosophie, würzt seinen Synthpop mit Zitaten von Händel und Webern. Während manche Kritiker in ihm einen Mann hören, „der aus seinem Mund kackt“, erklärt Maus seine Kunst mit Poststrukturalismus und Philosophie. Das Billige in der Musik sei viel subversiver als angeblich wütende Gitarrenriffs, sagt Maus und fordert: „Wir müssen eine zeitgemäße Sprache finden – und sie radikal einsetzen.“

Die einflussreichste und vernichtendste Plattenkritik aller Zeiten gilt dem finnischen Komponisten Jean Sibelius und wurde 1936 von Theodor W. Adorno verfasst: „Es werden als Themen irgendwelche völlig unplastischen Tonfolgen aufgestellt, diesen Tonfolgen widerfährt sehr früh ein Unglück, etwa wie einem Säugling, der vom Tisch herunterfällt und sich das Rückgrat verletzt. Sie können nicht richtig gehen.“ Sibelius‘ Sinfonien, damals in aller Welt aufgeführt und gefeiert, erinnern Adorno nur an „unordentliche Schulstuben, wo während der Pause die Halbwüchsigen ihre Genialität unter Beweis stellen, indem sie die Tintenfässer ausgießen“. Der Künstler habe sich nur deshalb „ins Land der tausend Seen“ vergraben, „um vor den Augen seiner Schulmeister geborgen zu sein“. Alles Wertvolle würde „von Sibelius an eine Natur verraten, die keine ist, sondern die schäbige Photografie der elterlichen Wohnung“. Kurzum: „Wenn Sibelius gut ist, dann sind die Maßstäbe der musikalischen Qualität (…) hinfällig.“ Es ist ein intellektueller Torpedo, der sein Ziel mittschiffs traf – und versenkte. Seitdem gilt Sibelius zumindest in Europa als irreparabel beschädigt, erledigt. Er selbst sollte bis zu seinem Tod 1957 keinen einzigen Ton mehr zu Papier bringen.

John Maus liebt Adorno. Seine Stimme überschlägt sich fast, als er jenseits des Atlantiks ins Telefon brüllt: „Ja, ja, ja, ja genau! Ich finde diese Kritik berechtigt! Man muss sie vom historischen Standpunkt betrachten. Adorno hörte Beethoven und sah, dass diese Musik über Wagner und eben Sibelius ins Desaster führte. Aber Musik kann nicht nostalgisch erneuert werden. Und die Welt kann nicht geheilt werden, wenn man gleichzeitig behalten möchte, was man besitzt. Nach dem Krieg hat Adorno sogar den Jazz als komisch und grotesk verurteilt. Er hat sich gefragt: Wohin führt das jetzt?“ Tja, wohin führt das jetzt? Seit über 30 Minuten ist John Maus auf Adorno hängen geblieben, während er daheim in Austin, Minnesota, ziellos durch seinen Garten stapft: „Ich bin allein, wir haben alle Zeit der Welt“, tröstet er uns. Was aber nichts nützt, weil es die nächsten 60 Minuten überwiegend um französische Barockmusik und kritische Theorie geht, um zeitgenössische Kunst, Komponisten wie Terry Riley und John Adams, Philosophen wie Alan Badiou, Martin Heidegger und Max Horkheimer. Schwere Kost, so abgehoben wie eine Boeing 747 auf Reiseflughöhe. Wer will, kann jetzt noch aussteigen und die Musik von John Maus einfach nur hören. Wer sie verstehen will, der schnalle sich bitte an und bringe seinen Sitz in eine möglichst aufrechte Position.

John Maus ist der unwahrscheinlichste Popstar unserer Tage. Ein skurriler 32-Jähriger, dessen Skurrilität sich dadurch noch steigert, dass man sie ihm nicht ansieht. Er trägt keinen rosafarbenen Zylinder auf dem Kopf, schminkt sich nicht die Lippen und führt keine Ameisenbären an der Leine. Er sieht ganz normal, sogar ziemlich gut aus. Er ist eher asexuell als transsexuell, heterosexuell oder homosexuell. Und doch ist John Maus verrückt. Um das gleich ganz klar zu sagen. Vollkommen verrückt und manisch. Und wahnsinnig interessant. Er tut nicht nur so, er ist es. Und er weiß es.

Deshalb ist es so schwierig, ihm Geschichten über seinen Werdegang zu entlocken. Worüber andere Popstars bereitwillig Auskunft geben, das müssen wir Maus förmlich aus der Nase ziehen, und zwar in langen, zähen, ziemlich klebrigen Fäden. Kostprobe? „Ariel Pink? Puh … tja, wir waren gute Freunde in der Schule, damals, 1999, und wir haben zusammen aufgenommen und zusammen Musik gemacht, und dann haben wir weitergemacht, miteinander zu arbeiten, puh, tja, wie soll ich sagen? Das lag also in der Natur der Sache für eine ganze Weile. Und dann hat er dieses Album veröffentlicht, sein erstes, glaube ich. Ich spielte in seiner Band für die ersten paar Jahre, das hat viel Spaß gemacht. Und dann, und dann, und dann, dann zog ich zurück nach Minnesota. Sorry, das war’s so weit.“ Ooookay. Und was ist mit Panda Bear? „Den habe ich auf Tour kennen gelernt. Weiß nicht mehr, wann das war. Jedenfalls lud er mich ein, mit ihm zu spielen, und das klappte gut. So war das, im Großen und Ganzen“. Nun ja. Was braucht ein anderer Künstler, damit sich John Maus zu ihm hingezogen fühlt? „Nun, mit Ariel war es so, dass … puh, dass wir beide nicht wussten, was wir sonst machen sollten. Und Ariel hatte dieses … dieses … also, er hatte was.“ Ähnlich informativ geraten seine Auskünfte über seine Zeit als Keyboarder für Animal Collective, es muss eine ungeheuer aufregende Zeit gewesen sein.

Immerhin ist er schon von Wolfgang Tillmans fotografiert worden, worüber er aber auch kaum etwas zu sagen hat. Dabei ist der Umstand, heute von einem Star wie Tillmans für ein passendes Motiv gehalten zu werden, vergleichbar mit der Ehre, von Andy Warhol verewigt zu werden. Die Bilder zeigen einen konzentrierten Maus auf der Bühne, hart ausgeleuchtet, mit geschlossenen Augen, umkralltem Mikro und durchgeschwitztem Hemd, an dem schon ein paar Knöpfe abgerissen sind. Jeder normale Mensch würde aus dieser Sache das größtmögliche Kapital schlagen. John Maus aber windet sich: „Er hat mich eingeladen, bei einer Ausstellungseröffnung in London zu spielen, in der Serpentine Gallery war das. Wir haben uns nicht groß über Kunst unterhalten. Er ist da auch eher schweigsam. Es gibt Leute, die quatschen dich sofort zu, und dann gibt es Leute wie Wolfgang, die … wie soll ich sagen? Die machen einfach. Wir haben über Mikroskope gesprochen.“ Was, wenn es denn stimmt, schade wäre, deckt sich doch Tillmans‘ Kunstverständnis mit dem von John Maus: „Meine Definition lautet: Kunst ist nutzlos. Ich glaube, dass Kunst erst mal eine richtungslose Forschung ist, wohingegen angewandte Kunst einen Nutzen und eine Richtung hat, bei der das Resultat bereits eingeplant ist. Ich hingegen will immer etwas Neues erfahren. Ich mache ja Kunst nur deshalb, weil ich das, was ich sagen will, nicht bereits mit Worten ausdrücken kann.“

Der Bruder im Geiste hat denn auch John Maus eines seiner Bilder für das Cover seines neuen Albums überlassen. Auf A Collection Of Rarities And Previously Unreleased Material sehen wir eine blassrosafarbene Scheibe vor schwarzem Hintergrund – das ist die Sonne – mit einer winzigen Delle unten rechts – das ist die Venus. „Das Planetarische hat mich immer interessiert“, sagt Maus und stellt minutenlang Betrachtungen an, über die schiere Größe des Weltalls und die erschütternde Winzigkeit des Menschen. Maus hat in der Schweiz studiert, einen Doktor in Philosophie erworben und das Fach an einer Universität in Hawaii unterrichtet. Das wird immer gerne miterzählt, weil es nicht viele – streng genommen: gar keinen – Popstar gibt, über den man Vergleichbares sagen könnte. Maus selbst spielt diese Tatsache herunter: „Ich habe vor Jahren mal eine Weile unterrichtet, weil das dazugehört. Studiert habe ich in der politologischen Fakultät, weil man da um Fächer wie Logik herumkommt und gleich mit den spannenden Sachen einsteigen kann. Heidegger und so, das harte Zeug. Aber auch neue Sachen wie Erkenntnisse über Gehirnströme, Neurologie und diese ganzen Dummheiten.“ Aber warum Philosophie? „Warum nicht? Ich meine, wie kann jemand all diese Dinge nicht wissen wollen? Das Schöne ist ja, dass du dich etwas fragst und eine Antwort bekommst, die neue Fragen aufwirft, die du auch beantwortet haben möchtest, was auch klappt, wenn du die richtigen Sprachen lernst und die wichtigen Texte im Original lesen kannst, aber dahinter tauchen dann immer wieder neue Fragen auf, es werden immer mehr, der Boden gibt nach, und irgendwann merkst du, dass du im Kreis herumrennst und noch weniger weißt als zuvor. Ihr Deutschen habt es gut!“, sagt er, und dann, unvermittelt: „Letztes Jahr ist Friedrich Kittler gestorben! Was für ein, was für ein, was für ein … hast du dieses Buch gelesen, ich kann es schlecht aussprechen: ‚Offushrisystem 1800/1900‘?“ Maus meint Friedrich Kittlers Habilitationsschrift „Aufschreibesysteme 1800/1900“, in der der Medientheoretiker eine Art Vorgeschichte moderner Datenverarbeitung entwirft. Was, entfernt, auch etwas mit der Produktion von Tonträgern zu tun hat.

Wäre seine Musik nur ansatzweise so wirr und kompliziert wie das, was in seinem Kopf vorgeht, würde er wohl nur abseitige Kadenzen oder absurde Dissonanzen komponieren, die höchstens in Galerien auf der Lower Eastside von New York gespielt und die auf der Welt von vielleicht drei Leuten wirklich verstanden würden. Glücklicherweise ist Maus nirgendwo geradliniger und konzentrierter als in seiner Musik. Kaum ein Album ist in den vergangenen Jahren so einhellig als Offenbarung gefeiert worden wie We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves. Und kaum ein Album ist gründlicher missverstanden worden. Die Feuilletons schlugen ihn wegen seiner synthetischen Keyboardflächen reflexhaft dem Revival der 80er-Jahre zu. Ein gepflegter Retro-Sound für Leute, die wie John Maus in den 80ern noch Kinder waren und denen dieses Jahrzehnt, durch die rosarote Brille der Nostalgie betrachtet, wie das Goldene Zeitalter der Popmusik erscheint.

Zwar verachtet Maus die 90er-Jahre tatsächlich: „Nirvana und Radiohead, das waren Götter damals. Aber müssen Götter nicht gestürzt werden? Und waren es nicht nur Jungs mit ihren wolkigen Gitarren, die über ihre Probleme sangen?“ Zurück in die Zukunft aber habe er sich mit seiner Musik keineswegs verabschieden wollen: „Das ist das Problem mit Musikjournalisten im Pop. Sie achten auf Sachen wie die Lyrics oder darauf, welche Kleider die Sängerin trägt, um dann ihre Schubladen aufzumachen. Ich habe nichts gegen Schubladen! Wenn ich in eine gesteckt werde, habe ich etwas falsch gemacht! Aber Journalisten achten heute eben nicht mehr auf den puren Klang der Musik, ihre Form. Und dann denken sie, ich würde New Wave spielen …“

Was er sagt, wenn er sich mit lebhaft hoher Stimme wirklich in Fahrt geredet hat, bleibt leider völlig unverständlich, wenn man sich nicht auch ein wenig für ontologische oder epistemologische Probleme interessiert. Was er dagegen singt, könnte simpler nicht sein: „Rights for gays. Oh yeah. Right now. Rights for gays. Oh yeah. Rights for gays. Oh yeah. Right now“ und so weiter, bis auch dem letzten Hörer klar geworden sein dürfte, dass hier Rechte für Schwule gefordert werden, oh ja, und zwar sofort. Maus singt mit sanfter Autorität in der dunkel verhallten Stimme, seine Texte bleiben skizzenhaft. Bekanntlich ist es ja das Problem der Musikjournalisten im Pop, auf die Texte zu achten. Bei einer Synthie-Hymne wie „Cop Killer“ kommt man aber kaum daran vorbei. Der Titel ist dem umstrittenen Gassenhauer von Ice-T entlehnt, kommt aber inhaltlich sofort auf den Punkt, um darauf zu verweilen: Maus singt nicht mehr als die Sätze „Kill all the cops tonight. Kill them, cop killer. Kill all the cops in sight. Cop killer. Against the law“, das aber in Endlosschleife.

„Dabei ging es mir natürlich nicht darum, zum Mord an Polizisten aufzurufen“, erklärt Maus: „Ich habe nur diesen Slogan vereinfacht und damit abstrahiert, um zum Widerstand gegen jede Form von Autorität aufzurufen. Ich habe ja keine eigenen Gedanken, ich denke immer nur, was ältere Leute schon vor mir gedacht haben. Dieser Song ist, wie hoffentlich auch das ganze Album, natürlich im Sinne von Alan Badiou.“ Natürlich. Alain Badiou, wie jeder weiß, ist ein neomarxistischer Poststrukturalist aus Frankreich, dessen berühmte „15 Thesen zur zeitgenössischen Kunst“ so etwas wie das theoretische Grundgerüst für Maus‘ Kunst bilden. Ohne Badiou kann man zu seiner Musik vielleicht tanzen, verstehen kann man sie nicht.

Im Wesentlichen sagt Badiou, dass alle Angebote der Kulturindustrie nur dazu dienen, uns einzulullen und zu gefügigen Konsumenten zu machen. Der einzige Ausweg besteht darin, dass wir uns verweigern. Oder um es mit Badiou zu sagen: „Alle Kunst und jeder Gedanke ist ruiniert, wenn wir die Erlaubnis annehmen, zu konsumieren, zu kommunizieren und Spaß zu haben. Wir müssen erbarmungslose Zensoren unserer selbst werden.“ Mag sein, dass „Cop Killer“ von Ice-T in den USA noch zensiert wurde. Dass die Version von Maus diesem Schicksal entgangen ist, hat Badiou bereits vorhergesagt und erklärt: „Überzeugt, den gesamten Bereich des Sichtbaren und des Hörbaren durch die kommerziellen Gesetze der Zirkulation und die demokratischen Gesetze der Kommunikation zu kontrollieren, übt das Imperium keine Zensur mehr aus.“ Imperium, das ist nach Badiou die spätkapitalistische westliche Zivilisation.

Kunst kann in diesem Milieu „nur von einem Startpunkt ausgehen, den das Imperium nicht kennt“, der also so abseitig ist, dass er noch nicht in den Markt eingespeist wurde. Der vielleicht beste Schlüssel zum Werk von John Maus stammt ebenfalls von Badiou. Demnach muss Kunst „so schlüssig sein wie ein mathematischer Beweis, so überraschend wie ein nächtlicher Hinterhalt und so erhaben wie ein Stern.“

Maus‘ Musik müssen selbst seine Verächter schlüssig und überraschend finden, weil, so Maus, „gerade das Billige viel subversiver ist als, sagen wir, angeblich wütende Gitarrenriffs, die auch wieder nur der Verblendung dienen. Musik muss sein wie, wie, wie … wie eine Plastiktüte.“ Aber erhaben? Oh ja, hier kommt der studierte Musiktheoretiker ins Spiel, der seine schäbige Plastiktüte unauffällig wie ein Ladendieb mit historischen Reichtümern füllt. Ein Song wie „Believer“ mag den nur pophistorisch interessierten Hörer an „Vienna“ von Ultravox erinnern – der musikhistorisch Interessierte erkennt auf Anhieb Händels „Waft Her, Angels, Through The Skies“ von 1751. „Love Letters From Hell“ auf dem Album Love Is Real rumpelt wie irgendwas Ungutes von New Order, bedient sich aber der phrygischen Tonleiter und basiert auf „Missa La Sol Fa Re Mi“ vom flämischen Meister Josquin Desprez, Baujahr 1503. Während „Breakthrough“ auf einem vergleichsweise eingängigen Volkslied aus Bulgarien basiert, ist „Less Talk More Action“ in Zwölftontechnik komponiert und an Anton Weberns „Cantate Nr. 2, Opus 31“ orientiert. Für „Ghost“ von Ariel Pink’s Haunted Graffiti hat John Maus wiederum einen hochmittelalterlichen französischen Komponisten geplündert und einen Rundgesang von Guillaume de Machaut nur unwesentlich modernisiert.

Das sind nur einige Beispiele für kreative Startpunkte in der Frühgeschichte des Musizierens, den „das Imperium“ wahrscheinlich ebenso wenig kennt wie der Tänzer, der im Club dazu abgeht. Und natürlich ist das Bescheidwissertum auf einem Level, der selbst die frickeligsten Mussorgsky- oder Bach-Adepten des 70er-Jahre-Progrock wie dümmliche Produzenten von Kirmestechno aussehen lässt. „Klar bin ich ein Hipster!“, bellt Maus ins Telefon, während im Hintergrund die Rotkehlchen zwitschern: „Ich weiß schon, dass man sich darüber gerne lustig macht. Das ist auch mein Problem hier in den USA, wo ich manchmal den Eindruck habe, dass mich mein Publikum nicht versteht oder nicht verstehen will. In Deutschland ist das ganz anders. Dort sind die Leute so anspruchsvoll, dass ich immer das Gefühl habe, den hohen Erwartungen nicht gerecht zu werden.“

In den USA gibt es diese Erwartungen gar nicht erst, im Gegenteil. Über sein Debütalbum Songs, schrieb ein Kritiker, manche Leute würden „ein wenig Nick Cave raushören, während andere einen Mann hören, der aus seinem Mund kackt“. Nicht schön. Und We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves erinnerte US-Rezensenten an „ein Stück von The Human League, rückwärts abgespielt auf einem Walkman, der an den Schädel eines ertrinkenden Mannes geklebt wurde“. Maus ist erfreut, daran erinnert zu werden: „Eine herrliche Kritik, oder? Das mit dem ertrinkenden Mann ist ein gelungenes Bild. Kennst du ‚The Sinking Of The Titanic‘ von Gavin Bryars? Da klingt auch alles wie durch Wasserschichten hindurch“. Ansonsten, sagt er, lese er keine Musikkritiken, ja, er habe sich seit über einem Jahr keine einzige Platte mehr gekauft: „Ich weiß, das ist erbärmlich, oder?“

Wie es weitergeht, weiß er selbst nicht. „Wenn es weitergeht“, sagt er, “ dann wahrscheinlich mit einer Band. Weil es einfach schrecklich ist, so ganz alleine auf Tour zu gehen und zu meinem eigenen Playback zu performen. Ich sehe Leute, die Spaß haben, und bin danach wieder alleine. Und wahrscheinlich werde ich, wenn es weitergeht, vermeiden, als Retro-Act der 80er-Jahre wahrgenommen zu werden. Schlimm genug, dass es dafür einen Markt gibt. Wir müssen eine zeitgemäße Sprache finden – und sie radikal einsetzen.“ Bis dahin wird er wohl die Rotkehlchenfamilie beobachten, die unter seinem Fenster nistet, und hin und wieder Tweets an seine Follower schicken. 140 Zeichen sind ihm nicht genug, weshalb er auch dieses System überlistet. Er scannt längere Texte einfach als Bilder ein, darunter so schönen poetischen Schwurbel wie diesen von Paul Celan: „Er lehrte die Gesetze der Schwerkraft, er brachte Beweis um Beweis, fand jedoch taube Ohren. Da schwang er sich in die Luft und lehrte die Gesetze schwebend – nun glaubten sie es ihm, doch wunderte sich niemand, als er aus der Luft nicht wiederkehrte.“

the crazy world of john maus

Als John Maus am 23. Februar 1980 im US-Bundesstaat Minnesota das Licht der Welt erblickte, wurden die Single-Charts gerade von Michael Jackson („Rock With You“) und die Album-Charts von Pink Floyd (The Wall) angeführt. Mit beiden hat der junge Mann aus wohlhabendem Elternhaus nur sehr wenig am Hut, wenngleich er heute Pink Floyds The Piper At The Gates Of Dawn zu seinen Allzeit-Lieblingsplatten zählt.

Am California Institute Of The Arts in Los Angeles studierte er Musik, einer seiner Lehrer war der experimentelle Komponist Michael Pisaro. Dort lernte er in Ariel Marcus Rosenberg alias Ariel Pink einen Bruder im Weird-Americana-Geiste kennen, mit dem er über mehrere Jahre gemeinsam musizierte, zuletzt auf Before Today mit der Gruppe Ariel Pink’s Haunted Graffiti. Beeinflusst sind beide vom Avant-Retro-Phänomen R. Stevie Moore. Zur erweiterten Szene werden auch Panda Bear, Holy Shit! und Animal Collective gezählt, für beide bemühte sich Maus hinter die Keyboards.

Eines der besten Konzerte seines Lebens will Maus in New York gesehen haben, wo der ähnlich schräg veranlagte Gary War auf der Bühne stand. Während alle anderen noch an ihren Karrieren bastelten, studierte Maus in aller Ruhe erst einmal an der European Graduate School in Saas Fee, Schweiz, politische Philosophie. Auf dem Weg zur Doktorwürde unterrichtete er das Fach an der Universität von Hawaii auf der Insel Manoa. Von dort kehrte er einstweilen nicht nach Los Angeles zurück, sondern in seine alte Heimat, das Städtchen Austin in Minnesota, wo er heute lebt.

Von John Maus sind bisher drei Alben erschienen: Songs (2006), Love Is Real (2007) und We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves (2011). Am 13.7. wird das Compilation-Album A Collection Of Rarities And Previously Unreleased Material veröffentlicht.

Lehrer, Partner, Einflussgeber

Wer ist wer in der Welt des John Maus?

Michael Pisaro

Der Komponist und Gitarrist aus Buffalo ist Mitglied des Wandelweiser Komponisten Ensembles und verantwortlich für einige Platten und Installationen im Bereich der Musique concrète, in der Field-Recordings allerlei Art verfremdet und bearbeitet werden.

Animal Collective

Die vierköpfige Avantgarde-Pop-Band gilt als einer der einflussreichsten Acts aus New York. Grund dafür ist ihr beeindruckender Mix aus Freak-Folk, psychedelischen Elementen und Electronica. Für ein fürchterliches Albumcover sind sie allerdings auch immer wieder gut. Ihr mittlerweile zehntes Album, Centipede Hz, wird am 31. August veröffentlicht.

R. Stevie Moore

Der 60-jährige Singer-Songwriter und Multiinstrumentalist ist Sohn des Session-Musikers Bob Moore, der einst in Nashville mit Elvis Presley spielte. R. Stevie Moore gilt als einer der Urväter des LoFi-Pop und veröffentlichte bis dato über 400 CDs und Kassetten in Eigenregie.

Ariel Pink’s Haunted Graffiti

Wenn man ihm Glauben schenken mag, schreibt Ariel Pink bereits seit seinem zehnten Lebensjahr an seinen wirren, verwaschenen Popsongs. Er war der erste Musiker, den Animal Collective für ihr selbst geründetes Label Paw Tracks verpflichteten und viele seiner selbst produzierten Alben wiederveröffentlichten.

Gary War

Der New Yorker mit dem martialischen Künstlernamen gibt nicht viel auf Easy Listening. Das Ex-Mitglied von Ariel Pink’s Haunted Graffiti fordert seine Zuhörer mit einem Gemisch aus 60s-Punk, Chillwave und jeder Menge Electro-Noise. So klingt jemand, der auf Kriegsfuß mit Pop steht.

Panda Bear

Das Soloprojekt des Animal-Collective-Frontmannes Noah Lennox ist meist mit nicht mehr als zwei Samplern und einem Synthesizer im Studio. Panda Bear macht ähnlich experimentellen Pop wie Animal Collective und ist mindestens genauso erfolgreich. Sein viertes Album Tomboy erschien im Jahr 2011.